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FRANKFURT/ Opernhaus: TANNHÄUSER – „O heil’ger Liebe ew’ge Macht!”

06.05.2024 | Oper international

„O heil’ger Liebe ew’ge Macht!”– Tannhäuser an der Oper Frankfurt

klo
Foto: Barbara Aumüller

Als Wagner 1842 mit seinem Tannhäuser beginnt, geht er einen wichtigen Schritt in der Entwicklung seines Werks. Folgte er im fliegenden Holländer noch dem Aufbau der klassischen Nummernoper, wand er sich beim Tannhäuser deutlich einer durchkomponierten Struktur zu. Gemeinsam mit dem Pilgerchor und der Arie vom Abendstern, gelang ihm mit dem Tannhäuser ein Vorzeigewerk der romantischen Oper, welches nicht nur sein Werk weiterentwickelt, sondern mit der Behandlung des Konflikts zwischen apollinischem und dionysischem Verlangen eine ungeahnte Tiefe von Themenstellungen bietet, die sich aus dem Werk ableiten.

Matthew Wild nutzt diese zahlreichen auch mythische Aspekte in seiner Neuproduktion an der Oper Frankfurt und lässt die von ihm erzählte Geschichte bereits während der Ouvertüre mit einer Rahmenhandlung beginnen. Wir finden uns in einem Hörsaal wieder, den eine ältere Dame betritt. Sie bereitet eine Vorlesung vor, unter dem Übertitel „Große Dichter im Exil“, legt sie Folien über Heinrich von Ofterdingen zurecht. Dieser floh vor den Nazis ins amerikanische Exil, erlangt dort eine Professur für Literatur an der katholischen Maris Stellar Universität in Kalifornien und kann schließlich mit seinem Buch „Montsalvat“ im Jahr 1956 den Pulitzer-Preis gewinnen. Doch Tannhäuser verschwindet spurlos und niemand weiß wo er sich befindet. Wir verlassen noch während der Ouvertüre den Hörsaal wieder und werden in das Jahr 1961 versetzt.

Wir sehen Tannhäuser in seinem Schlafzimmer, welches genauso gut auch ein nichtssagendes Motel sein könnte. Eingerahmt in einem Schaukasten scheint dieser verloren. Barfüßig sitzt er auf seinem Bett und gibt sich seinen Gedanken hin, die er in einer Kladde niederschreibt. Plötzlich werden diese real: In weiteren Schaukästen sehen wir Tannhäuser selbst, wie er sich zunächst Frauen hingibt, dann Männern, dann immer abstruser wirkenden Fabelwesen. Manche von ihnen im Aussehen Tannhäusers, Zitate aus der Ikonographie, Amor, Bacchus, Jupiter und Ganymed, den heiligen Sebastian über Tannhäuser hängend, Leda und den Schwan, Boticellis Venus, Satyre. Immer mehr verliert sich Tannhäuser in einem wirren Kosmos der Ideen, gibt sich völlig dem Rausch hin, bestärkt diesen mit Alkohol und Morphintabletten. Der Venushügel ist zur Gedankenwelt seines Kopfes geworden, in ihm selbst ist jenes Zentrum der Lust. Flirrend werden die Lichter, zeigen sich windende Körper, die aus einem Gemälde Caravaggios stammen könnten. Eine undefinierbare, mystische Welt entsteht und Thomas Guggeis unterstreicht bereits während der Ouvertüre mit einer musikalisch fein ausgearbeiteten Detailarbeit die Komplexität dessen, was hier in Tannhäusers Kopf vorgeht. Große Bögen führen uns lockend in den Strudel von Ofterdingens Gedanken, funkelnd preisen sie ein Heil in diesem gedanklichen Venusberg, das doch nur in Verzehrung und unerfülltem Begehren mündet. Ein ganzer musikalischer Kosmos wird hier schon in der Ouvertüre offengelegt, der von kleinem Verlangen bis hin zur imposanten Größe des Wagnerischen Klangs reicht. Erst ruhig und majestätisch, der erhabenen Karriere von Ofterdingens, mit der er einst den Dichterolymp betrat würdig, dann im Bacchanal zunächst tänzelnd, dann peitschend aufbegehrend, sich der Phantasie des Protagonisten hingebend, völlig in ihnen verlierend. Hin und her reißt es ihn zwischen den Welten, jener in seinem Kopf und jener realen, die er fliehend verlassen hat und sich doch zurück sehnt.

