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FRANKFURT/ Alte Oper: KONZERT TONHALLE-ORCHESTER ZÜRICH, Paavo Järvi/ Vikingur Olafsson (Pärt, Schumann, Brahms)

20.03.2025 | Konzert/Liederabende

Klangliche Erzählkunst

Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich begeistern in Frankfurt mit Schumann und Ólafsson (19.3.2025)

Schon bevor der erste Ton erklang, lag eine gespannte Erwartung in der Luft. Die Alte Oper Frankfurt, ein Ort mit einer langen Tradition großer Konzertereignisse, wurde an diesem Abend zur Bühne für eine Aufführung, die weit über ein reines Musikerlebnis hinausging. Es war eine dramaturgisch klug gestaltete Reise durch emotionale Landschaften – vom meditativen Gedenken Arvo Pärts über die filigrane Poesie von Schumanns Klavierkonzert bis hin zur leuchtenden Erhabenheit der „Rheinischen“. Im Mittelpunkt stand nicht nur die Musik, sondern ihre erzählerische Kraft: die Fähigkeit, Erinnerungen hervorzurufen, innere Bewegtheit auszulösen und einen Raum jenseits des Alltäglichen zu öffnen.

Den Auftakt bildete Arvo Pärts „Für Lennart in memoriam“, eine kurze, aber tief empfundene Elegie, gewidmet dem estnischen Staatspräsidenten und Schriftsteller Lennart Meri. Pärts Tonsprache lebt von der Reduktion, von Tönen, die in der Stille schweben und sich fast scheu in den Raum tasten. Järvi führte das Tonhalle-Orchester Zürich mit einer Disziplin, die den fragilen Charakter der Musik bewahrte, aber dennoch eine unergründliche Weite vermittelte. Die Streicher – eine beeindruckend große Gruppe – flüsterten förmlich aus dem Nichts heraus, um dann mit schattenhafter Lichtfülle Akzente zu setzen. Es war ein Klang, der nicht auf Lautstärke basierte, sondern auf Intensität – eine Musik, die mehr andeutete, als sie offenbarte.

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Vikingur Olafsson. © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Mit Schumanns Klavierkonzert in a-Moll stand anschließend ein Werk auf dem Programm, das sich durch seine enge Verzahnung von Solist und Orchester auszeichnet. Víkingur Ólafsson, ein Pianist von außergewöhnlicher klanglicher Intelligenz, verlieh dem Werk eine feinsinnige Interpretation. Sein Spiel besaß eine ungewöhnliche Klarheit: kein romantisches Schwärmen, keine überschäumende Gestik, sondern eine Linie, die sich mit natürlicher Selbstverständlichkeit entfaltete. Der Beginn des ersten Satzes, in dem das Klavier aus den dunklen Orchestertremoli aufsteigt, wirkte wie ein dramatischer Einbruch, wie eine Stimme, die sich aus der Stille löst, um überschnell nach vorne zu stürmen. Ólafsson modellierte jede Phrase mit einer leuchtenden Transparenz, seine Anschlagskultur war von seltener Präzision und doch stets gesanglich.

Das Zusammenspiel mit dem Orchester war durch und durch dialogisch – Järvi sorgte dafür, dass der Orchesterklang das Klavier nicht überlagerte, sondern zuweilen erstaunlich im Hintergrund blieb, sodass die Impulse vom Pianisten ausgingen. Der zweite Satz, dieses innige Intermezzo, wurde zum emotionalen Zentrum der Interpretation. Ólafsson spielte mit einer kantablen Ruhe, die jede Melodielinie zu einem Atemzug werden ließ. Seine rechte Hand legte sanfte Bögen über die Töne, die linke formte einen klanglichen Grund, der nicht begleitete, sondern mitsprach. Järvi und das Orchester fügten sich mit einer Delikatesse ein, die den Satz in einen Zustand reiner Poesie verwandelte.

