Frankfurt / Opernhaus: „ LA JUIVE „ – Premiere 16.06.2024
John Osborn, Ambur Braid. Foto: Monika Rittershaus
Eine Orchestermusikerin wähnte den Beginn der Premiere eine Stunde später, ließ also auf sich warten und somit erhob sich der Vorhang an der Oper Frankfurt zur Grand Opéra „La Juive“ von Jacques Fromental Halévy 15 Minuten später. Migration, Fremdenhass, religiöse Intoleranz umfassen die Thematik im Handlungsverlauf dieser grandiosen Oper welche während des Konzils in Konstanz anno 1414 spielt. Leider noch immer bzw. gegenwärtig sind diese Themen aktuell und Tatjana Gürbaca verknüpfte auf vortreffliche Weise das noch immer währende leidliche Geschehen der Jahrhunderte in die Omnipräsenz unserer aktionsreiche Gegenwart. Kurz die Vorgänge der Handlung: die titelgebende Rachel sowie ihr Zieh-Vater Eléazar der Goldschmied werden zu vier Anklagepunkten mit dem Tode bedroht und zwar handwerkliche Arbeit an einem christlichen Festtag, verbotener Aufenthalt auf den Stufen der Kathedrale, die verbotene Liason einer Jüdin zu einem Christen dem verheirateten Fürsten Léopold und letztlich die Falschaussage gegen jenen Ehebrecher. Im Opernführer werden zum Finale Vater und Tochter in heißem Öl frittiert, heuer wurde Rachel erhängt und schwebte optisch sehr dekorativ durch die Lüfte.
Inmitten des monumentalen, weißen, imposanten, begehbaren und nach oben offenen Kirchenfragments vor schwarzen Hintergrund kreierte Klaus Grünberg zu wirkungsvollen Illuminationen die Bühnendekoration mit Stufen. Zu diesen wenigen Requisiten und einer inspirierten Personen-Choreographie gelangen Gürbeca zwingende formative Bilder. Wirkten die Konflikte der personellen Konstellationen während der beiden ersten Akte noch unterbelichtet, entwickelten sich die einfallsreichen Situationen später zu atemberaubender Dramatik und trotz Ernsthaftigkeit der Themen im Beziehungsgeflecht gelangen inszenatorisch auch amüsante Momente. Witzige Film-Impressionen zur Ballettmusik empfand ich als gelungenen Gag. Silke Willrett war für die bunte, jedoch wunderschöne epochale Kostüme-Charakteristik verantwortlich.
Fesselnd, voll Spannung wurde Halévys Partitur mit ihren italienisch anklingenden Passagen vom vortrefflich musizierenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu Gehör gebracht. Henrik Nánási gelang es auf vortreffliche Weise, von der ersten bis letzten Note die musikalischen Komponente zu intensivieren. Sein Dirigat zeichnete sich durch Transparenz, hoher Musikalität, federnde Rhythmik, organischen Tempi und auch insbesondere durch seine natürliche Noblesse aus. Ausgezeichnet gelangen dem versierten Dirigenten die orchestralen monumentalen, dramatischen Forte-Ausbrüche mit herrlich elegischen Momenten zu kombinieren und schuf somit interessante Instrumental-Trouvaillen mit stets wachem Blick zur Solisten- und Chorgarde.
Bevor ich jedoch die Leistungen der Protagonisten würdige, möchte ich die imposanten Handlungsträger den von Tilman Michael einstudierten Chor und Extrachor des Hauses hervorheben. Halévys und Scribes schonungslose Darstellung der Massen, deren unterwürfigen Jubelgesänge blitzschnell in Progromaufrufe wechselten, wurden von den meisterhaft agierenden Choristen qualitativ frappierend, agil, stimmschön und homogen interpretiert.
Rollenkonform, stimmlich gut disponiert bot Ambur Braid ein ansprechendes Portrait der titelgebenden (adoptierten) Jüdin. Ihr Sopran war der hohen Tessitura souverän gewachsen, zeichnete sich durch leichte Tongebung, einem Reichtum an farblichen Nuancen aus. Braid war eine überzeugend darstellerische Rachel, bewältigte mit dramatischem Höhenpotenzial diese anspruchsvolle Partie.
Kokett, optisch attraktiv präsentierte Monika Buczkowska die Eudoxie und meisterte mit schönem Soprantimbre das koloraturreiche Höhenpotenzial der Partie mit Noblesse und Bravour.
John Osborn, mir noch als exzellenter Werther und vortrefflicher Arturo in „I Puritani“ in bester nachhaltiger Erinnerung, entwickelte sich vom belkantesken Spinto im natürlichen Reifeprozess zum eindrucksvollen Charakter-Repräsentanten. Osborn schenkte dem rachsüchtigen Goldschmied glaubwürdige, intensive, dem verzweifelten Vater enorm emotionale Züge, die Darstellung dieses zwiespältigen Charakters ging regelrecht unter die Haut. Nun gewann inzwischen die Vokalise des sympathischen Tenors an heldischem Potenzial, in warmen Farben erklang der Mittelbereich, zunächst wirkte sein Vortrag leicht verhalten bzw. klug disponiert bis zum dritten Aufzug, um sodann in schönstimmiger kraftentfaltung der Dramatik gerecht zu werden, Brogny im Duett großartig Paroli zu bieten. Wunderschön, legatoreich erklang in schierer Verzweiflung die Arie Rachel, quand du Seigneur, in fundamentalem Höhenstrahl die folgende Cabaletta. Bravo! Auf den Liederabend des vielseitigen Sängers im Opernhaus am 08. Juli darf man sich freuen.
In äußerst glaubwürdiger Intensität verkörperte Simon Lim den Kardinal Brogny, verströmte mit herrlich timbriertem Basspotenzial sonoren, flexiblen, voluminösen Wohlklang.
Mit zwei Stimmen präsentierte Gerard Schneider den Schwerenöter Lépold, zum einen erklangen seine Mitteltöne substanzreich mit tenoralem Schönklang und lyrische, höhensichere Obertöne präsentierte der smarte Sänger mit angenehm klingender Kopfstimme.
Vorzüglich setzte Sebastian Geyer als Aufwiegler Ruggerio seinen weichen Bariton bestens in Szene. Eine schöne, schlanke Tenorstimme ließ Danylo Matviienko in der Rolle des Albert vernehmen.
Mit Bravos und prasselndem Applaus wurden Solisten, Chor, Orchester und Dirigent bedacht, Euphorie wie beim Tannhäuser kam nicht auf. Pro und Contra hielten sich die Waagschale fürs Produktions-Team.
Gerhard Hoffmann