Maestro Guggeis lässt dabei das Orchester jedoch niemals pathetisch oder gar monströs klingen. Fast schon wie Kammermusik ist der Klang an diesem Abend, fein, präzise und der Komplexität des sich abzeichnenden Themas Rechnung tragend: Heinrich von Ofterdingen, genannt Tannhäuser zehrt mit sich selbst und hat sich von der Außenwelt vollkommen zurückgezogen um seine Erlösung in der Hingabe an seine Phantasien zu finden und diese durch Niederschreiben überwinden zu können.

Doch unerträglich ist dieses völlige Gehenlassen, zu mächtig die Kraft seiner Gedanken, zu zügellos sind seine Phantasien – „Zu viel! Zu viel! O, dass ich nun erwachte!“. Drang der Gesang der Sirenen noch wie aus der Ferne einer Traumwelt an unser Ohr, klingt Marco Jentzsch silberheller Tenor vollkommen klar, rein und ganz im Jetzt. Tannhäuser ist aus seinem Rausch erwacht, doch die Venus steht noch immer neben ihm. Ein Anfall von Wahn, von Schizophrenie? Vielleicht, denn Venus hat das Gesicht eines Totenkopfes. Keine Heilsbringerin, sondern die Inkarnation todbringenden Verderbens. Dies eröffnet nun vielseitige Deutungen in der Folge des Abends. Es sind die Widersprüche im Handeln Tannhäusers: Einerseits nach Lust strebend, andererseits gegen die Verlockungen der Venus aufbegehrend und aus dem süßlichen Leid ihrer Welt entfliehen wollend. „Aus Freuden sehn ich mich nach Schmerzen“ – Tannhäuser sehnt nach der Erdung in der realen Welt, nach Kontrolle seiner selbst und seiner immer mehr zu Perversionen anwachsenden Begierde.

Dieser Konflikt zwischen Tannhäuser und Venus explodiert schließlich im Streit, nach welchem Herr Guggeis eine Kunstpause ansetzt, deren Stille das aufgebaute Spannungsfeld zwischen dionysischem und apollinischem Wollen noch einmal herausstreicht. Doch setzt Venus nun ihre größten Kräfte ein, süß und becircend klingt Dshamilja Kaiser, verlockend wird sie zum Inbegriff der Verführung, zu einer Venus, deren Stimme man sich nicht entziehen kann, deren Freuden jedoch todbringend sind. Umgeben von immer wilder werdenden, bacchanalischen Tanzszenen versucht sie Tannhäuser in ihrem Bann zu behalten, ein Sog des Rausches, des vollkommenen Wahns der ungezügelten Lust entsteht. Die Tänzer auf der Bühne leisten hier großartiges, großes Lob an Ken Bridgen, Thomas Riess, Maximilian Kutzner, Luciano Baptiste, Tommaso Bertasi und Andrii Punko – bravissimi.

