Frankfurt: Maskerade von Carl Nielsen 31.10. 2021. Prem.
Copyright: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt
Frankfurts Opernintendant Bernd Loebe, dem jetzt sein langjähriger GMD Sebastian Weigle abhanden gekommen ist (Ersatz wurde bereits gefunden), hat bei Opern-Ausgrabungen und Uraufführungen meist ein gutes Händchen, und auch das ist ein Grund für die derzeitig hervorragende Stellung der Oper Frankfurt im deutschsprachigen Raum. Nach zwei mehr oder weniger unbekannten Barockopern (AMADIGI von Händel und L’ITALIANA IN LONDRA von Cimarosa), die großen Erfolg beim Publikum und auch bei der Presse verzeichnen konnten, stand jetzt eine romantische bis neoklassizistische Oper an, MASKERADE von Carl Nielsen, hier eigentlich nur als dänischer Nationalkomponist einiger Symphonien bekannt. In Dänemark soll sie aber mir dem Text von V.Andersen nach der Komödie von L.Holberg quasi Kultstatus genießen. Entsprechend war man gespannt, da auch seitens der Oper Vorschlußlorbeeren verteilt wurden, indem MASKERADE als eine der besten Komischen Oper des 20.Jahrhunderts (UA Kopenhagen 1906) bezeichnet wurde.
Die Realität der Aufführung ließ eine etwas andere Gemengelage erkennen. Zunächst aber zur Nielsen’sche Musik. Sie ist von dem Dänen ganz hintergründig verfaßt, im Vorspiel, nur andeutungsweise durch schlafende TänzerInnen bebildert, hat man gleich den Eindruck einer höchst romantischen Komödie, fühlt sich sogar an Meistersinger oder Fallstaff erinnert. Im weiteren Verlauf zeigt sich aber, daß Nielsen eine kluge packende Situationskomik für die einzelnen Personen kreiert und dabei weitgehend tonal verbleibend einen äußerst hohen Grad von Virtuosität erreicht, die sich ohne weiteres mit Richard Strauss messen kann. Dies wird alles sehr lustvoll vom Frankfurter Orchester auf hohem Niveau musiziert. Titus Engel kann dazu in seiner Interpretation auch große Bögen setzen, Temposchwankungen redigieren sowie musikalische Satz- und Tanzgestalten (zB ‚Hahnentanz‘) akzentuieren.
Dagegen erscheint die Handlung wirklich etwas bieder und ohne wirklichen Plot. Der Kopenhagener Bürger Jeronimus nimmt Anstoß an den vielen Maskeraden und Tanzvergnügungen in der Stadt. Er verbietet seinem Sohn und dessen Diener, sie weiterhin zu bevölkern und installiert seinen allerdings bestechlichen Diener als Hauswache. Auch seine Frau, die sich in einen Geschäftsfreund verliebt hat, will wieder auf den Maskenball. Jeronimus selber spitzelt ihnen hinterher, läßt sich aber selber von einer freizügigen Tänzerin bezirzen. Für Sohn Leander stellt sich die wiedergefundene Leonora als die Tochter des Geschäftsfreunds, mit der Jeronimus ihn verheiraten wollte, heraus. Alle ’neuen‘ Paare finden sich also auf der Maskerade wieder. Sehr befremdliche erscheint, daß der Maskeraden-Meister, der vorher auch als ‚Nachtwächter‘ auftrat, am Ende des Spektakels die Abnahme der Masken verordnet.
Regisseur Tobias Kratzer, mit seinen Wagner Interpretationen bekannt geworden und in Frankfurt mit einer starken bildkräftigen AFRIKANERIN/Vasco da Gama von Meyerbeer und einer sozialpsychologisch ausgedeuteten FORZA DEL DESTINO präsent, meint, bei MASKERADE komme es auf keine Aktualisierung des Stoffes an, der Modernität an sich ausstrahle. Dabei kann er sich natürlich stark auf die Rückbindung an die Musik verlassen, die bei vielen Situationen auf der Bühne in Aktion umgesetzt wird. Aber die eigentliche Witzigkeit und Situationskomik kommt durch die Neuübersetzung von Martin G.Berger zustande, der für einige Obszönitäten auch Buhs bekam. Es ist eine ins Spiel integrierte relativ große Übertitelungsanlage, die seine Neudichtungen transportiert und einen erfrischend heutigen fast Jugendslang in die Oper bringt, wie man sie auch bei modernen Opern noch nie erlebt hat. Es wird dabei auch mit Freude gegendert, Beispiel: „Rings herum, das ist nicht schwer/ Niemand weiß mehr: Ist das sie oder er?“ Und das alles in einem Reim-Tsunami, der sich gewaschen hat. Dazu höchste Bewegung auf der Bühne mit einer integrierten 8- köpfigen Tanzgruppe mit designter Unterwäsche (Choreo: Kinsun Chan). Auch der Chor ist mit gewichtigen musikalischen wie spielerischen Aufgaben, hauptsächlich in vertikaler Bewegung sowie mit Läufen in die Bühnentiefe betraut (Einstud.: Tilman Michael). Die Kostüme, darunter auch eine Pippi Langstrumpf und eine große Spielkarte Herzaß für Arv, den Diener Jeronimus‘, erscheinen einem wilden Maskenball angemessen. Das reduzierte und fast abstrakte Bühnenbild besteht nur aus Stufen und einer rechteckigen Rückwand mit (Glas)türen, hinter denen sich auch die Ballkostüme befinden. Mobil arrangierte Sitzecken mit Sekretär und Wandgemälde bei Bedarf. Eine Belebung erfährt es durch die Ü-Titelunsanlage, die sich immer mehr senkt und ins Geschehen einnistet (Ausstattung: Rainer Sellmaier, Licht: Joachim Klein).
Susan Bullock mit Tänzerinnen und Tänzer. Foto: Monika Rittershaus für Oper Frankfurt
Den Jeronimus gibt Alfred Reiter mit sensitiv sonorem, gut akzentuiertem sowie prononcierten Baß. Die Magdelone stellt Susan Bullock. Diese für die hochdramatische Sängerin eher kleine Rolle kann sie aber sehr fein zeichnen und würzen. Als Leander kann Michael Porter mit einem in der Höhe butterweich anpringenden legato geführten Tenor aufwarten. Sein Kammerdiener ist der Bariton Liviu Holender, der mit großer Stimmpalette auf sich aufmerksam macht. Einen furchtsam köstlichen Charakter stellt der Arv des Samuel Levine, hingerissen zwischen Pflicht und Angst vor Strafe. Michael McCown ist Leonard aus Slagelse und bildet tenoral mit S.Bullock eine neues Paar. Monika Buczkowska hat als seine Tochter Leonora in einem sehenswerten rotgrünen glitzer Hosenanzug einen kurzen aber prägnanten Sopranauftritt. Für Pernille, ihre Zofe wurde Mezzo Barbara Zechmeister aktiviert. Als Nachwächter/Maskeraden-Meister extemporiert Bozidar Smiljanic mit geradem Baßbariton und in Mao -Anzug. In Nebenrollen reussieren Danylo Matviienko, Gabriel Rollinson, Joel Stambke, Yongchul Lim und Lars Rößler.
Eine mit großem Aufwand betriebene Ausgrabung, die aber trotz witziger Passagen und hochwertiger Musik trotz bemühter Regie wegen lauem Plot nicht richtig zündet.
Friedeon Rosen