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FRANKFURT: „Italien vor Augen. Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte“ Eine Ausstellung im Städel Museum von Frankfurt

29.06.2023 | Ausstellungen

Frankfurt/ Städel-Museum: „Italien vor Augen. Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte“

Eine Ausstellung im Städel Museum von Frankfurt

Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger

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Städel-Museum: Italien vor Augen. Foto: Andrea Matzker

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„Italien vor Augen“. Canale Grande mit Salute, etwa 1850 von Friedrich Nerly. Foto: Andrea Matzker

Was vormals die Veduten von Venedig bei strahlendem Sonnenschein oder vom Vesuvausbruch bei fahlem Mondlicht darstellten, wurde seit 1850 von den ersten Photographen der Zeit festgehalten. Selbst ursprünglich teilweise als Maler ausgebildet und tätig, begannen die ersten Photographen um 1850 in den bedeutendsten Städten der Kultur- und Kunstgeschichte Italiens, ihre eigenen Photostudios zu eröffnen. Kunstvoll hielten sie Kunstdenkmäler und Naturschauspiele Italiens auf den ersten Photographien fest und überließen nichts dem Zufall. Wohlüberlegte Standorte, höchst komplizierte Belichtungszeiten und zielgerichtete Komparserie sorgten dafür, dass ein perfektes Endprodukt entstand. Es entstanden künstlerische Kompositionen als Aufnahmen, die erst später zur Entwicklung der Bildpostkarte führen sollten. Diese entstand erst um 1890 in Lateinamerika und hatte als Ergebnis, dass ca. 1925 in Deutschland die ersten Bildpostkarten ursprünglich zu Reklamezwecken in den Handel kamen.

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„Italien vor Augen“. Ansicht Venedigs um 1875 von Carlo Naya. Foto: Andrea Matzker

Seit dem späten 16. Jahrhundert gehörte es zum Pflichtprogramm eines kulturbeflissenen Europäers oder auch Amerikaners, eine Bildungsreise in die Wiege der Kultur, Italien, zu machen. Denn nirgendwo anders als dort konnte man die Antike und die großen Meister der Renaissance und des Barocks studieren. Diese Reisen führten normalerweise über die Alpen in Pflichtstationen wie Mailand, Venedig, Florenz, Rom, Neapel und Pompeji. All diese Örtlichkeiten und ihre Umgebung gehörten zur sogenannten Grand Tour der Sprösslinge des europäischen Adels. Als Goethe ab 1813 seine „Italienische Reise“ veröffentlichte, entstand ein regelrechter Boom, der den Tourismus aufkeimen ließ. Italien wurde zum Sehnsuchtsland par excellence. Kunst- und Kulturreisen wurden organisiert, Reiseführer wurden zuhauf geschrieben. Plötzlich rückten neben Kunst, Kultur und Natur Italiens auch landesübliche, typische Spezialitäten und Restaurants in den Vordergrund.

Der Leitidee des Gründers Johann Friedrich Städel folgend, konnte in den 1850er Jahren der damalige Direktor Johann David Passavant erste Photographien für die Sammlung des bedeutenden Frankfurter Museums Städel erstehen und begründete damit dessen Lehrsammlung in Sachen Photographie und Kunstgeschichte. Mit diesen historischen Aufnahmen konnte er dem Betrachter Kunst- und Naturschätze Italiens aus der Ferne näherbringen und sie zugleich zugänglich für alle machen. So wurden aus diesen Motiven Sehnsuchtsorte, Forschungsobjekte oder auch Vorlagen für Maler, die sich womöglich eine Reise nach Italien nicht erlauben konnten. Anders als der Frankfurter Georg Sommer (1834-1914), der sich aus Liebe zu Italien „Giorgio“ Sommer nannte und bereits 1856 nach Italien ausgewandert war. Seine spektakuläre Serie von Momentaufnahmen vom Ausbruch des Vesuvs im April 1872 darf als erste Fotoreportage bezeichnet werden.