Doch all der Rausch führt nicht zum Ziel, Herr Jentzsch klingt zunehmend verzweifelter, ja regelrecht leidend: Nahezu erdrückend wird die immerwährende Lust: „Göttin lass mich ziehn“! So entschliesst sich Venus zu einem letzten Versuch und führt Tannhäuser einen jungen Mann zu, einen Knaben, den Henri Klein mit Matrosenhemd (eine Reminiszenz an Viscontis „Tod in  Venedig“?) voller Androgynität zu künstlich-willenlosem Leben erweckt – eine Marionette der Venus, willenlos und nur geschaffen um Tannhäuser zurück in den Strudel der Wollust zu ziehen. Die wieder eingeblendeten Bilder von nackten Körpern bringen die Opulenz der alten Meister zurück, das Auge wird nahezu übersättigt, Tannhäuser scheint im Meer der Lust zu ertrinken. Und doch gelingt es ihm, sich loszusagen und Frau Kaiser entlässt ihn mit einer Stimme voll bebenden Zorns und wütender Verachtung: „Suche Dein Heil – und finde es nie!“ nur um den Verlust zu beweinen. „Die Welt sei öde und ihr Held ein Knecht! Kehr wieder! Kehre mir zurück!“ wird durch lang gehaltene Töne der Venus unterstrichen und voller Kraft bäumt sich Venus noch einmal auf und verschwindet nach Tannhäusers Bekenntnis zu Gott: „Mein Heil liegt in Maria“.

Die Drehbühne versetzt Tannhäuser mit einem Schlag zurück an jene Universität, von der er einst geflohen ist. Das graue Mauerwerk zeugt von der Nüchternheit und Lustfeindlichkeit der frühen 60er Jahre, fast schon trist wirkt die Marienstatue, die in einer Nische hoch über dem Boden eingelassen ist. Der Hirt ist hier eine Reinigungskraft, die emsig ihrer Arbeit nachgeht und deren Erstaunen um so größer, als sie Tannhäuser entdeckt, der in verwahrloster Kleidung fast einem Obdachlosen gleicht. Karolina Bengtsson hat hier nur einen kurzen Auftritt, doch ihr „Frau Holda kam aus dem Berg hervor“ ist von solch entwaffnender Einfachheit, dass dieser Moment zu einer Art Hoffnungsschein für Tannhäuser wird: Sehnte er sich gerade noch in die reale Welt, fernab jedweder Exzesse zurück, wird ihm nun die Unschuld eines einfachen Lebens vor Augen geführt. Daß „Frau Holda“ nichts weiter als eine germanische Bezeichnung für die antike Venus ist, zeigt, daß eben diese den Tannhäuser noch lange nicht aufgegeben hat und die Hoffnung trügerischer Natur ist. Während im Hintergrund bereits der Chor der Pilger den Pfad der Erlösung aufzeigt, hüllt Frau Bengtsson Tannhäuser in eine Jacke mit dem Logo der Universität. Voller Staunen scheint es ihm, daß die Abkehr von der Welt der Venus gelungen scheint, die Pilger ziehen vorbei und nehmen die Marienstatue zu einer Pilgerreise nach Rom mit: „Allmächt’ger Dir sei Preis! Hehr sind die Wunder Deiner Gnade.“ Schließlich entdecken ihn seine ehemaligen Kollegen, der Landgraf von Thüringen, Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide, die noch immer als Professores an der Universität arbeiten und ihn wieder in ihren Reihen aufnehmen: „Er kehrt zurück, der wir verloren!“ – Erste Bravi zur Pause!

Mit vollen Klängen beginnt das Museumsorchester Frankfurt den zweiten Akt, unter beschwingten Klängen zeigt sich der Hörsaal, in welchem Elisabeth als Schülerin Tannhäusers bereits vor Beginn des Sängerstreits ihre Gedanken schweifen lässt. „Dich teure Halle“ wird zu einem gesanglichen Freudenfest, welches Christina Nilsson mit eleganter Leichtigkeit umsetzt – ein fulminanter Auftakt für ein Rollendebüt, wie man ihn sich nur wünschen kann. Denn der jugendliche Klang ihrer Stimme ist niemals zu leicht und füllt den Saal bis in den letzten Winkel. Ihre Elisabeth ist voll von strahlender Hoffnung, eine junge Frau, deren Herz am rechten Fleck ist und die an das Gute im Menschen glaubt. Herzlich, freudig und aufrichtig. Das folgende Duett Elisabeths mit Tannhäuser meistern Frau Nilsson und Herr Jentzsch, tadellos, wieder scheint es, als gelänge Tannhäuser die Abkehr hin zu einem Leben fernab des Exzesses und Rauschs.

