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FRANKFURT/ Bockenheimer Depot: AMADIGI von G.F. Händel, Amadigi im Wellness-Center: Ein Fest der Stimmen

04.10.2021 | Oper international

Georg Friedrich Händel: Amadigi • Oper Frankfurt/Bockenheimer Depot • Vorstellung: 03.10.2021

 (5. Vorstellung • Premiere am 25.09.2021)

Amadigi im Wellness-Center: Ein Fest der Stimmen

Die Oper Frankfurt setzt ihre Tradition der Händel-Aufführungen mit «Amadigi» im Bockenheimer Depot, einem ehemaligen Strassenbahndepot, frühen Industrie-Denkmal und seit 1988 Spielstätte der Bühnen Frankfurt, fort. Das Frankfurter Debut von Regisseur Andrea Bernard ist bestens gelungen.

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Brennan Hall. Foto: Barbara Aumüller

Nachdem Andrea Bernard für Theater Orchester Biel Solothurn La Cenerentola in der chemischen Reinigung, die Regimentstochter im Kalten Krieg (https://onlinemerker.com/biel-solothurn-theater-orchester-la-fille-du-regiment-premiere/) und die Italienerin in Algier im Fernsehstudio (https://onlinemerker.com/biel-solothurn-schweiz-litaliana-in-algeri-premiere/) spielen liess, findet «Amadigi» nun in einem Wellness-Center statt.  Auch diese Arbeit überzeugt durch die geschickte, phantasievolle Modernisierung im Einklang mit dem Libretto, dem enorme Theaterverständnis und dem musikalischen Gefühl. Es gelingt auch hier wieder mit der Aktualisierung Charaktere zu gestalten, die man nachvollziehen und mit denen man sich identifizieren kann. Zugleich stellt er, symbolisiert durch das Wellness-Business der Gegenwart, die Frage nach der Fähigkeit – oder Unfähigkeit – des Menschen im Leben ein Gleichgewicht zu finden. Wie der Held Amadigi (nach barocker Affektenlehre ist er der Held und nicht Dardano mit der männlicheren, weil tieferen Stimme) sind viele auf der Suche nach sich selbst, unfähig zu selbstkritischer Reflexion und entsprechend anfällig für Verblendungen und Täuschungen. Melissa, die im Laufe der Zeit ihre Fähigkeit zur Empathie verloren hat und nun etwas sucht, was ihre innere Leere ausfüllen könnte, operiert mit Hilfe ihres Personals (beeindruckend die Statisterie der Oper Frankfurt) nicht nur mit lauteren Mitteln. Der reichlich benutzte Giftschrank lässt durchaus den Eindruck einer Sekte aufkommen. Alberto Beltrame (Bühnenbild) hat Bernard für seine Inszenierung das höchst realistische Innere eines Wellnesscenters mit Sauna und Schwimmbecken/Kneipbahn und besagtem Giftschrank auf die Bühne gestellt. Schon beim Betreten des Zuschauerraums sind Wassergeräusche zu hören und mit dem vor Beginn reichlich eingesetzten Trockeneisnebel und der Luftbefeuchtung für die Sänger ist ein noch realistischer Eindruck nicht mehr zu erreichen. Jan Hartmann setzt das Bühnenbild und die individuellen Kostüme von Elena Beccaro ins perfekte Licht.

Viel Arbeit wurde für die Charakterisierung der alle mit hohen Stimmen besetzten Figuren verwendet. Amadigi, der junge Mann auf der Suche nach sich selbst, wird von Brennan Hall mit einem warmen, luftig-duftigen Counter gesungen. Die Stimme trägt bis in den hintersten Winkel, die Technik ist perfekt. Es bleiben keine Wünsche offen. Dardano, Amadigis Freund und die einzige Partie en travestie, wird von Beth Taylor mit enormer Bühnenpräsenz und phantastischen Tiefen gegeben. Beide Figuren tragen Cargo-Hosen und mehr oder minder militärisch angehauchte Kleidung. Kateryna Kasper ist die ideale Besetzung der Oriana: mit ihrem warmen Sopran, grossartigen Spitzentönen und wunderbaren Verzierungen gestaltet sie naive, hingebungsvoll Liebende. Elizabeth Reiter gestaltet eine unheimlich intensive Zauberin Melissa und weiss ihre Stimme durchaus gehässig, kalt und fordernd, aber nie unangenehm einzusetzen.

Das hinter der Bühne positionierte und mehrheitlich durch einen Vorhang abgetrennte Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter musikalischer Leitung von Roland Boër lässt mit seinem engagierten, farbenfrohen und lebendigen Spiel diesen Umstand sofort vergessen.

Ein Fest der Musik!

Weitere Aufführungen: 04.10.2021, 06.10.2021 und 07.10.2021

04.10.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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