Orchestrale Kraft und pianistischer Zauber: Ein Abend mit dem Orchestre National de France
Die Alte Oper in Frankfurt bot am 4. Dezember 2024 ein musikalisches Feuerwerk, das nicht nur die Faszination für Maurice Ravels unverwechselbare Klangwelt entfachte, sondern auch Werke von Paul Dukas und Igor Strawinsky in eindrucksvollen Interpretationen präsentierte. Unter der Leitung von Cristian Măcelăru und mit der gefeierten Pianistin Beatrice Rana am Klavier zeigte das Orchestre National de France, warum es zu den führenden Klangkörpern Frankreichs gehört.
Mit Paul Dukas’ Scherzo „Der Zauberlehrling“, einer sinfonischen Erzählung nach der berühmten Ballade von Goethe, begann der Abend voller Energie. Dieses heikle Stück, mit seiner dicht verwobenen Orchestrierung und komplexen Dynamik, fordert von jedem Orchester absolute Präzision und ein perfektes Zusammenspiel. Cristian Măcelăru führte die Musiker sicher durch die stetig anschwellenden musikalischen Wogen. Die witzig-dramatische Erzählung des unkontrollierten Zaubers sprühte vor Detailfreude, wobei besonders die Holzbläser mit brillanten Soli glänzten. Ein eindrucksvoller Start mit einer packenden Darbietung.
Beatrice Rana. Copyright: Simon Fowler/Warner Classics
Die Bühne gehörte anschließend Beatrice Rana, die Ravels vom Jazz inspiriertes Klavierkonzert G-Dur zu einem unvergesslichen großen Höhepunkt des Abends machte. Bereits die ersten Takte im Orchester zeigten die Leichtigkeit und Verspieltheit, die sich durch das gesamte Werk ziehen. Das Zusammenspiel von Orchester und Solistin war dabei makellos, getragen von einer spürbaren gegenseitigen Inspiration.
Im ersten Satz entfaltete Rana ein schillerndes Spektrum an Farben. Ihre perlende Technik und spielerische Präzision verliehen den luftigen, jazzigen Passagen Lebendigkeit und viel Esprit. Besonders beeindruckend war ihre Fähigkeit, die rhythmische Energie des Stückes mit dynamischer Kontrolle zu verbinden, ohne jemals die lyrischen Qualitäten zu vernachlässigen. Das Orchester unter Măcelăru unterstützte diesen Dialog mit einem feinen Gespür für Balance, wobei die Holzbläser erneut durch prägnante Beiträge hervortraten.
Der zweite Satz wurde zum emotionalen Zentrum des Abends. Rana gestaltete die endlos fließende Melodie des Klaviers mit einer tiefen Innerlichkeit, die jeden Ton wie eine leise Offenbarung erscheinen ließ. Ihre Phrasierung, getragen von subtilen Rubati und einer immens meditativen Ruhe, berührte auf einer Ebene, die Worte kaum zu beschreiben vermögen. Das Orchester folgte dieser Innigkeit mit beeindruckender Zurückhaltung, die Streicher schufen einen weichen Klangteppich, und der Übergang zu den abschließenden Passagen wirkte wie ein Atemzug der Ewigkeit. Faszinierend war es, wie nacheinander die Holzbläser feinste kantable Bögen intonierten. Hier differenzierte Rana mit ihrer perfekten Anschlagtechnik derart raffiniert die Dynamik aus, dass einem der Atem stocken konnte. Was für eine große Künstlerin!
Im Finale zeigte Rana ihre Virtuosität in voller Pracht. Die sprühenden Läufe und rhythmisch pointierten Jazzanklänge präsentierte sie mit müheloser Leichtigkeit. Die unbändige Spielfreude, die sie dabei ausstrahlte, wirkte ansteckend, und das Orchestre National de France hielt das energiegeladene Tempo präzise und dynamisch. Măcelăru sorgte für eine perfekte Abstimmung, sodass dieser lebendige Satz das Publikum restlos begeisterte. Beatrice Rana ließ sich nicht lange bitten und gewährte zwei mitreißende Zugaben.