Hier sind nun erste Schwächen der Inszenierung zu nennen: Sowohl Eschenbach, als auch der Landgraf von Thüringen dozieren nicht nur an der Universität, sie sind beide durch das Kollar als katholische Priester erkennbar. Im Falle des Landgrafens lässt sich das noch einigermaßen argumentieren, daß jedoch Wolfram von Eschenbach im Jahr 1961 als katholischer Priester mehr oder weniger offen um Elisabeth buhlt, wäre damals undenkbar gewesen und lässt leider ein erstes Fragezeichen offen. Ist das wirklich stimmig?

Landgraf Hermann betritt den Hörsaal, abermals im Kolar und trägt ein Gemälde Giovanni Bagliones hinein: „Amor sacro e amor profano“, welches Baglione 1602 für Kardinal Benedeto Giustiniani malte und als Antwort auf Caravaggios „Amor vincit omnia“ gedacht war. Ein kleines, aber wichtiges Detail, welches den gesamten zweiten Akt von dieser Stelle an begleiten wird und erneut den Konflikt zwischen dionysischem und apollinischem Wollen veranschaulicht: Zeigt Caravaggio einen Amor mit knabenhaften, verführerischen Zügen (ganz wie jener, den Venus im ersten Akt an Tannhäuser zuführte), der mit keckem Ausdruck über alles siegt, entscheidet sich Baglione für einen Amor, der dem Heiligen Michael gleich in der Pose des Engelsturzes im Harnisch zu Boden wirft und mit seinem Schwert zum Todesstoß ausholt. Damit gibt er die kirchliche Lehre des 17. Jahrhunderts wieder, nach welcher die irdische Liebe (also jene, welche die Venus verkörpert) durch die himmlische Liebe unterworfen wird. Somit wird der Primat der kirchlichen Lehre durch das Aufstellen des Gemäldes an der Gemeinschaft der Hochschule Stella Maris im Allgemeinen und beim dann folgenden Wettstreit der Dichter im Speziellen durch den „Rektor“ Hermann unzweifelbar klargemacht.

Daß es sich bei Hermann um eine Autoritätsperson handelt, wird auch durch die Interpretation Andreas Bauer Kanabas‘ mehr als deutlich: „Dich treff ich hier in dieser Halle“ wird zum wahrhaft satt und voll klingendem Vortrag, der edel, ja regelrecht nobel durch den Saal des Hauses klingt. Hier setzt ein Herrscher eine Statement, das auf unverrückbaren Prinzipien aufgebaut ist. Und ebenso deutlich wird es, daß jener Hermann niemals von seinen Prinzipien abrücken wird, da er diese als wahr und somit richtig erachtet. Ist mit dieser Arie eigentlich ein Lobpreis an die Kunst des Gesangs (und damit ein Verneigen Wagners vor der Kunstform Oper) gemeint, stört diese Umdeutung nicht. Denn auch hier dient das aufgestellte Bildnis Bagliones dazu, eine schlüssige Erklärung zu finden:

Dieser Hermann singt von einer Kunst, die im Dienste der Kirche und ihrer Dogmatik steht, nicht Kunst um der Kunst willen ist. Der Satz „die holde Kunst sie werde jetzt zur Tat“, wird – nicht zuletzt auch wegen der voluminösen Stimme Herrn Bauer Kanabas‘ – zu einem sonoren Aufruf des Glaubenskriegs, der sich zwar nobel wähnt, auch nobel gesungen ist, inhaltlich in der Lesart der Produktion aber natürlich in Frage gestellt wird. Die nun wiederkehrenden Fanfaren unterstützen diesen Anspruch Hermanns in ihrer ansteigenden Intensität und erzeugen durch ihre Verteilung im Raum einen fabelhaften Effekt: Wir wähnen uns selbst in jener Halle in welche nun Spektanten und Teilnehmer des annoncierten Wettstreits eintreten.

