Seelenlandschaften in h-Moll: Elgars Violinkonzert und Tschaikowskys Pathétique“. Thomas Guggeis; Michael Barenboim (Violine)
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Thomas Guggeis stellte am 18. November 2024 in der Alten Oper ein Programm von besonderer Emotionalität vor: Elgars Violinkonzert h-Moll, Op. 61 und Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6, Op. 74, ebenfalls in h-moll, die „Pathétique“. Beide Werke fordern hohe Präzision sowie intensive Ausdruckskraft. Mit Michael Barenboim als Solist und Guggeis’ sensibler Orchesterführung gelang eine Darbietung, die die Seele beider Werke eindrucksvoll zum Ausdruck brachte.
Die Klangwelt von Edward Elgars Violinkonzert zeichnet sich durch eine tiefe Lyrik aus und ist eines der anspruchsvollsten Werke des Repertoires. Vielen mag Edward Elgar durch die eingängige Melodie seines „Pomp and Circumstance“-Marsch Nr. 1 bekannt sein, der als Hymne der „Last Night of the Proms“ weltweite Berühmtheit genießt. Doch dieser Ruhm war für den 1857 in Worcester geborenen Sohn eines Musikalienhändlers keineswegs vorherbestimmt. Elgars Ausbildung war weitgehend autodidaktisch, wie er selbst erzählte: „Ich sah und lernte einen Großteil über Musik durch die Flut an Musikstücken, die durch die Firma meines Vaters gingen.“ Er las, spielte und hörte so viele Werke wie möglich. So entwickelte er aus dieser einzigartigen Fülle heraus seine außergewöhnliche Kompositionstechnik. Trotz widriger Umstände gelang es ihm, sich als Musiker und Komponist durchzusetzen. Sein Durchbruch kam 1899 mit den „Enigma-Variationen“, und spätestens mit der ersten Sinfonie wurde Elgar zu einem der bedeutendsten Komponisten Englands. Sein Violinkonzert entstand auf Anregung des gefeierten Geigers Fritz Kreisler, der 1905 in London öffentlich erklärte, Elgar sei „der größte lebende Komponist“, den er Beethoven und Brahms gleichstellte. Kreisler selbst brachte das Konzert 1910 in London zur Uraufführung – ein Werk, das durch seine Länge von fast 50 Minuten und die anspruchsvolle Virtuosität nur selten im Konzertsaal erklingt.
Michael Barenboim – Copyright by Neda Navaee
Michael Barenboim stellte sich der außergewöhnlichen Herausforderung des Konzertes mit einer beeindruckenden Balance aus technischer Perfektion und kompositorischer Durchdringung. Seine Interpretation zeichnete sich durch eine präzise Artikulation und feine Nuancen in der Phrasierung aus, die den tiefgründigen Charakter des Werkes überzeugend einfingen.
Barenboim eröffnete den ersten Satz mit einem kraftvollen, klar konturierten Ton, der den epischen, zugleich intimen Charakter des Werkes unterstrich. Die lyrischen Passagen gestaltete er mit einer warmen Klangfarbe, während die virtuosen Abschnitte von makelloser Technik geprägt waren. In den Dialogen mit dem Orchester, das unter Guggeis’ Leitung kraftvolle Momente hervorbrachte, bewies Barenboim seine klangliche Durchsetzungskraft, die das Werk in all seiner Breite und Tiefe zum Strahlen brachte.
Im Andante zeigte Barenboim eine beeindruckende Lyrik und klangliche Subtilität. Die melancholischen Melodiebögen wurden mit Innigkeit vorgetragen, die Phrasen atmeten und ließen Raum für die feine Dichte der begleitenden Orchesterpassagen. Seine Klanggestaltung brachte die innere Zerrissenheit, die in der Musik mitschwingt, intensiv zur Geltung, ohne jemals in Dramatik zu verfallen. Barenboims zurückhaltende Interpretation ließ den melancholischen Charakter dieses Satzes umso deutlicher hervortreten.
Im ausschweifenden, finalen Allegro molto bewies Barenboim seine Virtuosität und dramatische Gestaltungskraft. Der herausfordernde dritte Satz erfordert nicht nur technische Souveränität, sondern auch die Fähigkeit, die dynamischen Wechsel in einer packenden Dramatik zu vereinen und vor allem Ausdauer! Barenboim meisterte die flimmernden und teilweise rasenden Passagen mit großer Präzision und steigerte sich bis zum prächtigen Finale, das er mit viel Intensität und absoluter Kontrolle über alle musikalischen Details darbot.
Thomas Guggeis. Foto: Barbara Aumüller
Thomas Guggeis führte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester durch die komplexe, reich strukturierte Partitur Elgars, wobei er die dynamischen Feinheiten und den Dialog zwischen Solovioline und Orchester aufmerksam gestaltete. Besonders die Holz- und Blechbläser setzten pointierte Akzente und bereicherten Barenboims Spiel mit nuancierten, prägnanten Orchesterfarben. Anhaltender Beifall, den Barenboim mit einer feinen Zugabe (J.S.Bach, 3. Sonate, 3. Satz, Largo) belohnte.
