Georg Friedrich Händel: Rodelinda, regina de‘ Longobardi, Oper Frankfurt, Vorstellung: 30.05.2019
(6. Vorstellung seit der Premiere am 12.05.2019)
Die Albträume des Flavio
Still und heimlich, zumindest für jene ausserhalb des Rhein-Main-Raumes und der Alte Musik-Szene, entwickelt sich die Oper Frankfurt am Main zu einem Zentrum der Barockoper. Allein in der laufenden Saison gab es die drei Händel-Opern Rinaldo, Xerxes und Rodelinda, in der kommenden Saison sind Radamisto und Tamerlano angesetzt.
Händel-Opern werden in Frankfurt weder vom klassischen Opern-Orchester noch von einer Spezialformation aufgeführt. Ausführende sind Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, die sich aus persönlichem Interesse über Jahrzehnte in Zusammenarbeit mit namhaften Persönlichkeiten mit der Alten Musik und ihrer Aufführungspraxis auseinandergesetzt haben. Vorbild sei, so der Dramaturg Konrad Kuhn in seiner Einführung, das diese Jahr sein zwanzigjähriges Jubiläum feiernde «Orchestra La Scintilla» aus Zürich. Hier schlugen Nikolaus Harnoncourt und der Monteverdi-Zyklus die Funken, die die Begeisterung entfachten und schliesslich zur Gründung der Scintilla führten.
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Leitung von Andrea Marcon spielte im hochgefahrenen Orchestergraben hervorragend auf. Wenn überhaupt, wäre zu wünschen, die Instrumental-Soli würden etwas akzentuierter gespielt. Man glaubte eine Spezialformation zu hören. Grosses Kompliment!
Die mit dem Teatro Real in Madrid, der Opéra de Lyon und dem Gran Teatro del Liceu in Barcelona koproduzierte und dort bereits gelaufene Produktion der Rodelinda, zeigt, dass Händel-Opern (und besonders der Rodelinda) mit heutigem Wissen vorbehaltlos zu trauen ist. Als 1920 mit Rodelinda in Göttingen die ersten Händel-Festspiele und in der Folge die Händel-Renaissance begann, war dem noch nicht so: Oskar Hagen, Kunsthistoriker, Musiker und Spiritus Rector der Festspiele, sah die Notwendigkeit die Oper an die Aufführungs-Bedingungen sei er Zeit anzupassen. Diese «Anpassung» war so radikal, dass sie schon damals Proteste auslöste. (Umso weniger verständlich ist es, dass es wie im Fall des Poros der Komischen Oper Berlin heute immer noch Händel-Produktionen auf dem Niveau von 1920 gibt).
©Monika Rittershaus
Claus Guths Inszenierung der Rodelinda nimmt eine der Besonderheiten des Werks als Ausgangspunkt: die Rolle des Flavio. Flavio ist der Sohn Rodelindas: es ist eine stumme Rolle und die einzige Kinderrolle im Oeuvre Händels. Guth schildert die Geschehnisse im lombardischen Königshaus aus Sicht Flavios. Die relativ knapp gehaltenen szenischen Anweisungen im Libretto erlauben es Guth die Rolle auszugestalten, die Handlung mit der Gegenwart zu verknüpfen, ohne dass dies der Oper zuwiderläuft. Christian Schmidt hat Guth für seine Inszenierung ein hoch ästhetisches Einheitsbühnenbild geschaffen: auf der Drehbühne steht eine klassizistisch inspirierte Villa. Für die Südstaaten etwas zierlich geraten, vielleicht ein Landsitz eines Paten? In diesem szenischen Rahmen, ergänzt durch Videoeinblendungen von Flavios Kinderzeichnungen mit denen er das Erlebte verarbeitet, erzählt Guth die Geschichte wie vom Libretto vorgegeben.
©Monika Rittershaus
Zum Gelingen einer Barockoper mit ihren ganz speziellen Aufführungstechniken tragen die Solisten ganz wesentlich bei und auch in diesem Bereich konnte die Oper Frankfurt voll und ganz überzeugen.
Lucy Crowe sang die Rodelinda mit perfekter Technik und konnte im Verlauf des Abends in ihren acht grossen Arien mit ihrer ausserordentlich klaren Stimme überzeugen. Andreas Scholl sang einen makellosen Bertarido. Im Spiel wirkte er manchmal recht zerbrechlich, was aber für einen Herrscher, der vor dem Widersacher erstmal flieht und Frau und Kinder zurücklässt, durchaus passt. Martin Mitterrutzner verkörperte Bertaridos Widersacher mit prachtvollem Tenor etwas zurückhaltend. Auch das passt, denn fürs Grobe hat Grimoaldo ja seinen Freund Garibaldo an seiner Seite. Božidar Smiljanić als Garibaldo, Bassbariton und fast einen Kopf grösser als Grimoaldo ging ganz in seiner Rolle auf. Bertaridos Gefährte, verkörpert von Jakub Józef Orliński, dem „Rising Star“ unter den Countertenören, wurde von der Regie als Diener im Hause Bertarido gezeichnet. Unklar, ob die Slapstick-Bewegungen von der Regie gewollt oder dem Bewegungsdrang des prämierten Breakdancers zuzuordnen sind, bleibt festzuhalten, dass hier weniger mehr sein könnte. Katharina Magiera sang die Eduige, die Schwester Bertaridos, die Grimoaldo heiraten soll, dann von diesem „zu Gunsten“ von Rodelinda kaltgestellt wird und ihn am Schluss doch nehmen muss.
Fast dauernd auf der Bühne ist in der Inszenierung von Claus Guth Flavio, der Sohn von Rodelinda und Bertarido. Der Schauspieler Fabián Augusto Gómez Bohórquez hat die Figur hervorragend und vor allem glaubhaft verkörpert. Die seinen Albträumen entspringenden Maskenfiguren wurden von Gal Fefferman, Evie Poaros, Manuel Gaubatz, Volodymyr Mykhatskyi, Michael Schmieder und Markus Gläser gespielt.
Was bleibt vom Abend, abgesehen von wunderbarer Musik und schönen Kostümen, was ist die Moral von der Geschichte? Für einmal ist der Sohn des Königs nicht in dem Alter, in dem er am Schluss der Oper als neuer König verherrlicht werden kann, und so bleibt, ganz im Sinne der von Flavios Erlebnissen, den Zeichnungen und den dem kindlichen Gemüt erscheinenden Horror-Masken, ausgehenden Inszenierung von Claus Guth, der Hinweis, dass die Alten doch die Folgen ihres Handelns für die Jugend bedenken mögen.
Riesige Begeisterung des Publikums. Zu Recht!
Weitere Aufführungen: 01.06.2019 und 08.06.2019 (Stand 31.05.: beide ausverkauft).
31.05.2019, Jan Krobot/Zürich