Frankfurt: Die ersten Menschen von Rudi Stephan 2.7. 2023 Prem.
Foto: Mathias Baus
Die Oper Frankfurt bringt als letzte offizielle Saisonpremiere (nachgeholt wird aber noch der aus der Coronazeit Le Vin Herbé/Zaubertrank von Frank Martin) „Die ersten Menschen“ von Rudi Stephan über 100 Jahre später nach ihrer Uraufführung 1920 im alten Opernhaus, auch in Frankfurt, heraus. Damals war aber Rudi Stephan, der als einer der größten kompositorischen Begabunge und als Genie des beginnenden 20.Jahrhundert gilt, bereits fünf Jahre tot, nämlich 28jährig im ersten Weltkrieg gefallen. Ein Frühvollendeter, dessen einzige Oper auf den Text des gleichnamigen Dramas von Otto Borngräber von der damaligen Fachkritik hochgelobt wurde, und der in Bereiche des die 20er Jahre beherrschenden expressionistischen Komponisten Franz Schreker vorstieß, der in den letzten Jahren auch häufig in Frankfurt wieder zur Aufführung kam.
Dirigent war der scheidende GMD Sebastian Weigle, der vor ca. 15 Jahren mit der ‚Frau ohne Schatten‘ fulminant begann, und jetzt auch mit einer Oper aus dieser Umbruchszeit beendete und bei seinem Abschied groß gefeiert wurde.
Es geht in der Oper um die ersten Menschen Adam,Eva nach der Verbannung aus dem Paradies sowie ihre Söhne Kain und Abel, aber nach der hebräischen Aussprache leicht veränderten Namen. Beim Regisseur Tobias Kratzer handelt es sich aber eher um die Letzten Menschen, denn er läßt sie in einer Bunkerwohnung hausen, die sie sich nach einer großen Erdkatastrophe eingerichtet haben, mit gehorteten Lebensmitteln in Dosen und mit Strom-Aggregaten, die aber nicht immer funktionieren. Nach oben führt eine eiserne Wendeltreppe (Bb und Kost.Rainer Sellmaier, Licht: Joachim Klein). Die Liebe zwischen Adahm und Chawa (Eva) funktioniert nicht mehr. Kajin will nur noch die Welt durchstreifen und ein ‚wildes Mädchen‘ finden, obwohl das eigentlich unmöglich ist, da die Außenwelt verstrahlt ist. Im Grunde liebt er aber seine Mutter Chawa. Chabel, der jüngere, hat ein Gotteserlebnis und bringt einmal ein Schaf mit als Opfer, das er mit seinen Eltern dem ‚Liebesgott‘ opfert. Der erste Akt endet, daß Kajin alle Vorräte von den Regalen wirft und der Strom ausfällt, so daß Vater und Sohn mit Halogen-Taschenlampen aufeinander losgehen und ein allgemeines Chaos entsteht. Die Musik ist hier auch am besten auf Kajin konzentriert, indem sie spannend dramatische Anläufe für den Erstgeborenen beinhaltet, die dieser mit seinem äußerst markanten, fast stählernem (Baß)bariton in Gestalt des Frankfurter Ensemblemitglieds Iain Macneil umwerfend gestaltet. Insgesamt ist die Musik des 1.Aktes noch eher in Wagnernähe, und auch von der Thematik Inzest her, seiner Walküre, der Schatten des Riesen läßt sich auch bei so einem Neutöner wohl nicht verhehlen.
Im finalen 2.Akt ist diese geschniegelte wohlstandsgesättigte Wohnung auf ein Bühnenbild auf der Drehbühne mit einer fahlen vernichteten Natur mit abgestorbenen Baumspitzen, in der auch ein ausgebranntes Autowrack liegt, geswitcht. Hier sehen wir auch ein von Chabel seinem Liebesgott gewidmetes hohes Backsteinmonument. Nun ist aber auch Chawa aus der zu dem Erdloch führenden Klappe herausgestiegen, und beide können sich erstmals der Gasmasken entledigen. Es deutet sich hier eine sich stetig entwickelnde Liebessbeziehung zwischen den beiden an. Als Chawa verschwindet, taucht Kajin auf, der natürlich kein wildes Weib gefunden hat, kann aber Chabel entlocken, daß er sich Chawa in dem Gott seiner Liebe verbunden fühlt, was seine Eifersucht anstachelt. Tatsächlich gewahrt er später, wie es sein Bruder und seine Mutter in dem Autowrack miteinander treiben. Er zerrt Chabel heraus und erschlägt ihn. Chawa will ihn an Kajin rächen. Doch nun steigt auch Adahm aus dem Erdloch heraus, verzeiht Kajin letztlich seinen Mord und wendet sich wieder seiner Gattin zu. Als nun auch plötzlich Menschen wie am Ende einer Bayreuther Nibelungen-Inszenierung der 90er Jahre (könnte von Jürgen Flimm gewesen sein) auf der Bühne stehen, wird diese positive Wandlung auch vom Brudermörder Kajin, der weiterlebt, akzeptiert.
Diese Schlußwendungen werden von der prallen, spannend auslotenden dramatischen Musiksprache Rudi Stephans vorangetrieben und absolut stark beglaubigt. Und Sebastian Weigle lobt nach dem brausenden Schlußapplaus sein Frankfurter Orchester in den höchsten Tönen, denn es habe die in die Zukunft weisende Partitur wirklich so blendend wiedergegeben, er habe nur gedankliche Anstöße und Impulse gegeben.
Chawa Ambur Braid ist dem Haus seit längerer Zeit verbunden. Ihr steht ein jugendlich dramatischer Heldinnensopran erster Güte zur Verfügung, den sie glockenrein führt, auch wenn sie in der ‚Kernfamilie‘ (T.Kratzer) zuerst die sich meist zurückziehende Resignierte erscheint. Sie wächst am Ende mit schmelzendem Timbre über sich hinaus.
Ihr Adahm ist Andreas Bauer Kanabas mit sehr distinguiertem aber hellgetöntem flexibel einfühlendem Baß. Den Chabel singt tenoral Ian Koziara, der schon als Fritz in Schrekers Der ferne Klang Furore gemacht hat. In prätentiösen Bögen zeichnet er seine Visionen von einem neuen Gott der Liebe, die er auch leidenschaftlich in die aufblühende Liebe zu Chawa einfließen läßt.
Friedeon Rosén