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FRANKFURT/ Alte Oper: „RAFAL BLECHACZ-HR S.O.- ANDRÈS OROZCO-ESTRADA“

20.10.2018 | Konzert/Liederabende

Frankfurt / Alte Oper: „RAFAL BLECHACZ-HR S.O.- ANDRÈS OROZCO-ESTRADA“ – 19.10.2018

Musikkontraste dreier Jahrhunderte bot der Konzertabend des HR-Sinfonieorchesters unter der Leitung seines Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada im Mozartsaal der Alten Oper.

In liebenswerter Anmut, heiterer Größe und wehmütig verspielter Stimmung erklang das „A-Dur-Klavierkonzert KV 488“ von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem „Figaro-Jahr“ 1786 zum Auftakt. Jedoch wie viel verschleierte Melancholie birgt diese Schöpfung hinter dem festlichen Glitzern. Schon das Hauptthema mit seinem angehängten Seufzer weiß davon zu reden, noch mehr das Seitenthema, das so duftig daher kam und in den verbindenden Halbton-Figurine dennoch seine süße Wehmut nicht mehr zu verbergen vermochte.

Rafal Blechacz glänzte mit einer Virtuosität, die selbst während der presto Tempi es nie an Deutlichkeit der Artikulation vermissen ließ. Frisch und transparent in teils weichem Anschlag, wunderbar detailliert auf sehr hohem spieltechnischem Niveau begegnete der junge Pianist dem liebenswerten Werk. Sowohl Blechacz als auch das begleitende HR S.O. unter der sensiblen Stabführung von Andrés Orozco-Estrada verschmolzen auf wunderbare Weise in sorgfältig aufeinander abgestimmten Phrasierungen und schenkten dem Werk einen besonderen individuellen Klangreiz.

Das Publikum war entzückt und sparte nicht an herzlicher Zustimmung. Der Solist gewährte keine Zugabe.

Kaum den Titanen des Vorabends verdaut, servierte man in Frankfurt ein weiteres akustisch-kulinarisches Highlight nämlich Gustav Mahlers „Sechste“. Diese Symphonie ist der brutalen Wirklichkeit, der sich Mahler ausgeliefert sah, näher als seine anderen Werke, denn sie gewährte der Weltflucht des Komponisten insgesamt nur sehr wenig Raum. Auch einem Dirigenten bietet die „Sechste“ kaum Ausweichmöglichkeiten, keinen Platz für Schönfärberei und Andrés Orozco-Estrada, der leidenschaftliche Temperaments-Musiker entwickelte seinen eigenen und schier dämonischen Mahler-Stil zu wahrhaftiger Größe.

Die „Tragische“ wird sie auch genannt, derweil an ihr das Missverhältnis zwischen Wollen und Erreichen, zwischen Aufwand und unergiebiger Erfindung, zwischen bohrender Geistigkeit und musikalischen Formeln sich widerspiegeln. Bereits der Trompetenakkord des anfänglichen Allegro energico versinnbildlicht die Verstörtheit eines Menschen in einer zerrissenen Zeit, reflektiert die eigene Seelenlage des Komponisten und sein „Ringen mit der Welt“ welche tragisch und katastrophal endet. Marschartig, düster, im Oktavschritt und rhythmischem Verlauf erhoben sich die orchestralen Dreiklang-Themen.

Mahlers besonders differenziert gestalteten Orchestrierungskunst, zum riesigen Instrumental-Apparat gesellten sich Glockenspiel, aus Entfernung erklingende Herdenglocken, tiefe Glocken, Harfen, Celesta, Rute und der Hammer. Orozco-Estrada verstand es auf delikate Weise dieses komplexe, polyphone Geflecht transparent, präzise und geradezu in bestürzender Ausdrucksintensität, gleichwohl ob in kammermusikalischen Piani oder im symphonisch monumentalen Klanggebäude vor Augen (bzw. Ohren) zu führen. Das prächtig disponierte HR-Sinfonieorchester offerierte seidenweichen Streicherklang und glänzte mit akkurat-präzisen Holz-und Blechfraktionen. Solistisch grandios aufgefächert ergaben sich somit immer wieder dramaturgisch-spannungsreiche architektonische Klangcollagen aus Drängen, Auffächern in hinreißendem Verschmelzen.

In unerbittlicher Deutung erreichen im finalen Sostenuto – Allegro moderato Mahlers Visionen und dunkle Vorahnungen einen adäquaten Härtegrad von tragischer Unentrinnbarkeit gegenüber dem Schicksal. Zyklisch thematisch kehrten die Leitmotive der vorherigen Sätze Andante + Scherzo schemenhaft visionär zurück. In unglaublicher musikalischer Stringenz trieb Andrés Orozco-Estrada seinen vortrefflich musizierenden Klangkörper spiralförmig in unbeirrbarer Logik dem Hauptnervenstrang dieser unglaublichen Komposition zu.

Man war erschlagen und zugleich berauscht dieser Klangexplosionen, hielt benommen inne um sich sodann der grenzenlosen Begeisterung hinzugeben.

Gerhard Hoffmann

 

 

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