Audun Iversen (Posa), Andreas Bauer Kanabas (Philipp). Foto: Barbara Aumüller
Frankfurt: „DON CARLO“ WA – 07.12.2019
Zur 6. WA des „Don Carlo“ (G. Verdi) wartete die Oper Frankfurt erneut mit einer interessanten Neubesetzung der Hauptpartien auf. Zudem empfinde ich es persönlich als besonderes Erlebnis der zwar konventionelle jedoch durchaus moderne Inszenierung (David McVicar), deren intensiv-psychologische Personenführung im Kabinett Philipps ihren spannenden Höhepunkt erreichte erneut zu begegnen. Dazu schuf Robert Jones monumentale, variationsreiche Bühnenkonstruktionen und Brigitte Reiffenstuel unterstrich mit ihren authentischen Kostümen die düstere Atmosphäre am spanischen Hof auf eindrucksvolle Weise. Betiteln mich einige Opernbesucher als ewig Gestriger, sorry weit gefehlt! Ist es gar so verwerflich inmitten so manchem gegenwärtigen Regietheater-Fauxpas, eine auf jeder Linie stimmige Produktion, in welcher Optik und Akustik auf beglückende Weise betören und positiv zu bewerten? Die Besucher zeigten sich wiederum begeistert und dankten der Oper Frankfurt mit ausverkauftem Haus.
Transparent, rhythmisch, federnd, dramatisch auftrumpfend ohne überproportionierte Fortissimo musizierte das in allen Instrumentalgruppen vortrefflich disponierte Frankfurter Opern- und Museumsorchester „Italiana“ pur. Gastdirigent Stefan Soltész verstand es minuziös die multilateralen Klangstrukturen Verdis zu demonstrieren, animierte den prächtig aufspielenden Klangkörper zu dynamischer Spielkultur.
Hovhannes Ayvazyan (Carlo), Tamara Wilson (Elisabetta). Foto: Barbara Aumüller
Wie schon zuvor in diversen Partien wie ebenso zur WA 2016 überzeugte uneingeschränkt Tamara Wilson als Elisabetta. Der Sopran der amerikanischen Sängerin gewann seit dem letzten Erleben noch mehr an fundamentaler Expressivität an vokaler Schönheit. Anrührend in nobler Rollengestaltung überzeugte Wilson als ausdrucksstarke unglückliche Königin. Unglaublich die Legato-Bögen, die beseelten Piani, das herrlich weiche Timbre, das Erblühen in die oberen klangvollen Sopranlagen. Großartig verstand es die Künstlerin in stilistisch raffinierter Stimmführung dieser tragischen Figur alle darstellerischen wie vokalen Facetten zu inkorporieren.
Carmen Topciu debütierte am Haus, ihrer Eboli mangelte es beim Schleierlied noch an Flexibilität, ihre Höhen klangen matt, weniger strahlend. Ihr Mezzosopran punktete lediglich mit kräftiger Mittellage, dunklen Schattierungen und dramatischer Aussage zur Szene O don fatale.
Frech, burschikos mit strahlend hellem Sopran kam der Page Tebaldo (Bianca Andrew) daher, eindrucksvolle engelgleiche Töne schenkte Florina Ilie der Stimme von Oben.
Die Krone des Abends gebührt jedoch allen Zweifeln erhaben Andreas Bauer Kanabas. Ein König Philipp von majestätischer Aura umflort, verstand es der grandiose Sängerdarsteller den in den Zwängen der Hofetikette gefangenen Monarchen eindrucksvoll zu gestalten, gewährte allerdings auch in einer Scala von Ausdrucksformen eindringlich Blicke hinter die bröckelnde Fassade des schicksalshaften Menschen. Ein unglücklich Gefangener seiner Gefühle sehnte sich ebenso nach Liebe, Wärme, Freundschaft und scheiterte schließlich im Bannkreis der Konventionen. Zur noblen Rollengestaltung überraschte der stimmgewaltige Bass mit einer Weltklasse-Vokalleistung. Ob nun im einsamen tieferschütternden Monolog, den eindrucksvollen Duetten, oder im Überstrahlen der Ensembles Andreas Bauer Kanabas führte sein prächtig-voluminöses, herrlich-timbriertes, kultiviertes Bass-Potenzial zu eindringlicher Prädikation. Auf den König Marke darf man sich schon heute (wie bereits in Kassel) freuen!
Musikalisch hochmotiviert in herrlich belcantesker Manier ließ der Bariton Audun Iversen seine schöne Stimme erklingen. Neben einer vortrefflichen Darstellung schenkte der norwegische Sänger dem Posa eindrucksvolle, weiche, feintimbrierte, herb-männliche Vokalisen auf beeindruckende Weise und sicherte sich verdient die Publikums-Gunst.
Die Tonalität des Fontainebleau-Aktes waren nicht ganz die Sache von Hovhannes Ayvazyan, doch allmählich entwickelte sich der dunkel timbrierte Tenor mit klangvollen Mittelbereichen zu imposanter Aussage und schenkte dem unglücklichen Don Carlo beklemmende darstellerische Größe.
Nachtschwarz, unversöhnlich mit reifem Bass-Potenzial gestaltete Magnus Baldvinsson den Großinquisitor. Schönstimmig verlieh Anthony Robin Schneider dem Mönch Autorität. Hans-Jürgen Lazar gab Graf Lerma sowie dem Herold die gewichtigen Ankündigungen. Ungewöhnlich belcantesk, herrlich homogen präsentierten sich die sechs flandrischen Deputierten: Danylo Matviienko, Pilgoo Kang, Frederic Mörth, Seung Won Choi, Florian Rosskopp, Miroslav Stricevic.
Ja und wie immer in Präzision, Plastizität und fein abgestuftem Vokalklang präsentierten sich vortrefflich Chor und Extrachor von Tilman Michael bestens vorbereitet und trugen zum besten Gelingen dieser qualitativ-grandiosen, umjubelten Aufführung bei.
Weitere Aufführungs-Daten: 13./20./ + ab 22. mit teils bzw. kompletten Neubesetzungen der Hauptpartien sowie 26../28.12. + 01./06.01.2020
Gerhard Hoffmann