Auf dem Weg – Klaus Mäkelä und das Orchestre de Paris in der Alten Oper Frankfurt am 7.3.2025
Foto: © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt
Es gibt Konzertabende, die einen von der ersten bis zur letzten Note in ihren Bann ziehen – und es gibt jene, die widersprüchliche Gefühle hinterlassen. Der 7. März 2025 in der Alten Oper Frankfurt war beides zugleich: ein Abend von schillernder Klangkunst, orchestraler Virtuosität und atemberaubender Präzision, zugleich aber ein Abend, der die Frage aufwarf, ob Jugendlichkeit allein genügt, um jenen ungreifbaren Zauber zu entfachen, der Musik unsterblich macht. Es zeigte sich klar, dass Klaus Mäkelä in der Konzertsituation deutlich überzeugender wirkt, als seine bis dato enttäuschenden CD-Einspielungen, die zu oft pauschal und orchestral unterspielt klingen.
Das Orchetre de Paris unter der Leitung von Mäkelä präsentierte ein Programm, das sich wie eine Reise durch Fantasiewelten der Musik anfühlte: Maurice Ravels impressionistisch-märchenhafte „Ma mère l’oye“, Igor Strawinskys grotesk-virtuose „Petruschka“ und schließlich Modest Mussorgskys monumentale „Bilder einer Ausstellung“ in der orchestral veredelten Fassung Maurice Ravels. Drei Werke, drei unterschiedliche klangliche Universen – doch vereint durch die Kraft des Imaginativen.
Gleich zu Beginn betrat das Publikum mit Ravels „Ma mère l’oye“ eine Welt voller schimmernder Farben, schwereloser Texturen und zarter Poesie. Schon die ersten Töne der „Pavane de la Belle au bois dormant“ waren von jener feingliedrigen Transparenz, die Ravels Musik wie aus Licht und Nebel gewebt erscheinen lässt. Die Bläser hauchten ihre Linien mit fast körperloser Sanftheit, während die Streicher feinste Farbverläufe zeichneten – ein Klangbild von irisierender Fragilität.
In „Petit Poucet“ wurden die Holzbläser zu funkelnden Irrlichtern, die sich auf filigranen Pfaden durch die orchestrale Landschaft tasteten. Das Orchestre de Paris fand hier eine exquisite Balance zwischen kindlicher Naivität und feinsinnigem Melancholieton.
Ganz anders „Laideronnette“: Hier entfaltete sich Ravels exotische Klangwelt mit leuchtender Klarheit. Gläserne Celesta-Tropfen perlten durch den Raum, während die Streicher fein ziselierte Arabesken zeichneten – ein Märchen aus fernem Zauberreich.
Im abschließenden „Le jardin féerique“ öffnete sich schließlich die Musik in strahlender Größe. Mäkelä schichtete die Klangfarben mit akribischer Sorgfalt aufeinander, ließ sie erst in sanfter Glut leuchten, um dann – mit einem Höhepunkt von orchestraler Strahlkraft – in reines Licht überzugehen. Eine Darbietung, die Ravels Klangmagie bis in ihre subtilsten Schattierungen auslotete.
Mit Strawinskys „Petruschka“ verwandelte sich das feine Märchenschimmern in scharfkantige, glitzernde Klangsplitter. Schon die ersten Akkorde vibrierten vor innerer Spannung, die Musik pulsierte nervös, vorwärtsdrängend, voll fieberhafter Energie.
Besonders beeindruckend war die Solotrompete, die Petruschkas Stimme mit einer Mischung aus schelmischem Witz und verzweifelter Melancholie prägte. Die Holzbläser zeichneten groteske Figuren mit tänzelnder Leichtigkeit, während die Streicher ihre Motive mit einer schmerzhaften Präzision in den Raum schleuderten. Die Schlagzeuger begeisterten mit Wucht und Farbigkeit.
Mäkelä entfaltete hier ein Klangbild von analytischer Durchdringung, scharf gezeichneten Konturen und einer kaum gezügelten Wildheit. Die rhythmischen Verschiebungen, die Strawinskys Partitur mit unsteter Energie aufladen, wurden mit beispielloser Klarheit herausgearbeitet. Dabei ließ das Orchestre de Paris eine orchestrale Virtuosität aufblitzen, die in ihrer Präzision und Kraft bestechend war.
