FRANKFURT/ Alte Oper: Konzert des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters am 14.4. 2025
Bachs höfische Festmusik und Bruckners sakrales Monument
Thomas Guggeis. Foto: Barbara Aumüller
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester steht für eine einzigartige stilistische Bandbreite. Als Klangkörper, der gleichermaßen in der Oper wie im Konzertbetrieb zu Hause ist, bewegt dieser sich souverän zwischen barocker Feinarbeit und romantischer Klanggewalt. Generalmusikdirektor Thomas Guggeis wählte für diesen Abend zwei Werke, die das ganze Spektrum dieses Orchesters ausloteten: Bachs lebensfrohes Brandenburgisches Konzert Nr. 1 und Bruckners monumentale fünfte Sinfonie.
Johann Sebastian Bachs sechs Brandenburgische Konzerte, entstanden um 1721, gelten als Gipfelpunkt barocker Orchesterkunst. Das erste Konzert besticht durch seine ungewöhnliche Besetzung mit Jagdhörnern (Corni da caccia), Oboen und Fagott – Instrumente, die man eher im Freien als im höfischen Konzertsaal erwartet. Bach integriert sie mit spielerischer Selbstverständlichkeit in einen festlichen Rahmen, was dem Werk seinen charakteristischen, zwischen Jagdmusik und höfischer Eleganz changierenden Klang verleiht.
Thomas Guggeis ließ das Werk nicht museal erklingen, sondern als lebendigen Dialog zwischen den Musikern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters. Die Streicher agierten mit einer Elastizität, die selbst feinste kontrapunktische Linien transparent machte – keine Selbstverständlichkeit bei Bachs dichtem Stimmengeflecht. Besonders beeindruckend war das Zusammenspiel der Solisten: Die Oboen gestalteten ihre Linien mit sanglicher Wärme, während die Hörner mit weichem, doch präsentem Ton überraschten – kein schmetterndes Jagdsignal, sondern ein edler Klangteppich. Im Adagio schufen die Streicher eine schwebende Begleitung, über der die Solo-Oboe wie eine klagende Stimme aufstieg. Guggeis zeigte hier ein feines Gespür für Atmosphäre: Jede Pause, jeder Übergang war durchdacht, aber nie gekünstelt.
Das Finale mit seinen tänzerischen Menuetten geriet zum Höhepunkt: Die Hornisten spielten mit unaufdringlicher Eleganz und strahlender Brillanz, während die Streicher im Trio mit zartem Pizzicato eine schelmische Leichtigkeit verströmten. Diese Interpretation machte deutlich: Bachs Musik ist kein starres Regelwerk, sondern ein atmender Organismus – und dieses Orchester versteht es meisterhaft, ihm Leben einzuhauchen.
Anton Bruckners Fünfte, 1876 vollendet, markiert eine Wende in seinem Schaffen. Der tief religiöse Komponist, zeitlebens von Selbstzweifeln geplagt, schuf hier sein kühnstes Werk: eine Synthese aus spiritueller Versenkung und kompositorischem Mut. Die Sinfonie beginnt mit einer geheimnisvollen Einleitung, die sich zu gewaltigen Klangmassiven auftürmt und im Finale in einer monumentalen Doppelfuge kulminiert – Bruckners „kontrapunktisches Meisterstück“.
Thomas Guggeis entfaltete die Fünfte als klangliche Kathedrale. Schon die ersten Takte offenbarten seine Handschrift in der Klangbalance: Die tiefen Streicher ließen die Musik buchstäblich aus dem Nichts entstehen – ein Hauch von Klang, der sich allmählich zu einer sinfonischen Vision verdichtete. Die Blechbläser intonierten mit einer Wucht, die nicht nur hörbar, sondern körperlich spürbar war. Die Musik floss nicht einfach – sie kämpfte. Immer wieder offenbarten sich Reibungen zwischen Melodie und Struktur. Mit Verve und Überblick musizierte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester diesen ersten Satz spannend wie einen Krimi.
Das Adagio wurde als feierliches Klangspektakel zelebriert. Besonders berührend war das klagende Solo der Oboe, das vom Fagott weitergeführt wurde. Allmählich sich steigernd, baute sich dieser großartige Satz zu einem apotheotischen Klangbogen auf – von innerer Andacht getragen und doch orchestraler Pracht verpflichtet.
Im Scherzo zeigte das Orchester seine ganze rhythmische Präzision: Die geisterhaften Pizzicati der Streicher kontrastierten mit schroffen Einwürfen der Holz- und Blechbläser – ein Albtraum in Tönen, den Guggeis mit dramatischem Instinkt fassbar machte. Das Trio hingegen, mit seiner schmerzlich-schönen Melodik, bot eine Atempause von opernhafter Lyrik – ein Reflex auf Guggeis’ tägliche Arbeit im Graben.
Das Finale wurde zum Triumph. Die Doppelfuge, oft als trockene akademische Übung unterschätzt, erklang hier als geradezu apokalyptische Vision. Guggeis führte seine Musiker mit atemberaubender Klarheit durch das komplexe Stimmengeflecht: Jede Linie war hörbar, ohne dass die Gesamtarchitektur verlorenging. Auch hier bewahrte er – wie zuvor – eine vorzügliche Balance. Erstaunlich, welche Reserven das Frankfurter Opern- und Museumsorchester offenbarte, das in den finalen Minuten immer weiter an Klangdichte und Intensität gewann. Die letzten Akkorde hallten nach – ein Moment, in dem sich Bruckners Spiritualität mit elementarer Wucht entlud.
Dieser Abend bewies die einzigartige Stellung des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters: ein Ensemble, das ebenso souverän mit barocken Finessen wie mit sinfonischer Monumentalität umgeht. Thomas Guggeis, der als Generalmusikdirektor sowohl den Opernbetrieb als auch die Konzertreihen leitet, verstand es, diese Doppelrolle fruchtbar zu machen. Seine Bach-Interpretation atmete die theatralische Lebendigkeit eines Operndirigenten, während sein Bruckner von tiefem Verständnis sakraler Klangräume zeugte.
Was an diesem Abend geschah, war mehr als ein Konzert. Es war eine gelebte Klangvision, ein Beweis für die immense Ausdruckskraft dieses Orchesters – und für die Handschrift eines Dirigenten, der Theaterblut in den Adern und vor allem Architektur im Ohr hat. Mit diesem Abend hat Thomas Guggeis Maßstäbe gesetzt.
Das Publikum folgte dem Geschehen mit bemerkenswerter Konzentration und wohltuender Stille. Am Ende gab es ausdauernde Intensivhuldigungen für Orchester und Dirigent. Ob Bruckner-Kenner oder Bach-Neuling – alle waren Zeugen einer musikalischen Reise zwischen den Extremen: von intimster Kammermusik bis zu orchestraler Wucht. In dieser Hinsicht war es mehr als ein Konzert – es war eine deutliche Aussage.
Das Publikum hatte nicht nur Musik gehört. Es war durch sie hindurchgegangen. Und das ist die höchste Kunst, zu der ein Konzertabend fähig ist.
Dirk Schauß, 15. April 2025
Konzert des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters am 14. April 2025
Foto: Copyright by Barbara Aumüller