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FRANKFURT/ Alte Oper: Konzert des hr-Sinfonieorchesters unter Edward Gardner mit Christian Tetzlaff – (Bartok, Berlioz) Klangwelten zwischen Traum und Albtraum

05.04.2025 | Konzert/Liederabende

FRANKFURT/ Alte Oper: Konzert des hr-Sinfonieorchesters unter Edward Gardner mit Christian Tetzlaff – (Bartok, Berlioz) Klangwelten zwischen Traum und Albtraum  (4. April 2025)

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Edward Gardner – Copyright by hr/Benjamin Ealovega

Am 4. April 2025 entfaltete sich in der Alten Oper Frankfurt ein Abend der Kontraste, getragen vom hr-Sinfonieorchester unter der präzisen, doch leidenschaftlichen Leitung Edward Gardners. Von Beginn an zeigte sich das Orchester als ein Organismus von Geschmeidigkeit und Wucht – ein Klangkörper, der sich mühelos zwischen transparenter Feinarbeit und eruptiver Gewalt bewegte. Gardner, ein Dirigent, der jede Geste mit klarer Intentionalität setzt, formte die Musik nicht nur, er durchdrang sie, ließ sie atmen, zittern, explodieren.

Béla Bartóks zweites Violinkonzert ist ein Werk der Polaritäten: zwischen folkloristischer Erdverbundenheit und moderner Abstraktion, zwischen lyrischer Innenschau und rhythmischer Urgewalt. Christian Tetzlaff, ein Solist von unbestechlicher Klarheit und zugleich schier unerschöpflicher Ausdruckspalette, nahm das Publikum mit auf diese Reise. Schon der erste Satz entfaltete sich nicht als bloße Virtuosenetüde, sondern als dramatischer Monolog – seine Geige sprach mit scharf konturierter Artikulation, doch niemals schrill, sondern stets mit einem Kern von samtenem Dunkel. Die Doppelgriffe und chromatischen Läufe wirkten nicht wie technische Hürden, sondern wie natürliche Ausbrüche eines erzählenden Bewusstseins.

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Christian Tetzlaff – Copyright by hr/Giorgia Bertazzi

Im zweiten Satz, einem Variationsreigen von fast schubertscher Melancholie, offenbarte Tetzlaff seine größte Stärke: die Fähigkeit, jede Phrase mit narrativem Gewicht zu füllen. Die Streicher des Orchesters antworteten ihm mit einer schwebenden, fast geisterhaften Textur, während die Holzbläser wie ferne Stimmen aus einer anderen Welt klangen. Die letzte Variation, ein Adagio von schmerzlicher Schönheit, wurde unter seinen Händen zur klang-gewordenen Resignation – ein Hauch, ein letztes Aufbäumen, dann Verstummen.

Das Finale dann ein Taumel, ein Tanz auf vulkanischem Boden. Tetzlaffs Bogen strich mit wilder Entschlossenheit über die Saiten, während das Orchester in synkopischen Stößen antwortete. Gardner trieb die Rhythmen voran, ohne je die Kontrolle zu verlieren – hier war kein bloßes Fortissimo, sondern ein orchestrales Gewitter, bei dem jeder Blitz genau platziert war. Große Begeisterung und Bewunderung für einen herausragenden Vortrag des horrend schweren Werkes.

Was folgte, war nicht einfach ein Orchesterwerk, sondern ein Theaterstück ohne Worte, ein psychologisches Panorama, das in seiner Drastik auch heute noch verstören kann. Hector Berlioz’ „Symphonie fantastique“ verlangt einem Orchester alles ab: schwelgerische Kantilenen, brutale Schläge, groteske Verzerrungen. Das hr-Sinfonieorchester meisterte diese Herausforderung mit bravouröser Hingabe.

Schon die „Rêveries – Passions“ des ersten Satzes entrollten sich nicht als bloße Melodie, sondern als ein Strom von Erinnerung und Verlangen. Die Celli und Violinen seufzten in wellenförmigen Phrasen, während die Bläser wie verlockende, doch unerreichbare Visionen glänzten. Gardner gestaltete diese Steigerungen nicht linear, sondern in plötzlichen Ausbrüchen – als stürze der Protagonist immer wieder in neue Abgründe.

Der „Ball“-Satz wirbelte dahin mit schwindelerregender Eleganz. Die Streicher spielten mit schimmernder Leichtigkeit, als schwebten sie über dem Parkett, während die beiden Harfen das Klangbild in silbrige Höhen hoben. Doch diese Anmut war trügerisch – denn im „Scène aux champs“ brach die Idylle jäh zusammen. Das Englischhorn klagte einsam und verloren, bis die fern grollenden Pauken das nahende Unheil andeuteten. Hier zeigte das Orchester seine größte Stärke: die Fähigkeit, Stille ebenso intensiv zu gestalten wie den orchestralen Ausbruch.

Dann der Absturz in die Hölle. „Marche au supplice“ donnerte mit einer Präzision, die das Blut gefrieren ließ – die Blechbläser stachen wie Messer durch den Raum, die Schläge der Becken und der großen Trommel hallten wie Fallbeile. Und im „Songe d’une nuit du sabbat“ entfesselte Berlioz sein ganzes Arsenal des Schreckens: das „Dies irae“, verzerrt zu einer höhnischen Grimasse, die Geigen, die mit col legno-Schlägen wie knöcherne Finger über die Saiten kratzten, die Glocken, die wie Totengeläut aus der Ferne dröhnten. Gardner ließ dieses Chaos nicht einfach geschehen – er inszenierte es, als führe er uns direkt in den Abgrund.

Dies war kein Konzert, das man einfach nur hörte – man durchlebte es. Zwischen Bartóks moderner Expressivität und Berlioz’ romantischem Exzess spannte sich ein Bogen von seltener Intensität. Christian Tetzlaff bewies einmal mehr, warum er zu den ganz großen Geigern unserer Zeit zählt: ein Musiker, der nicht nur spielt, sondern denkt, fühlt und sich der Musik hingibt. Und das hr-Sinfonieorchester unter Edward Gardner zeigte sich auf der Höhe seiner Kunst – ein Ensemble, das gleichermaßen filigran wie gewaltig sein kann, das Geschichten erzählt, anstatt nur Töne zu produzieren.

Als der letzte orchestrale Schrei der „Symphonie fantastique“ verklungen war, blieb ein Saal zurück, der ganz kurz innehielt und sogleich in große Begeisterung ausbrach. Das ist die Macht großer Musik: Sie lässt nicht unberührt. Und diese Aufführung war groß in jedem Sinne des Wortes.

Dirk Schauß, 05. April 2025

Konzert des hr-Sinfonieorchesters am 04. April 2025 in der Alten Oper Frankfurt

 

 

 

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