Von Frühlingsträumen zu Broadway-Rhythmen: Ein musikalisches Kaleidoskop in der Alten Oper Frankfurt. 20.1.2025
Giancarlo Guerrero – Copyright by Kristen Loken
Ein Programm wie ein Puzzle aus musikalischen Meisterwerken: Unter der Leitung von Giancarlo Guerrero präsentierte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester am 20. Januar 2025 in der Alten Oper Frankfurt ein klug arrangiertes Konzert. Im Mittelpunkt standen Verbindungen zwischen europäischer Klassik und amerikanischer Moderne, interpretiert von einem Orchester in Höchstform und dem brillanten Pianisten Stewart Goodyear. Von Lili Boulangers impressionistischen Klängen bis zu Ravels rhythmischem „Boléro“ spannte sich ein Bogen, der das Publikum auf eine ebenso abwechslungsreiche wie spannende Reise mitnahm.
Den Auftakt machte Lili Boulanger mit ihrem Werk „D’un matin de printemps“. Die jüngere Schwester der legendären Kompositionslehrerin Nadia Boulanger hinterließ trotz ihres kurzen Lebens ein erstaunlich reifes und farbenreiches Œuvre. Dieses Stück, eine Hommage an die Leichtigkeit des Frühlings, besticht durch impressionistische Farbspiele und eine subtile Rhythmik, die den Geist Debussys atmet. Giancarlo Guerrero und das Opern- und Museumsorchester loteten die feinen Nuancen dieser Partitur eindrucksvoll aus. Mit filigraner Präzision und wunderbar abgestimmter Dynamik ließ das Orchester die flirrenden Texturen und lyrischen Bögen lebendig werden. Die Balance zwischen den Instrumentengruppen war hervorragend, und Guerreros einfühlsame Leitung unterstrich die delikate Eleganz dieser Musik.
Mit Gershwins Concerto in F wechselte das Konzert die Kontinente – und die Stimmungen. Der amerikanische Komponist verband in diesem Werk die Tradition des klassischen Klavierkonzerts mit der pulsierenden Energie des Jazz. Gershwin, der 1928 vergeblich bei Maurice Ravel und Nadia Boulanger um Unterricht nachgesucht hatte, bewies in diesem Werk sein geniales Talent, die Klangwelten zweier Kontinente zu vereinen.
Stewart Goodyear – Copyright by Anna Zvonar
Stewart Goodyear, der kanadische Pianist mit trinidadischen Wurzeln, glänzte in allen drei Sätzen. Neben seiner Karriere als Pianist ist er auch als Komponist tätig. Bereits 2016 begeisterte er das Frankfurter Publikum mit Gershwins Rhapsody in Blue. Sein Gespür für Rhythmik und Klangfarben prädestinierte ihn nachdrücklich für das anspruchsvolle Concerto in F.
Das eröffnende Allegro mit seinen prägnanten Rhythmen und funkelnden Akkorden wurde mit beeindruckender Präzision und Energie dargeboten. Goodyears Anschlag war kraftvoll, klar und äußerst genau, seine Dynamik reichte von zarten Pianissimo-Passagen bis zu kraftvollen Fortissimo-Ausbrüchen. Die Phrasierung war durchdacht und brachte die jazzigen Elemente des Stücks hervorragend zur Geltung. Das Orchester unterstützte ihn dabei mit einer rhythmischen Präzision und einem pulsierenden Drive, bei dem die Schlagwerker und die Blechbläser als rhythmisches Rückgrat brillierten.
Im Adagio zeigte Goodyear seine lyrische Seite und formte die Melodien mit großer Sensibilität. Sein Anschlag war hier besonders weich und nuanciert, die Dynamik fein abgestimmt. Die einsame Trompete entfaltete eine warm strahlende Melodie, deren Timbre an die melancholischen Klänge eines nächtlichen Jazzclubs erinnerte. Guerrero ließ diesen Satz mit großer Geduld erblühen, die Streicher legten ein samtiges Klangfundament, über dem die Holzbläser mit impressionistischer Eleganz schwebten. Die große dynamische Steigerung am Ende des Satzes gelang atemberaubend.
Der abschließende Allegro agitato war ein Feuerwerk der Virtuosität, bei dem Goodyears brillante Technik und sein Gespür für das jazzige Element besonders hervorstachen. Seine Finger flogen förmlich über die Tasten, und die rasanten Läufe und synkopierten Rhythmen wurden mit beeindruckender Präzision und Energie dargeboten. Das Orchester bewies nicht nur technische Exzellenz, sondern auch die Fähigkeit, die rasanten Stimmungswechsel und die dramatische Intensität des Satzes mitreißend umzusetzen.
Guerrero führte das Orchester in Gershwins Concerto in F mit einem beeindruckenden Gespür für Stilvielfalt und rhythmische Präzision. Herausragend war das herrlich intonierte Solo der Trompete im zweiten Satz. Riesiger Jubel für die Künstler, den Goodyear mit einem eigenen „Präludium“ bedankte.
