Ein Abend amerikanischer Klangwelten: hr-Sinfonieorchester unter Patrick Hahn
Patrick Hahn – Copyright by hr/C&G Pictures
Der Sendesaal des Hessischen Rundfunks verwandelte sich am 6. März 2025 in eine Bühne musikalischer Entdeckungen. Es war ein Abend, an dem die ganze Bandbreite der amerikanischen Musikgeschichte in schillernden Facetten lebendig wurde. Unter der Leitung des viel beachteten jungen Dirigenten Patrick Hahn präsentierte das hr-Sinfonieorchester ein Programm, das von Leonard Bernsteins überschäumender Energie über George Gershwins jazzige Raffinesse bis hin zu Charles Ives’ impressionistischen Klanglandschaften und der rhythmischen Urkraft Duke Ellingtons reichte.
Mit dabei waren Pianist Frank Dupree, Schlagzeuger Obi Jenne und Kontrabassist Jakob Krupp – Musiker, die nicht nur technisch auf höchstem Niveau agierten, sondern mit ihrem Gespür für Nuancen und Interaktion den Abend maßgeblich prägten. Doch dieses Konzert war weit mehr als eine Hommage an die amerikanische Musik: Es wurde zu einer Demonstration orchestraler Brillanz, klanglicher Vielfalt und leidenschaftlicher Musikalität.
Leonard Bernsteins „Candide“-Ouvertüre eröffnete den Abend mit sprühender Vitalität. Patrick Hahn führte das hr-Sinfonieorchester mit Eleganz und Präzision durch dieses hoch virtuose, energiegeladene Werk. Die Streicher perlten federleicht durch blitzschnelle Läufe, die Bläser setzten pointierte Akzente, und das Blech strahlte mit witziger Schärfe. Hahn ließ die Tempi pulsieren, hielt die Balance zwischen Humor und struktureller Klarheit – ein hinreißender Auftakt, der das Publikum sofort fröhlich stimmte.
Das Herzstück des Programms bildete George Gershwins „Concerto in F“. Frank Dupree, bekannt für seine einzigartige Verbindung aus klassischer Präzision und jazziger Freiheit, verlieh dem Werk eine ganz eigene Note. Das Besondere an diesem Abend war eine Fassung für Jazz-Trio und Orchester: Der warme, erdige Klang des Kontrabasses legte ein tragendes Fundament, während das Schlagzeug mit fein abgestimmten Akzenten die rhythmische Energie verstärkte.
Der erste Satz begann mit einem schwungvollen Orchestereinsatz, dessen rhythmischer Drive sofort fesselte. Dupree setzte mit klarer, pointierter Phrasierung ein und spielte die jazzigen Synkopen mit einer Leichtigkeit, die nie ins Oberflächliche abrutschte. Die dynamische Gestaltung war fein abgestuft, die lyrischen Passagen sangen mit warmer Kantabilität – ein lebendiger, sehr tänzerischer Dialog zwischen Solist und Orchester entstand.
Der zweite Satz geriet zum poetischen Höhepunkt des Abends. Dupree ließ die Melodien mit schwebender Freiheit atmen, spielte mit einer fast schmerzlichen Schönheit, die das Publikum in andächtige Stille versetzte. Das Orchester antwortete mit impressionistisch flirrenden Farben: Die Streicher formten weiche, schimmernde Klangflächen, während die Bläser mit sanften, doch ausdrucksstarken Einsätzen Kontraste setzten. Das ergreifende und zugleich sehr lässige Trompetensolo verstärkte die melancholische Atmosphäre immens.
Im finalen Allegro agitato entlud sich die Energie des Konzerts in einem virtuosen Feuerwerk. Dupree bewies beeindruckende technische Souveränität, meisterte die komplexen Rhythmen und rasant wirbelnden Läufe mit spielerischer Leichtigkeit. Der Höhepunkt war die große Solokadenz, in der das Trio mit einer improvisierten Passage das Publikum förmlich elektrisierte und Obi Jenne Gelegenheit hatte, mit einem kreativen Schlagzeug-Solo zu begeistern. Das Orchester trieb den Satz mit ungezügeltem Drive voran, Bläser und Schlagzeug schufen eine explosive, swingende Spannung – ein mitreißendes Finale, das stürmischen Applaus hervorrief.
