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FRANKFURT/ Alte Oper: Konzert Opern- und Museumorchester; Sergey Khachatryan, Violine; Michael Sanderling, musikalische Leitung (Tschaikowsky, Schostakowitsch)

18.02.2025 | Konzert/Liederabende

Panoramen der Seele – Tschaikowsky und Schostakowitsch in der Alten Oper Frankfurt

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Foto: Diana Hillesheim

Am 17. Januar präsentierte die Alte Oper Frankfurt ein Programm der musikalischen Hochspannung, als das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Michael Sanderling ein russisches Programm vortrug. Mit Tschaikowskys berühmtem Violinkonzert in D-Dur und Schostakowitschs 15. Sinfonie bot der Abend eine spannende Gegenüberstellung zweier Meisterwerke der russischen Musikgeschichte. Der armenische Geiger Sergey Khachatryan kehrte an diesem Abend zurück, um das Violinkonzert zu interpretieren, während Sanderling seine Expertise in Schostakowitschs sinfonischem Schaffen unter Beweis stellte.

Piotr Iljitsch Tschaikowskys Violinkonzert in D-Dur, Op. 35, ist eines der bekanntesten und technisch anspruchsvollsten Werke der Violinliteratur. 1878 komponiert, spiegelt es Tschaikowskys Fähigkeit, lyrische Melodien mit virtuoser Brillanz zu verbinden. Das Konzert ist ein Meilenstein der Romantik und fordert vom Solisten nicht nur technische Perfektion, sondern auch eine tiefe emotionale Ausdruckskraft.

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Applaus für Sergey Khachatryan, Michael Sanderling und Orchester. Foto: Diana Hillesheim

Sergey Khachatryan, geboren in Jerewan und in Frankfurt aufgewachsen, ist ein gefragter Geiger unserer Zeit. Seine Interpretationen zeichnen sich durch erzählerische Begabung und hohe Virtuosität aus. Khachatryan hat bereits zahlreiche Preise gewonnen und ist regelmäßig auf den großen Bühnen der Welt zu Gast. Seine Interpretation des Tschaikowsky-Konzerts war ein Erlebnis. Im ersten Satz überzeugte er durch eine vorzügliche Balance zwischen technischer Virtuosität und kantablem Ausdruck. Die Doppelgriffe und schnellen Läufe waren makellos, doch es war seine Fähigkeit, die lyrischen Passagen mit einer schmerzhaften Schönheit zu gestalten, die das Publikum in Spannung versetzte. Seine Phrasierung war von einer natürlichen Eleganz, und er verstand es, jede Note mit Bedeutung aufzuladen. Die ausgedehnte Kadenz wirkte bei ihm wie eine packende Erzählung – rein, ungekünstelt und voller Ausdruck. Kein übertriebener Pathos, keine vordergründige Virtuosität – stattdessen eine durchdachte Dramaturgie, die stets den Spannungsbogen hielt. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, unter Sanderlings präziser Leitung, reagierte sensibel auf Khachatryans Impulse. Die Streicher zeigten eine wunderbare Geschmeidigkeit, während die Holzbläser mit warmen, ausdrucksstarken Soli glänzten. Die dynamische Abstufung zwischen Solist und Orchester war gut ausbalanciert, was den Satz zu einem homogenen Ganzen werden ließ. Sanderlings symphonischer Zugang ließ das herrliche Polonaisen-Thema prachtvoll strahlen und verlieh der gesamten Interpretation einen besonderen Glanz.

Im zweiten Satz entfaltete Khachatryan zarte, innige Kantabilität, die das Orchester einfühlsam unterstützte. Die Streicher spielten mit schwebender Leichtigkeit, während die Holzbläser subtil akzentuierten. Mit klanglicher Wärme und feiner Agogik erklangen die kostbaren Weisen, als entstünden sie gerade im Moment. Khachatryans Ton war hier von zerbrechlicher Schönheit, und er verstand es, die melancholische Stimmung des Satzes mit größter Intensität zu vermitteln. Die Dynamik war subtil abgestuft, und die Phrasierung wirkte natürlich, fließend. Das Orchester zeigte hier seine Fähigkeit, zurückhaltend und doch präsent zu agieren, und schuf so einen idealen Rahmen für den Solisten.

Der dritte Satz war ein Feuerwerk der Virtuosität. Khachatryan meisterte die technischen Herausforderungen mit Leichtigkeit, während das Orchester unter Sanderlings Leitung mit präzisen Rhythmen und energischem Schwung antwortete. Die Streicher zeigten hier ihre ganze Agilität, und die Blechbläser trugen mit kraftvollen Akzenten zur festlichen Stimmung bei. Das Zusammenspiel zwischen Solist und Orchester war nahtlos, und der Schlussapplaus war stürmisch und wohlverdient. Khachatryans Interpretation war nicht nur technisch brillant, sondern auch von einer tiefen emotionalen Durchdringung, die das Publikum sichtlich berührte. Khachatryan wartete den Jubel ab und spielte eine friedvolle Weise als Zugabe, die die Zeit still stehen ließ. Es dauerte lange, bis das Publikum sich von dieser besonderen humanen Botschaft zum herzlichen Applaus wieder einfand.

Michael Sanderling, Sohn des legendären Dirigenten Kurt Sanderling, ist ein ausgewiesener Experte für das Werk von Dmitri Schostakowitsch. Wie sein Vater hat er Sinfonien Schostakowitschs auf CD eingespielt und verfügt über ein tiefes Verständnis für dessen komplexe musikalische Sprache. Sanderlings Verbindung zu Schostakowitsch reicht bis in seine Kindheit zurück, als der Komponist im Haus seiner Eltern in Ostberlin verkehrte. Diese persönliche Nähe spiegelt sich in seinen Interpretationen wider, die stets von großer Authentizität geprägt sind.

