FRANKFURT/ Alte Oper: London Philharmonic Orchestra Víkingur Ólafsson, Klavier Edward Gardner, musikalische Leitung
Heroische Klangwelten: Brahms und Beethoven im glanzvollen Dialog
Copyright: Andreas Etter/ Pro Arte Frankfurt
Mit Spannung erwartete die Frankfurter Musikszene in der Alten Oper den Besuch des London Philharmonic Orchestras unter der Leitung von Edward Gardner, begleitet von dem isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson. Die Konstellation versprach Großes – und wurde zu einem musikalischen Höhepunkt der Saison. Auf dem Programm standen Johannes Brahms’ monumentales Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll, Op. 15, und Ludwig van Beethovens „Eroica“, die Sinfonie Nr. 3 Es-Dur, Op. 55, ein Meilenstein der Sinfonik.
Von Beginn an war deutlich, dass Ólafsson und das Orchester die dichte Partnerschaft, die Brahms in seinem ersten Klavierkonzert anstrebte, erfüllten. Víkingur Ólafsson wirkte hoch konzentriert, sehr bei sich und wach in seinen Gefühlen. Das Maestoso, in dem das Klavier den orchestralen Dialog impulsiv aufgreift, offenbarte Ólafssons herausragende technische Brillanz und seinen empfindsamen Anschlag. Sein Spiel zeichnete sich durch eine Klarheit und Tiefgründigkeit aus, die jedem Motiv eine unaufdringliche Dramatik verlieh. Die Agogik wirkte dabei nie forciert, sondern ergab sich organisch aus der inneren Kontext der Partitur. Der Isländer brachte die Haupt- und Nebenstimmen des Satzes fein in Balance, hob einzelne Motive heraus, ohne das klangliche Gesamtbild zu dominieren. Eine kraftvolle Wellenbewegung der so unterschiedlichen Emotionen. Edward Gardner traf mit seinem ausgezeichneten Orchester perfekt den sinfonischen Tonfall des großen Hanseaten und begleitete seinen Musizierpartner am Flügel vorbildlich.
Víkingur Ólafsson. Copyright: Andreas Etter/ Pro Arte Frankfurt
Im zweiten Satz, dem Adagio, verschmolzen Klavier und Orchester zu einer einzigen Stimme, die eine spirituelle Dimension erahnen ließ. Wenn Brahms mit diesen besonderen Momenten vielleicht an ein Gebet gedacht haben sollte, dann war diese musikalische Andacht erreicht. Ólafsson gestaltete die Phrasierung voller Ruhe und Gelassenheit, sodass jeder Ton kontemplativ in den Raum gestellt wurde. Seine Ausdruckskraft reichte von flüsternder Zartheit bis zu gewichtigen Klangfarben, die den inneren Konflikt in Brahms’ Komposition spürbar machten. Die Zeit stand still und entführte die Zuhörer weg aus der realen Welt. Kostbarste Schattierungen, vor allem in den leisen Passagen, ergaben auditive Edelsteine.
Das abschließende Rondo wurde mit einer Mischung aus größter Virtuosität und beschwingter Leichtigkeit dargeboten. Ólafsson beeindruckte nicht nur durch seine technische Beherrschung, sondern auch durch seine Feinfühligkeit im Dialog mit dem Orchester. Das Wechselspiel zwischen Spannung und Entspannung gestaltete er mit Präzision, die dieses Finale eindrucksreich machten. Mit großer Kraft und technischer Perfektion steigerte Ólafsson seinen hinreißenden Vortrag zu außerordentlicher Wirkung.
