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FRANKFURT/ Alte Oper: ROYAL PHILHARMONIC ORCHESTRA. Vasily Petrenko; Julia Fischer. Zauber des Nordens und feurige Virtuosität

10.02.2025 | Konzert/Liederabende

Zauber des Nordens und feurige Virtuosität: Das Royal Philharmonic Orchestra in der Alten Oper Frankfurt

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Vasily Petrenko und das Orchester: © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Kann ein Orchester magische Geschichten erzählen? Das Royal Philharmonic Orchestra unter Vasily Petrenko bewies am 9. Februar 2025 in der Alten Oper Frankfurt eindrucksvoll, dass Musik weit mehr ist als Klang – sie ist Drama, Naturgewalt und Erzählkunst zugleich. Mit einem fesselnden Programm, das von Mussorgskys ungestümen Klangvisionen über Sibelius’ nordische Melancholie bis hin zu Bartóks orchestraler Virtuosität reichte, bot der Abend eine Meisterklasse in orchestraler Gestaltungskraft.

Modest Mussorgskys Komposition „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ ist eines der faszinierendsten und dramatischsten Werke der russischen Musikgeschichte. Ursprünglich 1867 komponiert, blieb das Stück in seiner Ur-Fassung jedoch weitgehend unbeachtet und wurde von Mussorgsky selbst nie öffentlich aufgeführt. Diese frühe Version, die oft als unausgegoren und strukturell unvollständig beschrieben wird, erreichte nicht die musikalische Tiefe und Wirkung, die man von einem solch visionären Werk erwartet hätte.

Erst durch die Bearbeitung von Nikolai Rimsky-Korsakov, einem engen Freund und Bewunderer Mussorgskys, erlangte die Komposition ihren heutigen Ruhm. Rimsky-Korsakov nahm sich der Partitur nach Mussorgskys Tod an und überarbeitete sie gründlich. Er glättete die Struktur, verfeinerte die Orchestrierung und schuf so eine Version, die sowohl dramatisch als auch klanglich überzeugend war. Diese Fassung, die 1886 uraufgeführt wurde, brachte die wahre Kraft und den dämonischen Charakter der Musik zum Vorschein.

Rimsky-Korsakovs Version zeichnet sich durch ihre lebendige Orchestrierung und ihre packende Erzählkraft aus. Die Musik malt ein lebendiges Bild einer Hexennacht auf dem kahlen Berg, voller wilder Tänze, düsterer Beschwörungen und eines finalen Höhepunkts, der in einem chaotischen Furor gipfelt. Die Klangfarben sind reich und vielfältig, von den schrillen Schreien der Holzbläser bis zu den dröhnenden Schlägen der Blechbläser und des Schlagzeugs.

In den letzten Jahren wurde jedoch vermehrt die ursprüngliche Fassung Mussorgskys aufgeführt, die oft als weniger ausgereift und weniger effektvoll empfunden wird. Umso erfreulicher war es, dass das Royal Philharmonic Orchestra bei seiner aktuellen Tournee in der Alten Oper Rimsky-Korsakovs Version wieder zum Leben erweckte. Die Zuhörer konnten sich an der kraftvollen Dramatik und der meisterhaften Orchestrierung dieser Fassung erfreuen, die das Werk zu Recht zu einem der großen Meisterwerke der russischen Musik macht.

Vasily Petrenko setzte von Beginn an auf einen zupackenden Zugriff, ließ die düsteren Klangmassen grollen und peitschte das Orchester zu dramatischen Höhepunkten. Die dynamischen Kontraste zwischen dem unheimlichen Wirbel der Geister und der erlösenden Morgenstimmung waren klar herausgearbeitet, die Blechbläser setzten mit schneidenden Akzenten markante Glanzpunkte, während die Streicher die düstere Unruhe in beweglicher Artikulation vorantrieben. Ungewöhnlich groß war die weite dynamische Palette des hervorragenden Schlagzeugs. Petrenko musizierte das Werk sehr theatralisch, verlangsamte hier, beschleunigte dort, eine bezwingende Darbietung. Wie aus einer anderen Welt, sorgten die Soli von Klarinette und Flöte für friedvolle Wonnen. Diese Aufführung war eine willkommene Erinnerung daran, wie wichtig Rimsky-Korsakovs Beitrag zur Popularität und künstlerischen Vollendung dieses Stücks war. Es bleibt zu hoffen, dass diese Version in Zukunft wieder häufiger auf den Konzertprogrammen zu finden sein wird, um das Publikum mit ihrer unvergleichlichen Energie und ihrem dämonischen Charme zu begeistern.

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Julia Fischer. © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Mit Julia Fischer als Solistin stand anschließend eines der großen Violinkonzerte der Spätromantik auf dem Programm: Jean Sibelius’ Violinkonzert d-Moll Op. 47. Es entstand in den Jahren 1903 bis 1904 und wurde 1905 uraufgeführt. Sibelius schrieb es während einer schwierigen Phase seines Lebens, in der er mit gesundheitlichen und finanziellen Problemen zu kämpfen hatte. Das Konzert ist eines der bekanntesten Werke der Violinliteratur und spiegelt Sibelius‘ tiefe Verbundenheit mit der Natur und der finnischen Landschaft wider. Eine Besonderheit des Konzerts ist die technische Herausforderung für den Solisten. Sibelius verlangt von der Violine eine breite Palette an Ausdrucksmöglichkeiten, von zarten, fast flüsternden Passagen bis hin zu kraftvollen, dramatischen Ausbrüchen. Die Orchesterbegleitung ist ebenso bedeutend und trägt zur atmosphärischen Dichte des Werkes bei.

