Holger Falk, Juanita Lascarro. Copyright: Barbara Aumüller
Frankfurt: ENRICO / Trojahn 31.1.2018 Premiere
Die Oper Frankfurt bringt im Bockenheimer Depot „Enrico“, die erste Oper von Manfred Trojahn von 1991 auf einen Text von Claus H.Henneberg nach dem Drama Enrico IV. von Luigi Pirandello. Dabei handelt es sich um eine dramatische Komödie in 2 Teilen und 9 Szenen. Es geht um ein relativ zeit- und ortloses Spiel, das der Adlige Enrico mit seinen FreundInnen aufführt, indem auch seine fünfköpfige Dienerschaft einbezogen ist. Die darauf bezogene Vorgeschichte ist das Maskenfest seines Freundes und Widersachers Belcredi, auf dem er auf einem Pferd sitzend den deutschen Kaiser Heinrich IV. verkörpert, und in dem seine Liebe zu der Marchesa Matilda Spina, ebenfalls verkleidet, nicht erwidert wurde. Danach flüchtete er sich in den Wahnsinn, sich weiterhin für Heinrich IV. haltend. Im 1.Teil treffen seine Freunde von damals und heute ein, neben den bereits erwähnten: Frida, die Tochter Matildas, verlobt mit Carlo di Nolli, und der Dottore, Enricos Therapeut. Alle sind bestrebt, ihn von seinem Wahnsinn, auch durch ein neues Maskenspiel zu erlösen. Der Plan des Dottore ist, bei Enrico durch eine Konfrontation mit Frida vor dem Bild ihrer Mutter als Gräfin der Toscana eine Reaktion auszulösen. Belcredi bleibt skeptisch. Im 2.Teil stellt sich Belcredi während der Konfronation zwischen die Beiden. Enrico stürzt sich auf Frida, in der er die Doppelgängerin ihrer Mutter zu erkennen glaubt. Den Belcredi ersticht er mit einem Schwert. Damit ist sein Schicksal als lebenslanger Wahnsinniger besiegelt.
Manfred Trojahn schreibt dazu eine über weite Strecke in Bann ziehende Musik, die aber seltenst harmonisch tonal bezogen ist. Sie ist besonders durch ihre oft atemberaubende Schnelligkeit gekennzeichnet, die auch den Gesangssolisten bei gleichzeitig heftigem Agieren kaum Zeit zum Atemholen läßt. Von einem etwas reduzierten Orchester wird Enrico mit aufbrausender Musik voll Glissandi und Tremoli gezeichnet, die bis in das stumpfe Pochen der Pauken absackt. Sehr sensibel erfindet Trojahn Melodien für sein Leibinstrument, die Flöte. Matilda wird musikalisch als hysterische Diva gezeichnet, die aber eine Wandlung zur Empathie hin mit Enrico erfährt. Belcredi wird als rationaler Mann mit Tonrepetitionen der Harfe charakterisiert. Der Dottore läßt das Orchester bis auf wenige Sforzatiakkorde verstummen, sein Personalmotiv ist ein Posaunenglissando. Die Diener bringen in ihrer Parodie eines mittelalterlichen Chorals die Vorfreude auf die „Enttarnung“ ihres Herrn zum Ausdruck. All dies ‚Rattern d Wispern‘, aber auch den Schönklang bringt das Orchester zu einem niveauvollen gültigen Ausdruck, noch hervorzuheben ist die 1.Geige mit unzähligen geschmeidigen Solo-Attacken. Dirigent Roland Böer hat sich die Partitur zu eigen gemacht, eine Annäherung an die fast unspielbaren Tempi geschafft und sie mit den soft langsam gezogenen Stellen zu einer Einheit verschmolzen.
Regisseur Thomas Heyder bemüht sich, die Handlung bzw den Traum- resp. Wahnsinnsdiskurs in eine schlüssige Bühnenerzählung zu übersetzen. Britta Tönne hat ihm das Einheits-Bibliotheks-Rondell gebaut, dessen Bücheroval bis fast unter die Decke des Bockenheimer Depots reicht. Der Boden ist mittig sternenförmig aus Holz verlegt. Auf- und Abgänge befinden sich ganz oben an einem halbsbrecherischen Rundgang, die Wendeltreppe hinunter, dort der Abgang zur Unterbühne. Die schnittigen (Spina-) und glockigen (Frida)kostüme stammen von Verena Polkowski. Enrico tritt selbstredend im härenen Büßergewand, darunter Baumwollwäsche, auf.
Die Titelfigur wurde baritonal von Holger Falk mit ansprechendem Organ, gut auch in den Parlandopassagen, gegeben, bei seinen ‚Wahnsinnsstellen‘ flüchtet er sich ins Falsett. Juanita Lascarro gibt mit ihrer tiefer und elegisch dunkler gewordenen Stimme ganz plastisch die Matilda Spina. Sebastian Geyer ist Tito Belcredi mit seinem expressiven nie manirierten Bariton. Frida, Angela Vallone, kann wirklich wohlklingende Fiorituren mit angenehm lyrischem Sopran produzieren. Carlo di Nolli gibt Theo Lebow tenoral, den dottore übernimmt Dietrich Volle mit seinem elegisch ‚rationalen‘ Bariton. Die Diener werden von Peter Marsh (Tenor), Samuel Levine (Tenor), Björn Bürger (Bariton) und Frederic Jost (Baß) auch in den Ensembles bravourös gesungen. Enricos Lieblingsdiener ist der Baßist Dogus Güney.
Friedeon Rosén