Edward Gardner bewies sein überzeugendes Gespür für die Klangwelt von Johannes Brahms. Unter seiner Leitung erfüllte das London Philharmonic Orchestra die Alte Oper mit sattem, warmem Klang, ohne jemals in Pathos zu verfallen. Gardner wusste das Orchester präzise zu führen und gab gleichzeitig Ólafsson Raum für seine individuelle Interpretation. Besonders in den dichten orchestralen Abschnitten des ersten Satzes zeigte das Orchester eine bemerkenswerte Klangbalance, die auch feinste Nuancen hörbar machte. Die Homogenität und Ausdrucksstärke des Orchesters unter Gardners Leitung erwiesen sich als idealer Partner für Ólafssons sensibel durchdachtes Klavierspiel. Und das London Philharmonic zeigte eine Weltklasse-Leistung an allen Pulten. Neben den herrlichen Holzbläsern faszinierte vor allem die berauschende Sonorität der Streicher.
Der Jubel wurde von Ólafsson mit zwei Zugaben von Jean-Philippe Rameau belohnt. Virtuos und zuletzt aus „Les Boréades“, ein inniger Gesang auf dem Steinway-Flügel. Wunderbar.
Nach der Pause wandte sich das London Philharmonic Orchestra Ludwig van Beethoven zu und interpretierte dessen revolutionäre dritte Sinfonie, die „Eroica“. Schon im ersten Satz, dem Allegro con brio, entfaltete das Orchester unter Gardners anfeuernder Leitung eine große Spannung und Dramatik. Die Themen entwickelten sich organisch mit ungestümer Kraft, als wollte Gardner den Pioniergeist, den Beethoven in diesem Werk eingefangen hat, neu erwecken. Die musikalische Architektur blieb dabei stets durchdacht und klar.
Der zweite Satz entfaltete sich als langsamer Trauermarsch, bei dem Gardner jedes Instrumentarium in seiner Bedeutung aufblühen ließ. Die hier vibratolos spielenden Streicher schufen einen fahlen, dunklen Klangteppich, während die Bläser klare, beinahe metaphysische Akzente setzten. So kamen die großen Kulminationen mit starker Wucht und Trotz. Der melancholische Charakter des Satzes fand im Spiel des Orchesters eine berührende und respektvolle Interpretation, die den Geist dieser „Heldensinfonie“ einfühlsam widerspiegelte.
Im Scherzo nahm Gardner das Publikum mit auf eine Reise durch einen stürmischen und zugleich spielerisch leicht wirkenden Satz. Die Musiker des Orchesters ließen diesen Satz durch eine gekonnte dynamische Abstufung lebendig und nuancenreich wirken – eine vitalisierende Interpretation, die die „Eroica“ zu einem Werk des Aufbruchs machte. Besonders die Hörner glänzten mit einer Strahlkraft, die diesen Satz zu einem Höhepunkt werden ließ.
Das Finale brachte nochmals die majestätische Größe des Werkes zum Vorschein. Gardner und das London Philharmonic Orchestra zelebrierten das heroische Thema in den strahlenden Hörnern voller Kraft und Zuversicht, ohne den Blick für die komplexe Harmonik und Struktur dieses Satzes zu verlieren. Wie bereits zuvor gefielen auch besonders die strahlenden Natur-Trompeten und die umwerfenden Holzbläser. Und natürlich erzeugte die große Streichergruppe, mit den so herausragend markanten Kontrabässen, Wonneschauer. Die Interpretation spiegelte die revolutionäre Kraft wider, die Beethoven mit der „Eroica“ für die Nachwelt festgeschrieben hat.
Eine Kostbarkeit gab es dann als Zugabe: Eine perfekt ausbalancierte und dynamisch, mit größter Raffinesse vorgetragene Version des Valse Triste von Jean Sibelius.
Dieser Abend in der Alten Oper Frankfurt war mehr als ein Konzert; es war ein monumentales Klangerlebnis. Die feinsinnige Interpretation von Brahms’ Klavierkonzert Nr. 1 sowie die machtvolle und zugleich tiefgründige „Eroica“ haben eindrücklich bewiesen, dass diese Meisterwerke über die Jahrhunderte hinweg ihre besondere Kraft nicht verloren haben.
Dirk Schauß, 12. November 2024
Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 11. November 2024
London Philharmonic Orchestra
Víkingur Ólafsson, Klavier
Edward Gardner, musikalische Leitung