Da die Fanfaren durch die Marching Band der Universität gespielt werden, die dann plötzlich auch auf der Bühne erscheint, woraufhin sich alle Anwesenden die Ohren zuhalten, erzeugt zwar Lacher im Publikum, zerstört aber nahezu den einbindenden musikalischen Effekt der klug eingesetzten Bühnenmusik.

Es sind Chor und Extra-Chor die die Stimmung dennoch retten und mit immenser Kraft „Freudig begrüßen wir die edle Halle“ schmettern und gemeinsam mit dem Museumsorchester einen monumentalen Moment erzeugen. Eine regelrechte musikalische Massenszene, wie aus einem Sandalenfilm Hollywoods und eben im vollbesetzten Audimax der Maris Stellar Universität. Und wieder gelingt es Thomas Guggeis hier das Hörerlebnis nicht ausarten zu lassen. Trotz aller Intensität bleiben die Passagen präzise und fein, hier wird nichts einfach mit Lautstärke plattgewalzt, sondern klug und schön musiziert. Das ist entscheidend, um wieder zwei wichtige Details nicht untergehen zu lassen:
Zum einen ist es der Einzug Tannhäusers, welcher unmittelbar von weiblichen Studentinnen belagert und um Autogramme in seinem Buch Montsalvat gebeten wird. Zum anderen ist es der Jüngling, dem sich von Ofterdingen im Beisein von Venus hingab und der nun unter den Zuschauern im Hörsaal auftaucht und in der ersten Reihe Platz nimmt. Es beginnt der Sängerkrieg, der hier als „Annual Charity Poetry Contest 1961“ unter das Motto: „Könnt ihr der Liebe Wesen mir ergründen“ gestellt wird.

Mit wunderschönen Piani gestaltet Domen Križaj „Blick ich umher in diesem edlen Kreise“ und paart diese mit einfühlsamen, lyrischen Passagen. Die erste Widerrede Tannhäusers wird rasch ad acta gelegt und auch Magnus Dietrich kann mit „Den Bronnen, den uns Wolfram nannte“ einen weiteren Höhepunkt setzen: Frisch und strahlend auch er, wir einen Reigen schönster Stimmen erleben. Und wieder erscheinen die Phantasien Tannhäusers als Projektion, doch diesmal überwältigen sie ihn zunehmend, er gerät mehr und mehr in Extase, kann nach den Worten „zieht hin, zieht in den Berg der Venus ein!“ nicht mehr an sich halten und küsst vor versammelter Runde jenen androgynen Knaben.

Ein skandalöser Vorgang im Jahr 1961, denn auch in den USA ist Homosexualität ein völliges Tabuthema, erst 1962 wurde das Praktizieren von so genannter „Sodomie“ im ersten US-Bundestaat, nämlich Illinois nicht mehr unter Strafe gestellt, Kalifornien folgte erst 1976. Tannhäuser, der eben noch hochumjubelte und hehre Dichterheld begeht also in aller Öffentlichkeit eine schwere, gesellschaftliche abgelehnte Straftat – auf die ein entsprechender Aufschrei folgt: Jene Studentinnen, die eben noch nach einem Autogramm von Ofterdingens gierten, treten nun nach vorne und reißen die Seiten seines Buches aus, werfen ihm diese voller Verachtung vor die Füße und wenden sich von ihm ab. Erst eine, dann zwei, dann immer mehr. In einem Sekundenschlag ist Tannhäuser vom strahlenden Held zum verfemten Aussätzigen geworden. Bilder vom Einzug zum zweiten Vaticanum werden eingeblendet (dessen Eröffnung allerdings erst im Oktober 1962 begann). Tannhäuser wird nach Rom geschickt um vom Papst Vergebung zu erlangen, sein Buch öffentlich an Ort und Stelle verbrannt, der Saal verdunkelt und ein Schweinwerfer auf Tannhäuser geworfen. Dieser ist jedoch kein Strahl der Hoffnung. Er weist den Todsünder, einen am Pranger der öffentlichen Meinung stehenden Straftäter aus. Im donnerndem Finale zerbricht die Welt Heinrich von Ofterdingens, genannt Tannhäuser, der Vorhang fällt. Abermals Bravi auch zur zweiten Pause, hochverdient!

