Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 07. November 2022
Gustav Mahler Sinfonie Nr. 7
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko Leitung
Der lächelnde Kirill
Foto: Stephan Rabold
Eine schwere Geburt! Gut vier Jahre mühte sich Gustav Mahler an seiner siebten Sinfonie. Immer wieder durchbrachen Zweifel und Versagensängste den Schöpfungsprozess. Am Ende war er aber dann doch von der Qualität dieses rätselhaften Werkes überzeugt und urteilte 1908:
“Es ist mein bestes Werk und vorwiegend heiteren Charakters!“
Mahler lotet die Tonalität in den fünf Sätzen seiner Sinfonie weit aus. Extreme Chromatik und faszinierende Klangeffekte, vor allem in den beiden sog. „Nachtmusiken“. Sarkastisch, morbide und dann spukhaft, grotesk, schattenhaft. Mahlers phänomenaler Sinn für Farben erreicht mit dieser Sinfonie einen neuen Gipfelpunkt in seinem Schaffen.
Dunkel beginnt mit einem Trommelrhythmus in den Streichern diese ausladende Sinfonie. Sogleich ertönt das exponierte Solo des Tenorhorns, dessen Klageruf durch die Nacht schallt. Allerlei Nachtgestalten durchschreiten das Werk in geradezu filmischer Weise.
Groß ist das Spektrum der Groteske, die den nächtlichen Spuk im Scherzo prägt. In der zweiten Nachtmusik treten zum Riesenorchester, nun kammermusikalisch geführt, Mandoline und Gitarre hinzu. Ein „Andante amoroso“, ein nächtlicher Liebesgesang im Charakter einer Serenade. Im Freudentaumel voller Licht schlägt im letzten Satz dann die große Stunde der Kuhglocken, die Mahler bereits in der sechsten Sinfonie einsetzte. Nur dürfen Sie hier endlich einmal sehr laut und ungebändigt ertönen. C-Dur in hellsten Farben beendet eine der optimistischsten Finali, die Gustav Mahler schrieb.
Zu Beginn dieser Spielzeit spielten die Berliner Philharmoniker mit ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko bereits die siebte Sinfonie in Berlin und wurden dafür frenetisch gefeiert. Auffallend ist nach wie vor eine spürbare Distanz zwischen Orchester und Dirigent. In Frankfurt wurde mit großem gegenseitigem Respekt musiziert. Und doch gab es eine Premiere: einen fortwährend lächelnden, dirigierenden Kirill Petrenko. Das war insofern anders und neu, da Petrenko in seinem Perfektionismus oft auch in seinem Gestus und seiner Mimik eine Verbissenheit in früheren Begegnungen ausstrahlte. Davon war nichts zu spüren. Im Gegenteil: Petrenko genoss jeden Moment dieses Abends, motivierte, charmierte und tänzelte zuweilen auf dem Podium. Immer wieder unterbrach er seine Dirigier-Bewegungen und ließ das Orchester einfach laufen….
Foto: Stephan Rabold
Natürlich sind die Philharmoniker, der klangliche Superlativ aus Berlin, d a s Orchester der Instrumental-Individualisten, die dennoch sich in einem Ensemble zusammenfinden. Spannend zu beobachten, wie sich die Musiker untereinander nonverbal verständigen.
Mahler betrat mit diesem Werk neues Terrain. Mehr Farben, fremdelnde Harmonien und immer wieder ein Auflösen von Zeit und Raum.
Die Dynamik spielt dabei eine besonders große Rolle, und Petrenko nahm Mahler nicht nur beim Wort, sondern er ergänzte mit derben, beißenden Farben in deutlichen Akzentgebungen. Am Beginn durchschritt Petrenko sonor und volltönend die orchestrale Welt Gustav Mahlers. Und einer der magischsten Momente, bereits im ersten Satz, geriet Petrenko mustergültig. Gemeint ist der Einsatz der beiden Harfen, die in einem mächtigen Glissando einen imaginären Vorhang öffnen, und die Musik schillern und flirren lassen. Ein Paradies in Tönen, gebettet in feinsten Orchesterfarben, umwerfend feinsinnig vom Berliner Eliteorchester musiziert.
In den Tempi wirkte Petrenko stets ausgewogen und wagte aber dann im finalen Rondo eine Spielweise, als gälte es das Leben. Instinktsicher sein Timing, sein Innehalten und Abschattieren der Phrasierungen. Traumwandlerisch sicher gerieten die dynamischen Steigerungen, im Wechselspiel mit subtilen Abbremsungen.
In der ersten Nachtmusik gibt es deutliche harmonische Reibungen in Dur- und Moll-Tonalitäten, die Petrenko beherzt ausmusizierte. Die Herdenglocken tönten illustrativ zurückgenommen als trügerisches Idyll aus der Ferne. Wunderbar.
Petrenko formulierte das Scherzo als gespenstisches Herzstück der Sinfonie. Die Musik rauschte und erzählte grunzend und grummelnd allerlei Groteskes. Knarzend, kauzig bellte das Kontrafagott wie eine Fabelgestalt. Ein nächtlicher, unheimlicher Spaziergang in der Natur. Bedrohliches und dann doch wieder sanft aufgelöst. Was für ein Spannungsfeld. Ein orchestraler Hörkrimi!
Sehr zurück genommen und intim erklang die zweite Nachtmusik mit Gitarren- und Mandolinenklängen – ein sehnsüchtiges Nachtständchen. Mit feiner Kantilene ließ Petrenko die Lyrik dieses Satzes aufblühen. So viel Innigkeit in diesen Minuten erlesener Kostbarkeit.
Im Finale war Petrenko ganz in seinem spielerischen Element. Wie ein Hexenmeister bündelte er die kollektiven Kräfte, um alle Varianten dieses höllisch schweren Satzes hörbar zu machen. Spannend in der Tempogestaltung wahrte Petrenko perfekt den Überblick im stürmischen Orchestergetümmel. Was die begeisterten Zuhörer hören und erleben konnten, war ein Lebensfest in leuchtenden Farben. Orchestraler Jubel perfekt und vollmundig von den hinreißenden Berliner Philharmonikern bestmöglich vorgetragen.
Kein Wunder, dass nach dem Abschlag sich sofort ein spontaner Aufschrei des Publikums entlud!
Die Berliner Philharmoniker konnten an diesem Abend einmal mehr ihre große Meisterschaft demonstrieren. Die profunde Erfahrung mit den Werken Gustav Mahlers war jederzeit spürbar. Technisch über den Dingen stehend, überzeugten alle Spielgruppen mit makelloser Tongebung. Was neben der spielerischen Perfektion und der herrlichen Klangqualität besonders faszinierte, war die klangliche Charakterisierung durch die Musiker. Vor allem die Solo-Beiträge gerieten zu sprechenden Tonzeugnissen, denen der Zuhörer nur fasziniert folgen konnte. Ein orchestrales Raunen mit atemberaubender erzählerischer Kraft. Mahler als unmittelbare Bekenntnismusik in perfekter Umsetzung, gestalteten diesen Abend zu einer Sternstunde im Frankfurter Konzertleben!
Riesiger, verständlicher Jubel für ein Gastspiel der Sonderklasse! Und auch das ist und kennzeichnet Kirill Petrenko: lächelnd nahm er die Ovationen entgegen, aber nach der dritten Verbeugung beendete er das Bejubeln und verschwand. Die Musik sagte bereits alles.
Was für ein Abend! Ein Geschenk für alle, die dabei sein konnten.
Dirk Schauß, 08. November 2022