Schostakowitschs 15. Sinfonie in A-Dur, Op. 141 ist ein faszinierendes Werk, das 1971 uraufgeführt wurde und als sein sinfonisches Vermächtnis gilt. Die Sinfonie ist voller Zitate – aus eigenen Werken, aber auch aus Rossinis „Wilhelm Tell“ und Wagners „Ring des Nibelungen“. Sie vereint Sarkasmus, Todestrauer und sphärische Klangwelten zu einem abgründigen, vielschichtigen Ganzen. Schostakowitsch reflektiert hier sein Leben und Schaffen, während er gleichzeitig seinen nahenden Tod heraufbeschwört. Der geniale Komponist öffnet in seinem Werk neue Pforten seines Klanguniversums und dies auf sehr persönliche Weise.

Michael Sanderlings Interpretation der 15. Sinfonie war meisterhaft. Im ersten Satz gelang es ihm, die scheinbar heitere Stimmung mit einem unterschwelligen Unbehagen zu unterlegen. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielte mit großer Präzision und brachte die ironischen Untertöne gut zur Geltung. Die Streicher zeigten eine bemerkenswerte Klarheit in den schnellen Passagen, während die Holzbläser mit spielerischen, spitzfindigen Phrasen die groteske Stimmung unterstrichen. Das Schlagzeug war hier bereits ein wichtiger Akteur, mit prägnanten, marschartigen Rhythmen, die den Satz vorantrieben. Die perkussiven Elemente und die Zitate aus Rossinis „Wilhelm Tell“ wurden mit spielerischer Leichtigkeit präsentiert, ohne die dunklen Untertöne zu vernachlässigen.

Das anschließende Adagio war von einer düsteren, beklemmenden Stimmung geprägt. Sanderling führte das Orchester durch die komplexen Strukturen mit einer klaren Handschrift, während die Blechbläser und Streicher eine intensive, trauernde Atmosphäre schufen. Die Celli und Kontrabässe spielten mit tiefer, dröhnender Klangfülle, die den Satz erdbebenartig durchzog. Die Soli von Violine, vor allem Cello, Kontrabass und Posaune gerieten ganz besonders. Vor allem die klagende Weise des Cellos war von einer schmerzhaften Schönheit, und die Harfe sowie die Celesta fügten schwebende Klangfarben hinzu, die den Satz in eine surreale Sphäre hoben. Die dynamische Bandbreite des Orchesters war hier besonders beeindruckend, von kaum hörbaren Pianissimo-Passagen bis zu erschütternden Fortissimo-Ausbrüchen.

Im dritten Satz dominierte Sarkasmus und groteske Heiterkeit, vor allem in den Holzbläsern. Die Streicher zeigten hier ihre ganze rhythmische Präzision, während die Blechbläser mit scharfen, schneidenden Akzenten die groteske Stimmung unterstrichen. Die Pauken und das übrige Schlagwerk waren hier besonders gefordert und meisterten ihre Aufgabe mit Bravour. Sanderling verstand es, die verschiedenen Ebenen des Satzes geschickt zu überlagern, ohne den Gesamtfluss zu unterbrechen.

Der vierte Satz bildete den emotionalen Höhepunkt. Es ist immer wieder verblüffend, wenn am Beginn Wagners „Götterdämmerung“ überdeutlich zitiert wird. Keine Frage, der Tod ist nahe. Sanderling entfaltete hier eine packende Dramatik. Das Orchester zeigte seine ganze Bandbreite, von zarten Streicherpassagen bis zu kraftvollen Tutti-Ausbrüchen. Die Blechbläser, insbesondere die Trompeten, Posaunen und Tuba, spielten mit einer erschütternden Intensität, während die Streicher mit ihren langen, ausdrucksvollen Linien die trauernde Stimmung des Satzes unterstreichen. Der Schluss, mit seinem geheimnisvollen Schlagzeug, hinterließ eine tiefe Nachwirkung. Hier zeigt der große Schostakowitsch noch einmal seine starke narrative Kraft und führt den Zuhörer in ganz neue klangliche Welten. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zeigte seine ganze Fähigkeit, komplexe emotionale Zustände musikalisch darzustellen, und schuf so einen bewegenden Abschluss des Abends. Was bleibt, ist ein unwirklicher Dialog zwischen zwei Gruppen des Schlagzeugs. Die letzten Momente, Atemzüge des großen Dmitri Schostakowitsch, dann ist der Nullpunkt des Lebens erreicht. Stille.

Michael Sanderling erwies sich als Dirigent von außergewöhnlicher Präzision und gestalterischer Weitsicht. Mit einer klaren, unaufgeregten Zeichengebung formte er den Klangkörper mit souveräner Hand und schuf eine Balance zwischen analytischer Durchdringung und expressiver Wärme. Ein forderndes Werk für alle Beteiligten und auch für das Publikum, gerade in diesem Vortrag. Brausender Applaus.

Der Abend in der Alten Oper Frankfurt war ein bewegendes Zeugnis der empfundenen Interpretation. Ein Konzert, das ganz besonders war, vor allem aufgrund der berührenden Menschlichkeit, die in jedem Ton spürbar war.

Dirk Schauß, 18. Februar 2025

Konzert in der Alten Oper am 17. Februar 2025

Sergey Khachatryan, Violine

Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Michael Sanderling, musikalische Leitung

Fotos:

Copyright by Diana Hillesheim

 

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