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FRANKFURT/ Alte Oper: MUSEUMSKONZERT . Anja Bihlmaier; Behzod Abduraimov (Bacewicz’, Prokofjew, Tschaikowski)

16.12.2025 | Konzert/Liederabende

Bündelt Kräfte aus Ost und West: Museumskonzert in Frankfurt (15.12.2025)

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Foto Copyright by Diana Hillesheim

Manchmal sagt das erste Werk eines Konzertabends mehr über dessen Haltung aus als jedes Programmheft. Das Museumskonzert in der Alten Oper Frankfurt begann mit Grażyna Bacewicz’ „Konzert für Streichorchester“ und setzte damit ein klares Signal. Keine gefällige Ouvertüre, kein romantisches Einrichten der Hörgewohnheiten, sondern ein konzentriertes, kantiges Stück Musik des 20. Jahrhunderts. Die 1909 in Łódź geborene polnische Komponistin, die sowohl als Violinistin als auch als Pädagogin international Anerkennung fand, steht für einen Pariser Neoklassizismus, der Tradition nicht zitiert, sondern benutzt. Formmodelle dienen hier nicht der Rückversicherung, sondern werden unter Spannung gesetzt – ein Stil, der von ihrer Ausbildung in Paris bei Nadia Boulanger und ihrer Auseinandersetzung mit Werken von Stravinsky und Bartók geprägt wurde. Ihr 1948 entstandenes Konzert, das zu ihren bekanntesten Werken zählt und 1950 in Warschau uraufgeführt wurde, gliedert sich in drei Sätze: ein energisches Allegro, ein introspektives Andante und ein lebhaftes Vivo, das folkloristische Elemente mit moderner Harmonik verwebt.

In den rund fünfzehn Minuten ihres 1948 entstandenen Konzerts entfaltet sich eine Musik von großer formaler Klarheit und innerer Reibung. Homophone Dichte, scharf geführte Rhythmen und eine Tonalität, die immer wieder an ihre Grenzen geführt wird, bestimmen das Bild – eine Komposition, die Bacewicz‘ Fähigkeit unterstreicht, klassische Formen mit avantgardistischen Elementen zu verschmelzen, ohne in Atonalität abzugleiten. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester war sofort präsent; die Streicher spielten kompakt, griffig, mit klarer Artikulation. Anja Bihlmaier dirigierte mit sichtbarem Einsatz, energisch, zupackend, mit deutlichem Vorwärtsdrang. Diese Musik wurde nicht weichgezeichnet, sondern ernst genommen.

Besonders überzeugend war die Klarheit der Struktur. Bihlmaier hielt die Linien straff zusammen, ließ keine Unschärfen zu, setzte Akzente bewusst hart. Das verlieh dem Stück Profil und bewahrte es vor jeder Beliebigkeit. Manchmal hätte man sich etwas mehr Flexibilität, ein kurzes Innehalten gewünscht, etwa in den Übergängen zwischen den Sätzen, wo die Spannung durch ein Hauch von Rubato noch intensiver hätte wirken können. Doch als Auftakt funktionierte diese Lesart gerade deshalb, weil sie Haltung zeigte. Bacewicz erschien nicht als historische Fußnote, sondern als selbstbewusste Stimme mit Ecken und Kanten, eine Komponistin, die in der Nachkriegszeit Polens eine Brücke zwischen Tradition und Moderne schlug.

Nach dieser konzentrierten Eröffnung folgte mit Sergej Prokofjews zweitem Klavierkonzert eines der radikalsten Werke des Klavierrepertoires. Ein Stück, das bei seiner Uraufführung 1913 in Pawlowsk einen Skandal auslöste und auch heute nichts von seiner Sprengkraft verloren hat. Die ursprüngliche Fassung ging in den Wirren der russischen Revolution verloren, Prokofjew rekonstruierte das Konzert 1923 neu, schärfer, kompromissloser, mit gesteigerter harmonischer Kühnheit – eine Überarbeitung, die die dissonanten Elemente verstärkte und dem Werk eine düstere, fast dämonische Aura verlieh, gewidmet seinem Freund Max Schmidthof, der sich das Leben genommen hatte. Das Ergebnis ist ein Werk, das lyrische Tiefe und dämonische Virtuosität untrennbar miteinander verbindet, strukturiert in vier Sätze: ein nachdenkliches Andantino, ein rasantes Scherzo, ein groteskes Intermezzo und ein finales Allegro tempestoso.