Der aus Costa Rica stammende Giancarlo Guerrero hat sich als vielseitiger und charismatischer Dirigent etabliert. In Frankfurt war er bereits vor einem Jahr ein gefeierter Gast mit einem spektakulären Konzert. Guerrero ist bekannt für seine Fähigkeit, unterschiedliche Stile mit Hingabe und Leidenschaft zum Leben zu erwecken. Er ist sicherlich einer der Dirigenten, für den der Rhythmus einer Komposition die zentrale Basis für seine Lesart ist. Dies zeigte sich besonders eindrücklich auch im zweiten Konzertteil.
Leonard Bernsteins Symphonic Dances from „West Side Story“ sind eine Hommage an den Broadway und zugleich ein beeindruckendes orchestrales Meisterwerk. Bernstein, ein Schüler Nadia Boulangers, vereinte hier lateinamerikanische Rhythmen, jazzige Klänge und klassische Formen zu einem pulsierenden Klanggemälde.
Guerrero und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester präsentierten Bernsteins „Symphonic Dances“ aus der „West Side Story“ als musikalisches Kaleidoskop voller Farbe und Energie. Die rhythmische Präzision war herausragend, besonders in den lateinamerikanischen Tänzen wie dem Mambo, bei dem die Schlagzeug-Gruppe mit sprühender Vitalität glänzte. Die lyrischen Passagen, etwa im „Somewhere“-Thema, wurden von den Streichern mit sehnsüchtiger Wärme gestaltet, während die Bläser durch ihre charaktervolle Interpretation und ihre feine Intonation überzeugten. Guerrero bewies ein exzellentes Timing und schaffte es, die dramatische Spannung der Dances stets aufrechtzuerhalten. Die orchestrale Darstellung der konfliktreichen Emotionen der West Side Story wirkte fesselnd und ließ das Publikum die Spannung der Handlung förmlich miterleben. Besonders die feinen Übergänge zwischen den kontrastierenden Stilen – von jazzig-swingend zu melancholisch und dramatisch – waren beeindruckend gestaltet. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester musizierte mit umwerfendem Drive und druckvollem Spiel. Vor allem die Blechbläser begeisterten mit herrlichem Groove, und die große Gruppe der Schlagzeuger verwandelte die Alte Oper in einen Hexenkessel. Eine fulminante Leistung!
Der Abend endete mit Maurice Ravels unsterblichem „Boléro““. Dieses Werk, das ursprünglich als Ballettmusik konzipiert war, basiert auf einer simplen, sich stetig wiederholenden Melodie, die sich zu einem gewaltigen Crescendo steigert. Ravels „Boléro““ ist ein Prüfstein für jedes Orchester, und die Musiker des Opern- und Museumsorchesters meisterten diese Herausforderung mit Bravour. Guerrero dirigierte das Stück mit einem feinen Gespür für den schleichenden Spannungsaufbau. Beginnend mit der sehr genauen, hypnotischen kleinen Trommel entfalteten die Instrumentengruppen nach und nach die orchestrale Palette. Die Soli, insbesondere von Flöte, Klarinette, Saxophon und Posaune, wurden mit charmanter Eleganz gespielt, wobei die Musiker den repetitiven Charakter des Stücks durch subtile Farbwechsel und dynamische Variationen fesselnd hielten. Die Blechbläser setzten strahlende Akzente, ohne jemals aufdringlich zu wirken. Zum Höhepunkt hin entfaltete sich das Orchester zu einem gewaltigen Klangkörper, der dennoch stets kontrolliert und transparent blieb. Guerrero ließ die Musik förmlich explodieren, meisterhaft die dramatische Energie des Crescendos lenkend. Mit verdoppelten Beckenschlägen führte er das Werk zu einem überwältigenden Finale. Bemerkenswert war dabei seine minimalistische, fast pantomimische Dirigiertechnik, die die außergewöhnliche Präzision und Übereinstimmung zwischen ihm und dem Orchester eindrucksvoll unterstrich. Guerrero ist nicht nur ein überzeugender Motivator am Pult, sondern ein Dirigent, der sein Orchester voller Vertrauen aufspielen lässt, ohne dieses permanent in enger Kontrolle zu halten. Der Applaus fiel entsprechend enthusiastisch aus – auch aus den Reihen des Orchesters gab es reichlich Anerkennung für diesen besonderen Meister am Pult.
Das Konzert war ein außergewöhnliches Hörerlebnis, das die Vielfalt und emotionale Bandbreite der präsentierten Werke eindrucksvoll zur Geltung brachte. Giancarlo Guerrero bewies einmal mehr, dass er ein Dirigent von bemerkenswerter stilistischer Flexibilität und musikalischem Enthusiasmus ist. Stewart Goodyear glänzte als Solist mit technischer Souveränität und einem besonders ausgeprägten Gespür für Gershwins Klangwelt. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zeigte sich in jeder Stilistik – vom impressionistischen Zauber Boulangers bis hin zum rhythmischen Rausch Ravels – als hochgradig wandlungsfähiges und inspiriertes Ensemble. Ein Abend, dessen Eindrücke noch lange nachhallen dürften.
Dirk Schauß, 21. Januar 2025
Museumskonzert am 20. Januar 2025 in der Alten Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Giancarlo Guerrero, musikalische Leitung