Frankfurt / Alte Oper: „SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN – DANIELE GATTI“ – 14.09.2024
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Gleich eines Paukenschlages eröffnete die Alte Oper die Konzertsaison 2024/25 mit einem symphonischen Titanen interpretiert von einem der renommierten und traditionsreichen Klangkörper im europäischen Musikleben, nämlich der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter der Leitung ihres neuen Chefdirigenten Daniele Gatti.
Als „Vorspiel“ erklang das „Streichsextett op. 4 – Verklärte Nacht“ in der Streichorchester-Fassung, gewissermaßen einer Transzendenz von Wagners Tristan, lediglich ins Kammermusikalische übertragen. Die Auseinandersetzung mit Arnold Schönberg und seiner Schreibweise wird immer wieder Diskussionen hervorrufen, ganz besonders des jeweiligen Hörergeschmacks. Mich jedenfalls begeisterte heute der Musizierstil von Daniele Gatti, der breitgefächerte Streichersound des Dresdner Eliteorchesters in seiner satten Farbigkeit im eleganten musikalischen Dahinfließen dieser verklärten Komposition. Von „kammermusikalisch“ konnte dieser wunderbaren orchestralen Formation keine Rede sein, zart entwickelte sich das symphonische Aufstreben im schwerblütigen Diskant der dimensionierten Grundstimmung um in elegisch-filigraner Instrumentierung zu entschweben.
Großer begeisterter Beifall.
Geschichte einer Quarte oder ein großes organisches Werden, könnte man die „Erste Symphonie – der Titan“ von Gustav Mahler bezeichnen. Doch handelt es sich um kein Anfangswerk sondern zeigt die Persönlichkeit des 28jährigen Komponisten in klarer Ausprägung aller wesentlichen autobiographischen dramatischen Züge eines jungen Lebens.
Der Tonschöpfer von tausend inneren Feuern glühend, nervös-empfindsam zum Äußersten besessen von einer als notwendig erkannten Aufgabe, hatte etwas von einem Reformator, der Dirigent Rafael Kubelik nannte Mahler einen Propheten!
Die Sächsische Staatskapelle verbindet eine traditionsreiche Affinität zu Mahlers Klangwelten und nun schien es mir nach div. Dirigenten zuvor, war auch Daniele Gatti auf dem besten Weg sie zu teilen. Wunderbar erklang das langsame Erwachen der reglosen Natur im ersten Satz, mit viel Gespür zum kreatürlichen Charakter dieser Musik. Dabei verstand es der elegant, mit wenigen Zeichen dirigierende Maestro die spezifische Mahlersche Polyfonie der Klangschichten auf ganz besondere Weise klug zu strukturieren. Im sonnenglänzenden Firn tönten unvergleichlich die weichen schlanken Holzbläser mit silbern intonierenden Flöten, einer durchflutenden Transparenz wurde man gewahr, berauschte die Sinne.
Gelockert, teils vergnüglich kam die Tanzszene mit dem Ländler im zweiten Satz daher zum romantischen Wohlklang der Hörner, im weiteren Verlauf brachten die präzisen Trompeten jugendliche Strahlkraft ohne jegliche Protzerei ins akustische Spielfeld.
Der feierlich-gemäßigte dritte Satz deklariert als illustre romantische Wald-Episode, wirkte weniger gemessen, eher humorvoll leicht parodiert in lebensnaher Instrumentation. Das herrliche Kontrabass-Solo klang wie aus einer anderen, aus einer kindlichen Welt herüber. Prächtig die Artikulationen wo Oboen in Terzen mit Trompeten in Sexten wetteiferten, schier schlicht und einfach, einer Volksweise gleich. Einleitung und Hauptthemen kehrten wieder und leise verhallte das Ganze.
Zum stürmisch-bewegten vierten Titanen-Satz zwischen größter Wildheit und dreifachem Piano realisierte Daniele Gatti mit seinem in allen Instrumentalgruppen hervorragend aufspielenden Klangkörper die hohe Kunst des Musizierens. In phänomenaler Hingabe folgten die Musiker*innen den detaillierten Eingebungen ihres prägnanten neuen Chefs, dass es einem den Atem verschlug, bar der elitären Dynamik der überwältigenden Ensemble-Leistung. Man (ich) erlag dem Zauber des Augenblicks, der Brillanz des Klangbildes, weil hier von Anfang an der Nerv der Musik getroffen wurde, Naturlaute und Wunderhorn-Themen in schönster exzellenter Vollendung dargeboten wurden.
Bravochöre und zehn Minuten prasselnder Applaus für Gatti und die Dresdner Gäste.
Gerhard Hoffmann