Peter Tschaikowskys letzte Sinfonie, die „Pathétique“, ist ein Werk voller emotionaler Gegensätze und intensiver Klanglandschaften. Die Uraufführung im Herbst 1893, die der Komponist selbst dirigierte, fand nur wenige Tage vor seinem Tod statt. Die „Pathétique“ ist ein musikalisches Testament, das von melancholischen Tönen bis zu kriegerischen Marschpassagen reicht. Thomas Guggeis und das Orchester gaben sich den komplexen Ausdrucksschichten der Partitur in einer ausdrucksstarken Interpretation hin, die deutlichst von Sturm und Drang bestimmt war.
Der eröffnende Satz begann mit der klagenden Melodie der Holzbläser, die Guggeis mit einer dunklen, feinen Balance im Orchester klanglich unterstrich. Besonders die Klarinetten und Fagotte verliehen diesem Eingang einen erdigen, melancholischen Ausdruck. In den markanten Einsätzen der Hörner und Trompeten, die das Allegro befeuern, baute das Orchester eine dichte Spannung auf. Guggeis ließ diese klanglichen Gegensätze organisch ineinanderfließen und hielt dabei die Klangfarben transparent. Die Pauken verstärkten die düstere Atmosphäre und schufen eine rhythmische Grundlage, die immer wieder eine Wucht einbrachte, die ins Tragische deutete. Furios und voraus stürmend ging die Durchführung als klangliches Donnerwetter über die Zuhörer hernieder. Der Satz endete in einem Zustand schwermütiger Entschlossenheit bei klug dosierten Bläserakkorden.
Der zweite Satz, brachte eine charmante, tänzerische Abwechslung zur melancholischen Stimmung des ersten Satzes. Guggeis und das Orchester bewahrten dabei Leichtigkeit und Transparenz, die die sanft schwingenden Melodien der Streicher zur Geltung brachte. Der subtile Dialog zwischen den Instrumenten sorgte für eine Balance zwischen Eleganz und Fragilität. Besonders die Streicher schufen eine schwebende Atmosphäre, während die Holzbläser in geschickten Momenten kurze Akzente setzten.
Mit markantem Rhythmus führte das Orchester den dritten Satz in ein marschierendes Allegro. Die prasselnden Beckenschläge und die unaufhaltsame Dynamik der Blechbläser brachten eine martialische, energische Kraft zum Ausdruck, die Guggeis zu einem bedrohlichen Klangbild verdichtete. Die Pauken verstärkten diesen marschartigen Charakter, während die Streicher das Tempo mit den dialogisierenden Holzbläsern unerbittlich vorantrieben. Guggeis gelang es, das Orchester durch diesen Satz in eine fesselnde Klangwelle zu führen, die das Publikum in das abrupte Ende hinleitete.
Der finale Satz begann mit schmerzvollem Nachdruck, in der die Streicher ihre klagende Melodie entfalteten. Guggeis führte das Orchester durch diese dunkle Atmosphäre, in der sich ein beständiges „Sterben“ der Töne entwickelte. Guggeis verzichtete hier auf das geforderte „Lamentoso“ und entschied sich daher eher für eine Version, die einem „Adagio con fuoco“ entsprochen haben dürfte. Erst gegen Ende dämpfte er die Dynamik und verlieh dem Satz einen eindringlichen Todesgesang, der im markanten und deutlich nachklingendem Schlag des TamTams wie ein ferner Herzschlag zu verhallen schien. Die Bläser trugen ihre Linien mit fast wehklagender Intonation, während die Streicher im Hintergrund langsam verstummten. Guggeis ließ den letzten Atemzug des Satzes in völliger Stille verklingen, was die tragische Endgültigkeit dieser Musik noch verstärkte. Lange Stille und dann anhaltender Jubel.
Unter Guggeis’ Leitung präsentierte sich das Frankfurter Opern- und Museumsorchester in absoluter Hochform. Guggeis erwies sich als detailversessener und doch intuitiver Dirigent, der das Orchester sicher und ausdrucksstark durch die vielschichtige Partitur führte. Die Holz- und Blechbläser, die im Zusammenspiel mit den üppig aufspielenden Streichern Tschaikowskys Sinfonie ihre unverwechselbare Farbe verliehen, waren in prägnanter, klanglich ausgefeilter Form zu erleben. Besonders hervorzuheben ist Guggeis’ Gespür für Dynamik und Effekt. Bei aller jugendlichen Frische blieb lediglich das Innehalten in den langsameren Abschnitten zu deutlich auf der Strecke.
Alles in allem ein vielschichtiges Konzert mit einer großen farblichen Bandbreite. Michael Barenboim überzeugte durch seine versierte Interpretation, die das Violinkonzert zu einem eindrucksvollen Erlebnis machte. Thomas Guggeis und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester brachten in der „Pathétique“ die emotionale, klangliche Wucht Tschaikowskys zur vollen Entfaltung. Besonders der ausklingende Todesgesang des letzten Satzes wirkte nach und hinterließ das Publikum tief bewegt in einem Moment stiller Reflexion.
Dirk Schauß, 19. November 2024
Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 18. November 2024
Michael Barenboim, Violine
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Thomas Guggeis, musikalische Leitung