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Bezhod Abduraimov. Foto Copyright by Diana Hillesheim

Behzod Abduraimov, der 1990 in Taschkent geborene usbekische Pianist, der mit fünf Jahren das Klavierstudium begann und internationale Preise wie den London International Piano Competition gewann, erwies sich als Idealbesetzung. Schon das eröffnende Andantino gestaltete er als inneren Monolog. Die dunklen Akkorde der linken Hand legten ein schweres Fundament, über dem sich die rechte tastend, vorsichtig bewegte, mit einer Sensibilität, die an Prokofjews eigene pianistische Virtuosität erinnerte. Nichts wirkte sentimental, alles blieb unter Spannung. Als sich die Musik steigerte, entlud sich diese Spannung mit eruptiver Kraft. Orchester und Solist steigerten sich gegenseitig, das Crescendo wirkte wie ein unaufhaltsamer Sog, der die harmonischen Dissonanzen des Werks voll zur Geltung brachte.

Die große Kadenz geriet zum Zentrum dieser Interpretation. Abduraimov spielte sie nicht als bloße Machtdemonstration, sondern als logisch aufgebauten, zwingenden Gedankengang. Jede Phrase war scharf konturiert, die Struktur stets nachvollziehbar, mit einer technischen Brillanz, die seine Auftritte bei internationalen Orchestern unterstreicht. Virtuosität wurde hier nicht ausgestellt, sondern funktional eingesetzt. Das Scherzo raste in atemloser Präzision dahin, messerscharf, beinahe mechanisch. Doch Abduraimov bewahrte eine Geschmeidigkeit, die verhinderte, dass der Satz in bloße Motorik kippte, und die polyphone Komplexität des Satzes betonte.

Im Intermezzo zeigte das Orchester seine Klasse. Die schwerfällige, groteske Tanzbewegung erhielt Kontur, die Streicher spielten mit schneidender Genauigkeit, die Bläser setzten ironische Akzente, die an Prokofjews satirische Ader erinnerten. Das Finale schließlich entwickelte eine enorme Wucht. Solist und Orchester trieben sich gegenseitig an, bis der Schluss eher wie ein verzweifelter Aufschrei als wie ein Triumph wirkte. Eine beeindruckende Leistung, die Abduraimovs Ruf als einer der führenden Pianisten seiner Generation festigte. Die Zugabe, Rachmaninows Prélude in G-Dur, kam danach wie ein stilles Nachdenken: leichtfüßig, transparent, überraschend impressionistisch, und bot einen sanften Kontrast zur Intensität des Konzerts.

Mit Tschaikowskis fünfter Sinfonie änderte sich der Ton des Abends grundlegend. Entstanden 1888, gehört sie zu jenen Werken, in denen der Komponist sein inneres Ringen mit dem Schicksal offenlegte, auch wenn er programmatische Deutungen später wieder zurückzog. Diese Musik ist extrem in ihrer Emotionalität, sie lebt von Übersteigerung, von Pathos, von Schmerz und Hoffnung. Sie braucht Raum zum Atmen und den Mut zur Entäußerung – ein zyklisches Werk, das durch ein wiederkehrendes Schicksalsmotto in allen Sätzen verbunden ist und Tschaikowskys persönliche Krisen widerspiegelt, einschließlich seiner Auseinandersetzung mit Homosexualität und gesellschaftlichem Druck.

Anja Bihlmaiers Dirigat wählte einen anderen Weg. Sie begriff die Sinfonie auffallend stark als geordnetes, beinahe tänzerisches Gebilde, was ihre Stärke in strukturellen Werken unter Beweis stellte, wie sie es bei früheren Auftritten mit Orchestern wie dem WDR-Sinfonieorchester gezeigt hat. Der erste Satz war zügig, marschierend, rhythmisch präzise. Der große Streicherapparat war hervorragend vorbereitet, die Einsätze saßen, das Zusammenspiel funktionierte tadellos. Besonders das Wechselspiel zwischen Streichern und Holzbläsern war fein herausgearbeitet, mit einer Klarheit, die die kontrapunktischen Elemente betonte. Und doch blieb ein entscheidendes Moment auf der Strecke: die existenzielle Dringlichkeit, die in Tschaikowskys Briefen an seine Mäzenin Nadezhda von Meck anklingt, wo er von innerem Kampf spricht.