„Die Kunst ist es, dieses Werk nicht nur aus einer menschlichen Perspektive anzugehen, sondern den Aspekt der Natur einzubringen“, sagte Julia Fischer selbst über das Konzert – und genau das tat sie. Ihr Einstieg im ersten Satz war von einer entrückten Fragilität, aus der sich nach und nach eine drängende Intensität entwickelte. Ihr Ton blieb stets klar, mit schlanker, vokaler Phrasierung. Die atemberaubenden Läufe und Doppelgriffpassagen meisterte sie mit einer Souveränität, die nie zur bloßen Virtuosität verkam, sondern stets Ausdruck blieb. Im zweiten Satz, dem Adagio di molto, ließ Fischer die Kantilenen förmlich singen – warm, innig und mit wunderbar organischer Phrasierung. Das Royal Philharmonic Orchestra bettete sie dabei in einen weichen, atmenden Klangteppich, wobei Petrenko die orchestrale Begleitung mit feinem Gespür für Balance führte. Im Presto-Finale schließlich offenbarte Fischer die ganze Brillanz ihres Spiels. Sie riss das Publikum mit einer federnden Leichtigkeit mit, ihre Bogentechnik war spektakulär, ohne dass je die klangliche Linie verloren ging. Die rhythmische Präzision und der tänzerische Schwung, den sie diesem herausfordernden Satz verlieh, zeigten eine Künstlerin auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Sie wirkte ganz eins mit der Musik, spürte die pulsierende Energie in ihrem Körper und sorgte mit dem herrlich aufspielenden Royal Philharmonic Orchestra für einen großen Abschluss. Begeisterung im Auditorium der Alten Oper Frankfurt. Als Zugabe gab es dann die 13. Caprice in B-Dur von Niccolo Paganini.

Nach der Pause stand Béla Bartóks Konzert für Orchester Sz 116 auf dem Programm. Das 1943 im amerikanischen Exil entstandene Werk zählt zu den letzten vollendeten Kompositionen des ungarischen Meisters und vereint auf einzigartige Weise folkloristische Elemente mit moderner Kompositionstechnik. Bartók weist hier jedem Instrument oder jeder Instrumentengruppe eine solistische Rolle zu, was dem Werk nicht nur seinen Namen gibt, sondern auch eine besondere orchestrale Vielfalt schafft. Diese Herausforderung nahm das Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Vasily Petrenko mit beeindruckender Souveränität an und entfaltete dabei seine ganze Klasse.

Schon der erste Satz („Introduzione“) offenbarte die herausragende Qualität des Ensembles: Die geheimnisvollen Klangschichtungen, in denen die Holzbläser mit lyrischer Delikatesse agierten, ließen die Spannung unmittelbar spürbar werden, bevor sich das energische Hauptthema kraftvoll entfaltete. Im zweiten Satz („Giuoco delle coppie“) demonstrierten die Bläser ihre genaue Abstimmung und technische Präzision. Jeder Einsatz war klar akzentuiert, die dialogischen Passagen zwischen den Instrumentenpaaren wurden mit spielerischer Leichtigkeit und tänzerischer Eleganz vorgetragen. Der dramatische Höhepunkt des Abends folgte im dritten Satz, der „Elegia“. Hier entfaltete das Orchester unter Petrenkos Leitung viel emotionale Farbigkeit. Die Streicher schufen eine dunkle, mystische Atmosphäre, während die schimmernden Bläserklänge surreale Momente der Schönheit hervorriefen. Im vierten Satz („Intermezzo interrotto“) zeigte das Orchester sein Gespür für Humor und Ironie, als es mit einem augenzwinkernden Zitat aus Schostakowitschs „Leningrader“ Sinfonie eine köstliche Mischung aus Melancholie und Satire präsentierte. Der furiose Schlusssatz („Finale“) schließlich wurde zu einem atemberaubenden Finale: Das Royal Philharmonic Orchestra fegte mit einer explosiven Energie durch den Satz, die technische Meisterschaft und musikalische Leidenschaft vereinte. Geradezu sensationell war das herrliche Spiel der großen Streichergruppe in der dargebotenen Virtuosität. Das Wechselspiel zwischen den Instrumentengruppen war von einer mitreißenden Dynamik, die das Publikum in helle Begeisterung versetzte. Mit dieser Interpretation bewies das Royal Philharmonic Orchestra einmal mehr, warum es zu den weltweit führenden Orchestern gehört – ein Abend, der die Brillanz Bartóks und die Meisterschaft des Ensembles gleichermaßen feierte. Zwei Zugaben! Ein köstlicher Fandango von Sir Arthur Sullivan und sodann ein umwerfend musizierter fünfter ungarischer Tanz von Johannes Brahms.

Vasily Petrenko und das Royal Philharmonic Orchestra entfachten an diesem Abend ein musikalisches Feuerwerk, das von düsterer Dramatik über nordische Melancholie bis hin zur orchestralen Brillanz reichte. Mit einer kraftvollen Interpretation von Mussorgskys „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“, einem tief empfundenen Sibelius-Konzert mit einer glänzenden Julia Fischer und einer mitreißenden Darbietung von Bartóks „Konzert für Orchester“ bewiesen Orchester und Dirigent eindrucksvoll ihre Vielseitigkeit. Ein Konzert, das gleichermaßen fesselte, forderte und begeisterte – und das Publikum restlos überzeugte.

Dirk Schauß, 10. Februar 2025

Konzert des Royal Philharmonic Orchestra in der Alten Oper Frankfurt am 09. Februar 2025

 

 

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