Die Begeisterung steigerte sich noch, als Hahn und Dupree zu einer außergewöhnlichen Zugabe ansetzten. Patrick Hahn, selbst ein brillanter Pianist und charmanter Interpret der satirischen Lieder von Georg Kreisler, setzte sich ans Klavier, während Dupree ans Xylophon wechselte. Gemeinsam mit den Triokollegen präsentierten sie Kreisler’s „I hab kei Lust“ mit hinreißender Spielfreude – ein humorvoller Kontrast zum bisherigen Programm. Der Saal tobte vor Begeisterung. Und als dann noch eine Kreisler-Persiflage auf das Schlager-Genre – „Das Mädchen mit den drei blauen Augen“ – erklang, war der Abend endgültig auf dem Siedepunkt der Euphorie angekommen.
Nach der Pause betrat das Konzert eine andere klangliche Dimension: Charles Ives‘ „Three Places in New England“ – ein Werk, das mit seinen komplexen Polyphonien und kühnen Klangexperimenten das Publikum in eine schillernde Welt entführte.
Der erste Satz, „The St. Gaudens in Boston Common“, begann mit dichten, fast chaotisch wirkenden Klangschichten, die sich allmählich zu durchhörbaren Strukturen öffneten. Hahn und das Orchester schufen eine geheimnisvolle, atmosphärische Dichte, in der Streicher feinfühlige, nebelhafte Texturen entfalteten, während die Bläser mit scharfen Akzenten den Kontrast verstärkten.
„Putnam’s Camp, Redding, Connecticut“ war ein Fest der rhythmischen Energie. Hahn dirigierte mit ansteckender Spielfreude, ließ das Orchester in wilden Überlagerungen von Marschrhythmen und folkloristischen Zitaten aufblühen. Besonders das Schlagzeug – mit der markanten Präsenz von Obi Jenne – trieb das Geschehen mit präzisen, kraftvollen Akzenten voran.
Im letzten Satz, „The Housatonic at Stockbridge“, trat die Musik in einen traumhaften Zustand ein. Behutsame, duftige Streicherklänge flossen ineinander, während die Holzbläser entfernte Melodien wie Echos in der Ferne erklingen ließen. Hahn gestaltete diese klangliche Vision mit feinem Gespür für Balance und Nuancen – ein meditativer Abschluss voller poetischer Tiefe.
Zum krönenden Abschluss erklang Duke Ellingtons „Harlem“ – ein sinfonisches Porträt des pulsierenden New Yorker Stadtteils. Das hr-Sinfonieorchester bewies hier seine rhythmische Präzision und jazzige Flexibilität: Die Bläser glänzten mit strahlenden, scharf akzentuierten Phrasen, während Streicher und Schlagwerk den unwiderstehlichen Groove des Stücks meisterhaft einfingen. Hahn ließ das Orchester mitreißend swingen, kombinierte Leichtigkeit mit orchestraler Wucht – ein triumphaler Schluss, der das Publikum mit einem glücklichen Lächeln entließ.
Dieses Konzert war weit mehr als eine stilistische Reise durch die amerikanische Musikgeschichte. Es war ein Abend, an dem orchestrale Virtuosität, solistische Brillanz und pure Spielfreude in idealer Balance zusammentrafen. Besonders Frank Dupree begeisterte mit einer Interpretation von Gershwins „Concerto in F“, die sowohl emotional als auch technisch voll überzeugte. Die Werke von Bernstein, Ives und Ellington rundeten das Programm zu einem Kaleidoskop amerikanischer Musikgeschichte ab. Das hr-Sinfonieorchester war in großer Form und harmonierte prächtig mit seinem Gast-Dirigenten, der hoffentlich bald wieder zu erleben sein wird.
Am Ende blieb die Erinnerung an einen Abend, der durch seine musikalische Qualität, aber auch durch die spürbare Freude und Hingabe aller Beteiligten begeisterte – ein Fest für Ohr, Herz und Seele.
Dirk Schauß, 07. März 2025
Konzert am 06. März 2025 im HR-Sendesaal