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FRANKFURT/ Bockenheimer Depot: PIERROT LUNAIRE (Schönberg) / ANNA TOLL oder DIE LIEBE DER TREUE (Michael Langemann)

18.07.2016 | Oper

Opernabend mit Wien-Bezug in Frankfurt: „Pierrot lunaire“ von Arnold Schönberg und „Anna Toll oder Die Liebe der Treue“ von Michael Langemann (Vorstellung: 17. 7. 2016)

 Im Bockenheimer Depot, der zweiten Spielstätte der Oper Frankfurt, wo seit vielen Jahren selten gespielte Werke und Uraufführungen gebracht werden, fand kürzlich ein Opernabend mit Wien-Bezug statt. Zuerst wurde „Pierrot lunaire“ von Arnold Schönberg (1874 – 1951) gebracht, dessen Uraufführung 1912 in Berlin war, danach die Uraufführung von „Anna Toll oder Die Liebe der Treue“ von Michael Langemann (geb. 1983).


Laura Aikin. Copyright: Monika Rittershaus

 Pierrot lunaire ist die Vertonung von dreimal sieben Gedichten des belgischen Autors Albert Giraud, die 1884 veröffentlicht und von Schönberg mit atonaler und atmosphärisch dichter Musik für „Sprechgesang“ gestaltet wurden. Obwohl der Komponist nie an eine szenische Aufführung gedacht hat, kommt es doch hin und wieder dazu, wie nun in Frankfurt, wo Dorothea Kirschbaum inszenierte. In einem im Programmheft abgedruckten Interview unter dem Titel Zukunftsmusik und wahrhaftige Kunst erläuterte die Regisseurin ihre Vorstellungen: „Wenn man vom Vokalpart ausgeht, stellt man fest, dass der Text nur an wenigen Stellen in der ersten Person spricht. Noch weniger ist das lyrische Ich eindeutig auf einen Pierrot zu beziehen. Es ist eher so, dass über ihn gesprochne wird.“  Aus diesem Grund stellte sie der Sängerin, der amerikanischen Sopranistin Laura Aikin, den Tänzer David Laera als Darsteller an die Seite, dem es wunderbar gelang, Pierrot als jungen melancholischen, missverstandenen Dichter zu spielen.

 Laura Aikin gab die 21 melodramatischen Gedichte mit ihrer ausdrucksstarken und wandlungsfähigen Stimme eindrucksvoll wieder, wobei sie auch die ganze Bühne zu nützen verstand und Pierrot wie ein Quälgeist drangsalierte. Schönbergs Komposition wurde von fünf Musikern auf acht Instrumenten dargeboten, die musikalische Leitung hatte Nikolai Petersen inne.

Zur Musik noch ein lesenswertes Zitat von Pierre Boulez aus dem Jahr 1979: „Was den Instrumentalsatz angeht, befindet Schönberg sich auf dem Höhepunkt seiner Erfindungsgabe und seiner Originalität: Er organisiert eine freie Sprache mit Hilfe von Klangfiguren, die mehr oder weniger stark ausgeprägte thematische Tendenzen aufweisen, und er verwendet bisweilen die strengsten kontrapunktischen Formen.“

 Lang anhaltender Applaus des angespannt lauschenden Publikums für alle Mitwirkenden, worunter sich auch ein paar Statisten der Oper Frankfurt als „Nachtschwärmer“ befanden, die sich recht komödiantisch auf der Bühne tummelten. Viele „Brava“-Rufe gab es für Laura Aikin, „Bravi“s für die fünf Musiker und den Dirigenten.

 Nach einer halbstündigen Pause wurde der Abend mit dem Auftragswerk der Oper Frankfurt Anna Toll oder Die Liebe der Treue von Michael Langemann fortgesetzt. Der Komponist, der sein Werk „Operette in sieben Szenen nannte, schrieb selbst den Text, der auf Arthur Schnitzlers Anatol und Peter Altenbergs Märchen des Lebens basiert. Michael Langemann, 1983 in Moskau geboren, studierte bei Manfred Trojahn und George Benjamin. Mit seiner Oper Musik nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Frank Wedekind brachte er schon einmal den musikalischen Beweis für eine Vertonung eines Werks aus der Zeit um 1900.


Maxi (Nora Friedrichs) und Anna Toll (Elizabeth Reiter) haben Carlo (Ludwig Mittelhammer) in Hypnose versetzt (Foto: Monika Rittershaus)

 Regisseur Hans Walter Richter inszenierte das etwa 80 Minuten dauernde Werk sehr aufwendig und brachte den lustvollen Inhalt sehr anschaulich auf die Drehbühne, die mit ihren vielen Betten, auf denen sich die Darsteller im Nachtgewand wälzten, auch an Schnitzlers Reigen Assoziationen hervorrief (Bühnenbild und Kostüme: Bernhard Niechotz).