Im Vorspiel zum 3. Akt nun nimmt Maestro Guggeis, Wagners Musik endgültig jedwede Schwere. Leicht und tänzelnd lässt er das Vorspiel erklingen. Ist die Welt zu Beginn des 3. Akts eine bessere, obschon Tannhäuser nicht in ihr weilt? Oder weil er eben auf Pilgerreise ist und die exzessive Sündhaftigkeit der Welt der Venus vom Ort der Maris Stellar Universität mit sich genommen hat? Es sind wieder große Bögen, die Herr Guggeis majestätisch und doch fein klingen lässt, Reminiszenzen an Chopin und Schumann werden geweckt. Nahtlos lassen sie uns in Eschenbachs Liebesbekenntnis eintauchen, Domen Križaj versucht ebenso fein und berührend Elisabeth für sich zu gewinnen und beschwört der „heilg’e Liebe ewge Macht“. Während er eine Schallplatte mit den Klängen des Pilgerchors auflegt, der Elisabeth dann auf Kopfhörern lauscht. Die Drehbühne gibt einen Blick auf den Hörsaal frei, in dem nun Kardinale stehen, einen nackten Mann mit dem Kopf eines Ziegenbocks belagernd. Das Vaticanum sucht den Teufel selbst auszutreiben, „Halleluja in Ewigkeit“. Wieder ein gewagter Sprung der Regie, welcher der immensen überwältigenden Kraft, die der Chor hier erneut aufbringt, keinen Abbruch tut.

Größer könnte der Kontrast nicht sein zur dann folgenden Arie Elisabeths: Begreifend, dass Tannhäuser keine Gnade in Rom erfahren hat, betet sie zur Jungfrau Maria Gnade walten zu lassen. „Allmächtige Jungfrau“ wird zur Offenbarung von Elisabeths innigstem Hoffen und Flehen: Erst zart und fast zerbrechlich beginnt Christina Nilsson die Arie und wird dann zunehmend inniger, berührend und in aufopfernder Hingabe um die Zukunft ihres Geliebten bangend. Fein austarierte Vibrati bringen das Flehen dieser Frau ergreifend zum Ausdruck, wir werden Zeuge aufrichtiger, wahrer Liebe, die im lang gehaltenen, beeindruckend kraftvollen Wunsch nach reicher Huld endet – meisterhaft! Spätestens nach dieser Arie fällt es uns wie Schuppen von den Augen, dass es nur zwei Charaktere sind, die wahrhaft und selbstlos lieben: Elisabeth in voller, beseelter Hingabe und Wolfram von Eschenbach! Alle anderen begehren aus egoistischen Motiven nach politischer Macht oder körperlicher Befriedigung, sind also zutiefst egoistisch und irdischen Verlangen hingegeben.

So ist dann auch die Arie des Eschenbach als Pendant zu Elisabeths Flehen zu sehen. Zurück im Schlafzimmer Tannhäusers (oder sind alle Schlafzimmer in dieser Welt von identer, schnöder Lieblosigkeit?) zaubert Domen Križaj einen Abendstern, der ebenso zart und einfühlsam ist, wie das eben erst verklungene Flehen Elisabeths. Herr Križaj macht eindringlich begreifbar, dass Richard Wagner hier nicht nur eine der schönsten Arien der Musikgeschichte geschrieben hat. Vielmehr zeigt er auch, wie sehr Wagner musikalisch den Belcanto, insbesondere Vincenzo Bellini, zum musikalischen Ausgangspunkt erkor und sich die Schönheit von Wagners Musik erst durch das Meistern filigraner Technik und musikalischer Finesse erschließt. Nicht monumentales Donnern, sondern sensibles und fundamentales Können sind hier verlangt, die Domen Križaj fabelhaft erlebbar macht.