Mit Strawinskys Suite aus „Der Feuervogel“ (1919) entfaltete das Orchestre National de France eine schier unerschöpfliche Palette an Klangfarben. Cristian Măcelăru dirigierte mit klarem Fokus auf die kontrastreichen Stimmungen des Werks: von den zarten, mystischen Anfängen bis zu den mitreißenden, eruptiven Höhepunkten. Besonders beeindruckend waren die herrlichen Soli, etwa die Flöte im elegischen „Runden Tanz der Prinzessinnen“ und das technisch anspruchsvolle Hornsolo im Finale, das mit großartiger Strahlkraft gemeistert wurde.
Im berüchtigten „Höllentanz des Kastschei“ überzeugte das Schlagzeugensemble mit rhythmischer Präzision und kraftvoller Präsenz, die den diabolischen Charakter dieser Passage gut einfing. Die Streicher schufen dichte Klangflächen, die sich mit pointierten Bläsereinsätzen zu einem geradezu überwältigenden Klanggebäude fügten. Dieses Meisterwerk der Orchestrierung ließ das Publikum in die fantastische Welt des Feuervogels eintauchen, welches mit dem triumphalen Finale seinen gloriosen Abschluss fand. Cristian Măcelăru dirigierte kraftvoll und stets vorwärtsdrängend, was der dynamischen Intensität der Musik eine starke Wirkung verlieh. Dennoch hätte etwas mehr Ruhe und Gelassenheit – insbesondere in den lyrischen Passagen – die eindrucksvollen Bildwirkungen Strawinskys noch vielschichtiger hervortreten lassen.
Zum Abschluss präsentierten die Musiker Ravels „Boléro“, der trotz seiner schlichten Struktur stets zu fesseln vermag. Cristian Măcelăru ließ das Werk in seiner hypnotischen Logik erstrahlen. Beginnend mit dem leisen, beharrlichen Rhythmus der kleinen Trommel entfaltete sich eine meisterhaft gestaltete Folge instrumentaler Soli: Zunächst die Flöte mit ihrem warmen, singenden Ton, gefolgt von Klarinette, Fagott und später dem betörend lyrischen Saxophon, das zu den Höhepunkten der Aufführung zählte.
Jedes Instrument fügte neue Farben hinzu, wobei die dynamische Steigerung ebenso organisch wie unaufhaltsam wirkte. Die Streicher und schließlich das gesamte Orchester griffen die Themen auf, um sie in einem fulminanten Finale zu einem monumentalen Klangkörper zusammenzuführen. Der letzte Akkord, mit seiner gewaltigen Klangentladung, löste im Publikum einen Sturm der Begeisterung aus. Cristian Măcelăru hatte vor allem die dynamische Entwicklung als Interpretationsansatz gewählt, was auch gut gelang. Das Spiel mit den Farben ist nicht wirklich seine Domäne. Stattdessen kennzeichnete sich sein Dirigat durch Transparenz und Dynamik. Das Orchestre National de France spielte auf hohem technischem Niveau, blieb aber in den Soli hier relativ eindimensional. Daher wirkte das Ganze etwas zu abgespult und individuell zu wenig gestaltet. Dennoch erzeugte die aufgebaute große Dynamik viel Wirkung beim jubelnden Publikum, das zum Dank eine tänzerische Zugabe erhielt.
Ein abwechslungsreicher Konzertabend mit einem durchdachten Programm, das viele Facetten bot. Im Mittelpunkt stand die superbe Leistung der hinreißenden Pianistin Beatrice Rana, deren ausdrucksstarkes Klavierspiel und technische Meisterschaft den Abend prägten. Nur wenige Künstlerinnen und Künstler beherrschen derzeit die Kunst des Klavierspiels mit einer solch einzigartigen Kombination aus Leichtigkeit, Tiefgang und Raffinesse. Ein Abend, der in Erinnerung bleibt – dank der außergewöhnlichen Beatrice Rana und einem französischen Orchester, das vor allem in dynamischer Ausgestaltung glänzte.
Dirk Schauß, 05. Dezember 2024
Besuchtes Konzert am 04. Dezember 2024 in der Alten Oper Frankfurt
Programm:
Paul Dukas: „Der Zauberlehrling“
Maurice Ravel: Klavierkonzert G-Dur
Igor Strawinsky: „Der Feuervogel“ (Suite 1919)
Maurice Ravel: Boléro