Vor allem die Pauken, eigentlich Träger von Bedrohung und Schicksal, blieben zu schwach. Das Fundament fehlte, der Musik mangelte es an körperlicher Präsenz. Wo Tschaikowsky Druck aufbaut, blieb hier alles erstaunlich kontrolliert. Die Schärfen wurden geglättet, die Abgründe nur angedeutet. Ordnung ersetzte Risiko. Wenn alles so streng geordnet ist, stirbt für manchen Hörer das Leben in der Musik, besonders in einem Werk, das von Tschaikowskys Sommeraufenthalt in Frolovskoye inspiriert wurde und eine Balance zwischen russischem Nationalismus und westlicher Symphonik sucht.

Der zweite Satz, das Andante cantabile, war klangschön und ruhig, aber emotional gedrosselt. Solo-Hornist Alexander Boukikov spielte mit klarem Ton und sicherer Sonorität, kleinere Unsauberkeiten fielen kaum ins Gewicht. Doch auch hier blieb der große seelische Aufschrei aus. Der Schmerz wurde gezeigt, nicht durchlebt, was den berühmten Hornsolo-Moment, der an Tschaikowskys Melancholie appelliert, etwas entkräftete. Das Scherzo gelang hingegen leichtfüßig, elegant, mit guter Strukturierung und tänzerischem Impuls. Hier passte Bihlmaiers Zugriff, hier wirkte die Kontrolle belebend, und erinnerte an die walzerartigen Elemente, die Tschaikowsky aus seiner Ballettmusik einbrachte.

Im Finale bündelte das Orchester seine Kräfte. Die Tempi waren straff, die Phrasierung zugespitzt, die Coda klangvoll und geschlossen. Die hohe Klangqualität des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters wurde eindrucksvoll demonstriert. Doch erneut fehlte der Mut zur wirklich großen Geste, zur emotionalen Grenzüberschreitung. Tschaikowskys Musik blieb äußerlich, schmerzlich bieder. Von den Qualen, den inneren Kämpfen und emotionalen Talfahrten des Komponisten war zu wenig zu spüren, obwohl die Sinfonie in ihrer Uraufführung in St. Petersburg gemischte Reaktionen hervorrief und erst später als Meisterwerk anerkannt wurde.

Dabei zeigte der Abend zuvor, dass es auch anders geht. Bihlmaiers Dirigat bei Prokofjew war überzeugender, vielleicht gerade weil diese Musik struktureller, härter und weniger emotional angelegt ist. Prokofjew verträgt Kontrolle. Tschaikowsky nicht. Ihn so zu bändigen, heißt, ihm einen wesentlichen Teil seiner Wahrheit zu nehmen. So bleibt am Ende ein zwiespältiger Eindruck. Ein Orchester in Geberlaune, klanglich reich, strukturell klar. Ein Dirigat, das Ordnung schafft, aber zu wenig wagt. Schade, denn die Voraussetzungen für einen wirklich erschütternden Tschaikowsky waren an diesem Abend gegeben, mit einem Solisten wie Abduraimov und einem Orchester von solcher Historie.

Zum Schluss dann ein besonderer, menschlicher Moment. Die langjährige stellvertretende Solocellistin, Sabine Krams, wurde nach 36 Jahren im Orchester verabschiedet. Die in Frankfurt geborene Cellistin, die bei Christoph Henkel in Freiburg studierte und an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt lehrt, hat nicht nur als Orchestermusikerin, sondern auch als Solistin und Kammermusikerin gewirkt. Blumen, Applaus, eine kurze Rede. Sie dankte für den Zuspruch und erinnerte das Publikum daran, dieses „Kleinod“ Orchester weiterhin zu pflegen. Ein würdiger Abschluss eines Abends, der musikalisch viel bot, aber emotional nicht immer dorthin ging, wo vor allem Tschaikowskys Musik eigentlich hinwill – ein Moment, der die Kontinuität und Leidenschaft des Ensembles unterstrich.

Dirk Schauß, 16. Dezember 2025

Museumskonzert am 15. Dezember 2025, Alte Oper Frankfurt

 

 

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