Tannhäuser erscheint, voll von Verzweiflung, abgerissen. Noch immer als barfüßiger Pilger, sucht er nach Erlösung. Marco Jentzsch läuft nun ebenfalls zu erneuter Höchstform auf, zeigt uns einen Tannhäuser der hin und her schwankt, zwischen völliger Selbstaufgabe und der Hoffnung auf Erlösung, die er stimmlich funkelnd und aufbrausend in der Rom-Erzählung hörbar macht: „Da jauchzt‘ es auf in brünstigem Frohlocken,denn Gnad‘ und Heil verhießen sie der Menge.“ Doch endet die Rom Erzählung in seiner Selbstaufgabe in ewiger Verdammnis: Fast schon dem Wahnsinn hingegeben berichtet er von den Worte des Papstes, ein Ruf der Verzweiflung, gleich einem um Hilfe flehendem Schrei: „Hast du im Venusberg geweilt, so bist nun ewig du verdammt!“ – Herr Jentzsch lässt die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen, reißt uns hinunter in den Abgrund von Tannhäusers innerem Leid, der nun vollends in den Wahnsinn abgleitet, sich entseelt den Fanfaren des Fegefeuers hingibt, der realen Welt entsagt. Jubelnde Klänge ertönen überall im Saal, aus allen Ecken des Zuschauerraumes hören wir den Triumph der Venus, die schließlich in Gemeinschaft mit dem Jüngling erscheint und Heinrich von Ofterdingen von dieser Welt führt. „Nie, Wolfram, nie! Ich muss dahin!“

Die alte Dame vom Beginn des Abends ist wieder im Hörsaal zu sehen, diesmal ist er voll bestückt mit Studenten und wir verstehen, dass dies Elisabeth ist, die nun selbst an der Universität doziert und über Heinrich von Ofterdingens Werk referiert. Gemeinsam mit den Einblendungen fiktiver Zeitungsberichte lernen wir, daß Tannhäuser den Freitod durch Tabletten wählte und Elisabeth als ehemalige Schülerin ihre Erfahrungen in einem eigenen Buch verarbeitete und sie dadurch zu einer Wegbereiterin der sexuellen Revolution von 1968 wurde. Nun, im Jahr 2015 ist sie selbst Professorin an der Stella Maris Universität geworden und liest über eben jenes Buch, Tannhäuser und sein Werk. Nicht Elisabeth stirbt den Opfertod, es ist Tannhäuser, der seinen Exzessen und dem Rausch erliegt.  

Trotz dieser Abwandlung des Librettos und genannter Unstimmigkeiten funktioniert diese Produktion, denn sie erzählt die Geschichte stimmig und ist sinnvoll aus dem Libretto abgeleitet. Das ist mitnichten eindimensional, sondern lässt Zweifel daran, ob es hier nur um sexuelle Befreiung geht. Gleichzeitig stellt die Inszenierung die Frage, ob zu viel Genuss und eine Freiheit, die in Beliebigkeit, völligem Gehenlassen enden, nicht letztlich in das eigene Verderben führen? Wer ist der himmlische und wer der irdische Amor? Ist nicht erst die Verbindung von beidem, die Verbindung von Eros und Anteros, das anzustrebende Ideal, das Erreichen vollkommener, wahrer Liebe?

Nicht Tannhäuser findet die Erlösung durch Entscheidung für seine Triebe und die Hingabe an die durch die totenköpfige Venus geschickten Versuchungen, die ihn letztlich in den Tod führen. Es ist Elisabeth die nicht nur 1961 während des Skandals um von Ofterdingens Homosexualität, sondern ihr ganzes Leben lang in offensichtlicher Liebe zu ihrem einstigen Mentor steht und ihm somit postum auch seinen Seelenfrieden und die Wiederherstellung seiner Reputation bringt.

Die Worte des Chors beschließen dies: „Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden, er geht nun ein in der Seligen Frieden!“ wird zum erlösenden Klimax, zum strahlenden Finale, die Spannungen werden aufgelöst, der Vorhang fällt. Das Publikum zollt dem Abend mit tosendem Applaus Tribut, immenser Jubel, stehende Ovationen – bravissimi tutti!

E.A.L

 

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