Besonders der „Jahrmarkt“ geriet zu einem furiosen Tanz auf dem schmalen Grat zwischen Ekstase und Chaos. Das Zusammenspiel der verschiedenen Orchestergruppen – das bedrohlich brodelnde Blech, die irrlichternden Holzbläser, die schneidenden Streicher – war von einer Klarheit, die Strawinskys klangliches Mosaik in seinen lebendigsten Farben erstrahlen ließ.
Mit Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ betrat das Konzert seine monumentalste Sphäre. Die „Promenade“ erhob sich mit festlicher Würde, strömte aus den Bläsern wie eine feierliche Prozession – gemessen, aber ohne überflüssiges Pathos.
Doch bereits im „Gnomus“ zeigten sich Brüche: Die groteske Fratzenhaftigkeit dieser Figur wirkte hier weniger scharf gezeichnet, die unheimliche Verzerrung blieb zurückhaltend. Dagegen gewann das „Alte Schloss“ durch sein fließendes Tempo einen unerwartet luftigen Charakter – eine Interpretation, die mehr träumerische Eleganz als schwermütige Tiefe suchte. Allein das Tempo wirkte recht vital und ließ das Schloss recht jung wirken.
Erst mit dem „Bydlo“ setzte jene Wucht ein, die dieser Musik ihre elementare Kraft verleiht. Die tiefen Streicher spannten ein düster grollendes Fundament, über dem sich die Melodie mit zermalmender Unerbittlichkeit erhob.
Die „Tuileries“ flatterten unbeschwert dahin, während „Samuel Goldenberg und Schmuyle“ eine zu kultivierte Eleganz besaßen – der Kontrast zwischen den beiden Charakteren blieb hier überraschend mild. Dies trifft ebenso auf dem „Marktplatz von Limoges“ zu, der arg introvertiert wirkte und so gar nichts von einem schrillen Treiben vermittelte.
Mit der Hexe Baba Jaga jedoch entfaltete Mäkelä ein klangliches Inferno: Schroff peitschten die Blechbläser ihre Motive, die Streicher rasten durch wirbelnde Läufe – ein wilder, ungestümer Flug.
Und dann: „Das große Tor von Kiew“. Hier zeigte sich Mäkeläs Gespür für orchestrale Architektur. Die Bläser strahlten in triumphaler Pracht, die tiefen Streicher legten ein grollendes Fundament von titanischer Schwere. Doch in der Übergangsprozession zum Finale blieb die Spannung überraschend indifferent – ein Moment, der musikalisch durchdringender hätte gestaltet sein können. Das Orchestre de Paris zeigte sich in großartiger Verfassung, und die Solo-Beiträge gerieten vorzüglich. Vor allem gefiel der besonders charismatische Konzertmeister, der mit herrlichem Tonfall seine Soli veredelte.
Unbestritten ist Klaus Mäkelä eine große Begabung seines Fachs. Er führt das Orchestre de Paris mit Eleganz, Präzision und viel Motivation, mit tiefem Gespür für Balance und klangliche Schönheit.
Und doch blieb am Ende des Abends eine Frage: Wo war der letzte Funke?
Die Momente absoluter Magie blitzten auf, doch sie brannten nicht unaufhaltsam durch das gesamte Konzert.
Liegt dies in der Jugend des Dirigenten begründet? Ist Mäkelä – mit gerade einmal 29 Jahren – noch auf dem Weg, jene unsichtbare Grenze zwischen dirigentischer Meisterschaft und musikalischer Ekstase endgültig zu überschreiten? Vielleicht.
Vermutlich aber ist es genau dieser Widerspruch, der ihn als Künstler anziehend macht. Es ist ihm zu wünschen, dass er trotz der verfrühten Karrieresprünge in Top-Positionen nach Amsterdam und Chicago noch Zeit findet, in Ruhe zu reifen.
Das Publikum in der Alten Oper Frankfurt dankte dem Orchestre de Paris mit frenetischem Applaus – ein Applaus, der nicht nur Anerkennung für eine brillante Leistung war, sondern auch die Hoffnung in sich trug, dass Klaus Mäkelä in Zukunft nicht nur Architekt großer Klanggebäude bleibt, sondern auch den Erzähler jener unerklärlichen Geschichten, die Musik unsterblich machen, wie ihm das ausgezeichnet im ersten Werk des Abends gelang, weiter ausbaut.
Dirk Schauß, 08. März 2025
Konzert des Orchestre de Paris am 07. März 2025 in der Alten Oper Frankfurt