Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 20. Februar 2023
Ludwig van Beethoven – Violinkonzert D-Dur op. 61 (Kadenzen: Alfred Schnittke)
Sergej Prokofjev – Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100
Lisa Batiashvili,Violine
Concertgebouw Orkest Amsterdam
Paavo Järvi, Leitung
Foto: Tibor Florestan Pluto
Royale Leistungsschau
Nach vielen Jahren Abwesenheit durften sich die Frankfurter Konzertbesucher auf ein Wiedersehen mit einem der besten Orchester der Welt freuen.
Zu Gast war das traditionsreiche königliche Amsterdamer Concertgebouw Orkest und dessen Gast-Dirigent Paavo Järvi. Als Solistin konnte die einzigartige Lisa Batiashvili gewonnen werden. Was für eine Kombination!
Zu Beginn erklang das 1806 uraufgeführte Violinkonzert von Ludwig van Beethoven. Zu seiner Zeit war dieses Konzert so völlig andersartig. Allein der erste Satz dauert mit knapp 30 Minuten so lange wie manches gesamte Violinkonzert. Klopft hier in den Pauken beständig die Revolution oder gar das Schicksal an?
Paavo Järvi begann mit einer kontrastreich gestalteten Einleitung. Spannung und Erwartung lagen in diesem Beginn. Järvi sorgte mit markanten Akzenten, vor allem auch in den wiederkehrenden vier Paukenschlägen für die notwendige Spannung.
Foto: Tibor Florestan Pluto
Lisa Batiashvili spielte mit wunderbarer Klanggüte die Melodiebögen. Dabei ertönte ihr Spiel völlig natürlich erlebt. Bei so viel solistischer Brillanz gab es leider eine Einschränkung. Batiasvili spielte Kadenzen von Alfred Schnittke, die jeweils in der ersten Hälfte noch recht originell das Themenmaterial Beethovens verarbeiteten. In der zweiten Hälfte gab es allerdings dann eklatante Stilbrüche, die weit von Beethoven entfernt waren. Dies verhielt sich wie Champagner zu Senf. Unpassend.
Das Larghetto wurde äußerst leise und sehr getragen musiziert. Das Orchester agierte hier kammermusikalisch völlig zurückgenommen, da ein Teil der Bläser und die Pauken in diesem Satz schweigen. Ungetrübte Reinheit fand hier einen besonderen Raum in bester musikalischer Umsetzung. Hier demonstrierte Batiashvili ihre Sonderklasse in der dynamischen Gestaltung. Bis ins kaum hörbare Pianissimo nahm sie den sehr warmen Ton ihres kostbaren Instrumentes zurück. So erlebten die gebannten Zuhörer eine Innigkeit des Vortrages, die tief bewegte.
Wie groß dann der Kontrast in das beschließende jubelnde Rondo! Voller Überschwang spielte Batiashvili ihre überragende Virtuosität aus. Doch leider wurde das musikalische Vergnügen erneut massiv gestört durch eine weitere Kadenz von Schnittke. Nun durfte das Orchester auch noch verschiedene dissonante Akkorde von diesem Komponisten beisteuern. Eine musikalische Störaktion, ja fast schon Sabotage, die weder Beethoven gerecht wurde, noch erbrachte sie einen künstlerischen Mehrwert. Schade und völlig unnötig!
Fast stand Batiashvili ein wenig im Hintergrund des Amsterdamer Elite-Orchesters. Mit vollendeter Klangkultur musizierte es meisterlich wie ein Instrument. Superbe Bläserstimmen und eine perfekte Transparenz in den Streichern. Besser kann Beethovens Musik nicht gespielt werden. Paavo Järvi gestaltete den Orchesterpart mit viel Persönlichkeit und vorbildlicher Begleitung.
Die große Begeisterung wurde von Batiasvili mit der berühmten Air aus dem Brandenburgischen Konzert Nr. 3 von J.S.Bach bedankt, sekundiert von den Musikern des Orchesters. Herrlich!
In den Kriegstagen des Jahres 1944 schrieb Sergej Prokofjev seine fünfte Sinfonie. Neben der kurzen ersten Sinfonie zählt dieses Werk zu den besonders häufig aufgeführten seiner Sinfonien, zudem liegen hiervon zahllose Aufnahmen vor.
Der Komponist erachtete sie als „Kriegs-Sinfonie“, als „Triumph des menschlichen Geistes“. Aber dies erscheint insofern fragwürdig, als die Musik immer unentwegt Brüche aufweist, zuweilen ins derb Humorvolle abdriftet oder zumindest den Jubel ironisch hinterfragt.
Wie so oft bei Prokofjev, viel spieltechnisches, industriell anmutendes Getöse, mit geringstem melodischem Erinnerungswert. Diese Musik wendet sich bestenfalls an den Verstand, das Herz bleibt dabei zumeist unberührt. Wie eine Maschine mäandert die Komposition durch sich ständig verändernde Tonarten und Rhythmen. Diese Collage des Klanges kennt kein Ziel. Immerhin gibt es einen Adagio-Walzer mit intensiver Tuba Begleitung, aber letztlich ist auch dieser kaum markant in seinem melodischen Gehalt. Sehr schade, insbesondere in dieser so düsteren gegenwärtigen Zeit wäre ein Werk mit melodischer, positiver emotionaler Kraft bessere Nahrung für die erschöpften Zuhörer gewesen. Der so überdeutliche Hustenpegel an diesem Abend kommentierte das Gehörte deutlich.
Was bleibt, ist eine technische Leistungsschau eines Spitzen-Orchesters, welches diese spieltechnische Zumutung wie ein Kinderlied mit atemberaubender Leichtigkeit spielte. Jede Instrumentengruppe des Orchesters ist ein Superlativ an technischer Bravour und Musikalität. Was dieses Orchester dazu so besonders macht, ist seine außergewöhnliche klangliche Homogenität, das äußerst aufmerksame Miteinander. Faszinierend und in dieser Form nur mit dem Concertgebouw Orkest zu erleben! Eine royale Leistungsschau eines Orchesters, welches alles auf höchstem Niveau umzusetzen weiß.
Paavo Järvi hatte merklich Freude mit diesem Werk und versuchte das Beste aus diesem symphonischen Ungetüm herauszuholen. Vielfarbigkeit und ironische Brechungen servierte Järvi auf dem Silbertablett.
Natürlich war das Publikum, obschon mentale Erschöpfung allenthalben deutlich zu spüren war, sehr begeistert. Was dann folgte, zeigte hingegen sehr eindrücklich, wie ungemein viel dichter dieser Konzertabend bei anderer Werkwahl in der zweiten Hälfte hätte sein können. In größter Vollendung war nun als Zugabe der „Valse triste“ von Jean Sibelius zu erleben. Hier war alles herausgearbeitet, was in und hinter diesem tiefgründigen Stück steht. Fünf Minuten Sternstundengefühl, einzigartig und unvergesslich. Sofort war das Publikum auf den Beinen und jubelte stehend.
Hoffentlich ist das wunderbare Concertgebouw Orkest bald wieder in Frankfurt zu bewundern, dann bitte mit einer Sinfonie von Mahler!
Dirk Schauß, 21. Februar 2023