Frankfurt, Kunsthalle Ludwig: Ausstellung Stefan Stichler: Als ich zog fiel Glut in nasse Farbe.
Ausstellung geöffnet bis 31. März 2017
Seit Mitte Februar präsentiert der in Marburg geborene Künstler Stefan Stichler den dritten Teil seiner Ausstellungsreihe As I become Invisible in der Kunsthalle Ludwig in Frankfurt Höchst. Er sagt über sich selbst: „Ich suchte meine Vorbilder, fand sie und verwarf sie wieder. Ich wollte meinen Platz entdecken und fand ihn zwischen den Stühlen. Suchen wird zum Finden, Selbstbestimmung zur Bedingung. Skateboarding, Musik, Literatur und die Straße, Scheitern und Erfahrung sind die Lehrmeister. Ich bin Autodidakt.“
Charakteristisch für Stichlers Malerei sind die verschwommenen Konturen seiner Motive, welche durch die zeitlosen und neutralen Hintergründe ein Fenster zu verschiedenen Interpretationen offen lassen. Im Zentrum seiner Werke steht der im Kontext äußerer Rahmenbedingungen und inneren Konflikten agierende Mensch.
Links von Kuratorin und Organisatorin Marina Medina sehen wir das Ölgemälde mit dem Titel „Romantik 21“. Es zeigt die Darstellung eines einzigen Menschen. Es scheint frisch geregnet zu haben denn er wird von seinem Schatten begleitet, der sich deutlich auf dem nassen Boden widerspiegelt. Der helle Hintergrund kontrastiert mit der Darstellung des dunkel angezogenen Mannes, der den Betrachtern den Rücken zeigt. Stefan Stichler stellt undefinierte Konturen der Gebäude im Hintergrund dar, so dass sich das Geschehen mit keinem bestimmten Ort verbinden lässt. Er entfernt den Mensch von seiner Umgebung und verleiht ihm dadurch eine besondere Aufmerksamkeit. Der schlanke Mann beschreitet entschieden seinen Weg.
Auf dem rechten Bild mit dem Titel „Gleichwerden“ sehen wir einen Mann, der alleine mit seinem Aktenkoffer in der Hand durch eine Bürolandschaft geht. Diese könnte in der Finanzmetropole Frankfurt, aber auch genau so gut in so ziemlich jeder anderen Bürostadt dieser Welt zu finden sein. Auffallend ist, dass der Herr im Spiegelbild einen andersfarbigen Anzug anzuhaben scheint und auch die Gebäude bei genauerer Betrachtung andere Formen und Farben haben, als diejenigen in der realen Welt. Vielleicht ist das Spiegelbild real und die Realität eine Illusion?
Radikal sind nicht die Bilder als solche, sondern der Ansatz eines Umdenkprozesses, der hinter der Oberfläche möglich erscheint. Es gilt, die Freiheit umfassend neu zu gestalten, nicht als gesellschaftliche Konvention, sondern individuell für jeden Einzelnen. Es gilt herauszutreten aus den Macht- und Repressionsmechanismen, die eine neoliberale Gesellschaft des „perfekten“ und sich selbst optimierenden Individuums hervorbringt. Die Welt verändert sich rasant. Ihre glänzenden Fassaden verbergen oft genug nur wie unfertig und fragmentarisch es eigentlich in und um uns bestellt ist. Diese äußere Welt ist durchscheinend. Man sieht in den Bildern immer auch ein Stück dieser Halbfertigkeit und Brüchigkeit des Moments.
Das Innehalten in reflexartigen Handlungen verbindet sämtliche Figuren. Sie wollen immer besser werden, besser sein und das um den Preis, die Ressourcen bis zur Selbstaufgabe auszubeuten. Die Figuren der Bilder versuchen auszubrechen oder verharren, scheinbar eingefroren, um sich in einer abstrakten Welt in Frage zu stellen. In ihrer Verlorenheit greifen sie gesellschaftliche und politische Probleme mit dem Ziel an, diese möglichst umfassend, vollständig und nachhaltig zu lösen. Das ist die ihnen innewohnende Radikalität.
Der „Straßenprediger“ wird von der gesichtslosen Gestalt auf dem mittleren Teil des Tryptichons aus dem Jahr 2016 nicht wahrgenommen. Redet er schlussendlich gegen die Wand? Macht es überhaupt noch Sinn, sich mitzuteilen?
In den unfertigen, zufälligen Zuständen der Werke besteht für den Betrachter ein großer Spielraum, sich selbst wiederzufinden. Die Bilder sind Anstoß, uns unserer Unfreiheit bewusst zu sein. Sie sind Mahnung, in uns zu gehen und die Welt, die aus den Fugen gerät, besser verstehen zu wollen. Sie sind kein dekoratives Beiwerk, sondern kritische Fragesteller zu unserem Hier und Jetzt. Dennoch wirken sie keinesfalls anstößig oder provozierend, sondern sind optisch ansprechend.
Für mich war der Besuch dieser Ausstellung eine Bereicherung. Auf der Rückfahrt in der S-Bahn nahm ich die vielen einsamen Menschen, die sich alle gemeinsam im gleichen Waggon befanden, aber jeder Einzelne isoliert mit Smartphone oder Zeitung auf seinem Platz saß, viel bewusster wahr. Wohin soll uns das alles noch führen?
Die Ausstellung in der Kunsthalle Ludwig in Frankfurt Höchst ist bis zum 31. März 2017 dienstags und donnerstags zwischen 11:00 und 15:00 Uhr oder nach Vereinbarung mit Marina Medina unter 0157-76431632 zu sehen.
Marc Rohde