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„Italien vor Augen“: Riva degli Schiavoni um 1865 von-Carlo Naya. Foto: Andrea-Matzker

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„Italien vor Augen“: Neapel, Blick vom Molo, Giorgio Sommer zugeschrieben.

Die ca. 80 Exponate der bezaubernden, übersichtlichen Ausstellung „Italien vor Augen. Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte“, die vorläufig noch bis zum 3. September 2023 läuft, stammen grundsätzlich aus den Jahren 1850-1890. Der „schiefe Turm von Pisa“ von Enrico Van Lint ist wahrscheinlich das älteste Objekt, da diese Aufnahme ungefähr im Jahr 1855 entstand. Viele Aufnahmen wurden von Carlo Naya (1816-1882) erarbeitet, der als Chronist Venedigs gilt. Er überließ nichts dem Zufall, spontane Fotografien wie heute konnte und mochte er sich nicht erlauben. Ein weiteres Beispiel der Art, wie man damals Photographien erstellte, ist die Engelsburg von Gioacchino Altobelli (1814-1878), der dieses Werk ca. um 1860 herum erstellte. Er wählte den Standort so geschickt aus, dass Engelsburg und Petersdom sich im Tiber spiegeln können, und trotzdem eine Fischergruppe im Vordergrund sitzt, die zwar die Atmosphäre belebt, aber wiederum von der Bedeutung her verschwindet und dadurch auf die wesentlichen Monumente hinweist.

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„Italien vor Augen“. Monreale vor 1886 von Giogio Sommer. Foto: Andrea Matzker

Nach einer Würdigung des Gründers und des damaligen Direktors des Städel Museums am Eingang der Ausstellung führt der offene Rundgang zu den verschiedenen zeitlosen Sehnsuchtsorten, die thematisch zu Gruppen angeordnet sind. Als Vorläufer zur heutigen Bildpostkarte verfügen die historischen Schwarzweiß-Aufnahmen über einen ganz besonderen Charme, der sich auch drastisch im Vergleich zu dem Monitor ausdrückt, der die Bilderwelten von heute mit ihren Selfies in Farbe zeigt und damit das veränderte kulturelle Bildgedächtnis und seinen dementsprechenden Wiedererkennungseffekt im Laufe der Zeit deutlich darstellt. Auch die heutigen Massenansammlungen, beispielsweise in Venedig, stehen im deutlichen Kontrast zu den bewusst fast menschenleer gestalteten Schwarzweiß-Aufnahmen. Wie der heutige Direktor des Museums, Philipp Demandt, so passend zur Illustration des Ausstellungsplakats meinte: „Es liegt optisch irgendwo zwischen Caterina Valente und Pizzakarton.“

Für die Ausstellung an sich, aber auch das gesamte Städel Museum, unter anderem mit dem weltberühmten Goethe-Bildnis Tischbeins, das als sogenannte „Mona Lisa Frankfurts“ gilt, sollte man sich lohnenderweise viel Zeit nehmen. Zur hier besprochenen Ausstellung ist ein begleitendes Buch erschienen, ebenso qualitätsvolle Kunstpostkarten zu zwei Motiven aus den Exponaten. Absolut unverzichtbar ist der Besuch des Museumsshops aber nicht allein aus diesem Grunde, sondern weil es eine größere Italien-Auswahl an interessanten Büchern und Bildbänden zum Thema sonst kaum geben mag als dort. Sie lassen das Herz eines jeden Italianisten aber auch Italien-Liebhabers garantiert höherschlagen.

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„Italien vor Augen“: Vesuv-Ausbruch am 26. April 1872 um 15.00 Uhr. Giogio Sommer zugeschreiben. Foto: Andrea Matzker

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„Italien vor Augen“.  Sorrent ca. 1885 von Giorgio Sommer. Foto: Andrea Matzker

Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger.

 

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