Im Finale schließlich zeigte Ólafsson eine federnde Virtuosität, die Schumanns tänzerische Rhythmen mit anmutiger Leichtigkeit durchmaß. Die Läufe perlten, die Akkorde donnerten kraftvoll auf, ohne an Gewicht zu verlieren. Paavo Järvi hielt das Tempo bewusst elastisch, sodass sich das Geschehen mit geschmeidiger Unmittelbarkeit entfaltete. Große Begeisterung, die von Ólafsson mit zwei Goldberg-Variationen (13 und 3) von J.S. Bach hinreißend bedankt wurde.

Nach der Pause stand mit Schumanns dritter Sinfonie das vielleicht prachtvollste Orchesterwerk des Abends auf dem Programm. Die „Rheinische“, inspiriert von den Eindrücken einer Reise nach Köln, ist eine Musik von pulsierender Bewegung und imposanter Klangarchitektur. Järvi ließ den ersten Satz nicht als stürmischen Aufbruch erklingen, sondern als einen Fluss, der mit majestätischer Kraft durch den Raum strömte. Die Streicher setzten mit leuchtender Präsenz ein, das Blech entfaltete eine festliche Strahlkraft, während die Holzbläser mit charaktervollen Phrasierungen Akzente setzten. Die dynamische Gestaltung war durchdacht, Wellenbewegungen durchzogen den Satz, der sich immer wieder zu neuen Höhepunkten aufschwang.

Das Scherzo wurde von Järvi als ein rustikales, aber geschmeidiges Tanzbild gezeichnet, mit einer atmenden Agogik, die den Satz mit volkstümlichem Charakter erfüllte. Besonders beeindruckend war der dritte Satz – ein elegantes, fast schwereloses „Nicht schnell“, das wie eine poetische Rückblende wirkte. Hier zeigte das Orchester eine kammermusikalische Transparenz, die Schumanns feine Klangschichtungen wunderbar herausarbeitete.

Dann das „Feierlich“, jenes imposante Adagio, vermutlich inspiriert von der Architektur des Kölner Doms. Järvi baute den Satz mit ruhiger Hand auf, ließ die tiefen Streicher eine sonore Grundlage legen, über der sich die Posaunen mit würdevoller Gravität erhoben. Ihr Klang war keine starre Säule, sondern ein atmendes Gewölbe, in dem die Musik wie in Stein gemeißelt schien. Die Akustik des Saals unterstützte diese Wirkung, die den Eindruck einer monumentalen Klangkathedrale verstärkte.

Das Finale schließlich brachte eine Auflösung, die weder überhastet noch plakativ geriet. Järvi entfaltete den Satz mit einer Leichtigkeit, die den vorhergehenden Ernst nicht negierte, sondern ihn in strahlender Energie transformierte. Das Orchester glänzte mit dynamischer Flexibilität, die es ermöglichte, selbst in den dichtesten Passagen eine Durchhörbarkeit zu bewahren. Das abschließende Fortissimo wirkte nicht als bloßer Abschluss, sondern als eine Art triumphaler Horizont, auf den sich die gesamte Sinfonie hinbewegte.

Völlig aus dem Häuschen geriet das Auditorium bei der Zugabe mit dem ersten Ungarischen Tanz von Johannes Brahms. Järvi zelebrierte die wechselnden Tempi und Dynamiken mit einer Freiheit, die elektrisierte. Mal federnd leicht, dann wieder mit eruptiver Kraft – das Orchester spielte mit vibrierender Energie, die den Saal in einen Rausch versetzte. Es war ein mitreißender Abschluss eines Konzertabends, der nicht durch bloße Virtuosität beeindruckte, sondern durch erzählerische Tiefe und gestalterische Intelligenz.

Ein Abend, der nicht durch Effekt, sondern durch Substanz in Erinnerung bleibt.

Dirk Schauß, 20. März 2025

Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 19. März 2025 mit dem Tonhalle-Orchester Zürich

 

 

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