 Der Inhalt des Werks, in dem aus Schnitzlers Anatol Anna Toll wird, die ähnlich snobistisch und erotomanisch agiert: Das Stück beginnt mit einer Schicksalsstunde: Baron Diebl mutmaßt eine Affäre seiner Frau Ilona und will die Telefonnummer des Nebenbuhlers, die sie unter ihrer Freundin Anna Toll eingetragen hat. Er zwingt Ilona, ihren Geliebten anzurufen und zu sich zu bestellen. Sie jedoch entscheidet sich, den Mann zu warnen und schreit ins Telefon: „Wir sind entdeckt!“ – Anna quälen hingegen Zweifel, ob ihr Geliebter ihr noch treu ist. Gemeinsam mit Maxi beschließt sie, ihn zu hypnotisieren, um auf diese Weise die Wahrheit zu erfahren. – Gabriel, Maxis eifersüchtiger Geliebter, findet bei ihr zwei Edelsteine, die seinen Verdacht auf eine Liaison zu bestätigen scheinen. – Anna träumt von Arthur, der Selbstmordgedanken hegt, und trifft sich danach mit ihren Freundinnen in einem Brautmodengeschäft. – Arthur will von Ilona alles über Anna erfahren. Stattdessen jedoch gesteht ihm Ilona, obwohl längst verheiratet, ihre Liebe. – Bei einem „Polterabend“ tauschen sich die Herren über Hochzeitsgebräuche aus, die Damen ebenso. Während Diebl und Arthur über Eifersucht philosophieren, gerät der Abend in einen Tumult, da von den Anwesenden immer wieder dieselben Fragen gestellt werden: „Liebst du mich?“, „Bist du mir treu?“ – Auch der „Hochzeitsmorgen“ bei Anna gerät ins Durcheinander, da sie sich entschließt, in dieser Stimmung nicht zu heiraten. Als alle Gäste beisammen sind, kommt heraus, wann wer wo warum betrogen hat oder treu geblieben ist. Alle fragen sich auf einmal, wo sie in der Welt stehen. Resümee: „Nichts ist gewiss!“  

 Das großteils junge Sängerensemble agierte zur Freude des Publikums mit großer Spielfreude. Dennoch hatte die Aufführung einige Längen, die so manche Besucher zur Flucht trieben. In der Titelrolle als Anna Toll glänzte die amerikanische Sopranistin Elizabeth Reiter sowohl stimmlich wie darstellerisch. Es war ein köstliches Vergnügen, ihr bei den „Turnübungen“ in den diversen Betten zuzuschauen. Eine gute Figur dabei machten aber auch die kroatische Mezzosopranistin Nina Tarandek als Ilona und die deutsche Sopranistin Nora Friedrichs in der Rolle der Maxi.

 Mit einer starken Bühnenpräsenz wartete der isländische Bass Magnús Baldvinsson als Baron Diebl auf. Männlich und dazu sehr sportlich wirkte der junge deutsche Bariton Ludwig Mittelhammer in der Rolle des Carlo, des Geliebten von Anna Toll. Den eifersüchtigen Gabriel gab der junge Tenor Simon Bode, der seine Rolle genauso überzeugend spielte wie der Schauspieler Dominic Betz die Rolle des melancholisch wirkenden und zum Selbstmord neigenden Arthur.

 Aufgelockert wurden die sieben Szenen von einer kleinen Tanzgruppe (Eileen George, Miyu Fukagawa, Gel Feffermann, Giovanni Visone), für deren erotisch angehauchte Choreografie David Laera, der Darsteller des Pierrot, verantwortlich zeichnete.

 Das stark besetzte und groß aufspielende Frankfurter Opern- und Museumsorchester, bei dem auch einige Gäste mitwirkten, wurde von Nikolai Petersen geleitet, der im Programmheft einen Beitrag über die Musik des Werks veröffentlichte. Daraus ein Zitat: „Durchaus vom Komponisten intendiert ist der Bezug auf Modelle diverser Stile der Musikgeschichte (Strauss, Puccini, Wagner, Mozart, Bach, Webern, Strawinsky…); erste Assoziationen zur Vertonung einzelner Textabschnitte waren denn auch häufig Vorbilder aus bestehenden Opern. Die Szenen, die dennoch übergreifend einen homogenen, über das Mosaikhafte hinausgehenden Stil erreichen, scheinen mir die gelungensten.“

 Dem Publikum schien das neue Werk gut gefallen zu haben. Es belohnte alle Mitwirkenden und den Komponisten, der sich am Schluss der Vorstellung gemeinsam mit dem Sängerensemble verbeugte, mit lang anhaltendem Beifall. Ein paar „Brava“-Rufe gab es für Elizabeth Reiter, die Darstellerin der Anna Toll.

 Udo Pacolt

 

 

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