Magie der Klangfarben und Virtuosität
Ein Strauss-Spezialist und ein Geigenvirtuose zu Gast beim hr-Sinfonieorchester
Sebastian Weigle. Copyright by Thomas Runkel
Das hr-Sinfonieorchester lud am vergangenen Abend zu einem besonderen Konzert in der Alten Oper Frankfurt, das ursprünglich unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada geplant war. Doch das Publikum kam in den Genuss eines ganz besonderen Einspringers: Sebastian Weigle, der ehemalige Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt und anerkannte Spezialist für die Musik von Richard Strauss, übernahm kurzfristig die Leitung. Weigle brachte seine außerordentliche Expertise und seine feine Interpretation der Strauss’schen Partituren mit. An seiner Seite: der weltweit gefeierte Violinist Augustin Hadelich, der mit Mendelssohns Violinkonzert ein Meisterwerk des romantischen Repertoires darbot.
Gleich zu Beginn entführte Weigle das Publikum in die Welt des verschmitzten Till Eulenspiegels. Mit feiner Balance zwischen spritziger Leichtigkeit und dramatischer Kraft zeichnete das hr-Sinfonieorchester ein lebendiges Porträt des legendären Schelms. Die Hörner, besonders gefordert, brillierten mit scharfer Artikulation und einer spritzigen Agilität, die den schelmischen Charakter Tills hervorragend zur Geltung brachte. Ebenso glänzten die Holzbläser, allen voran die Klarinetten, mit einer pointierten, facettenreichen Klanggestaltung. Weigle ließ dabei keine Nuance aus, sondern zeigte, wie Strauss die Instrumente geschickt einsetzt, um den Schalk und die Dramatik der Figur in Tönen lebendig werden zu lassen. Ein mitreißender Auftakt!
Augustin Hadelich. Copyright by hr / Suxiao Yang
Augustin Hadelichs Interpretation des Mendelssohn’schen Violinkonzerts offenbarte seine Virtuosität und Musikalität in einem Maße, die kaum zu übertreffen war. Vom ersten Takt an nahm er das Publikum in eine poetische Welt mit, in der jede Note von einer tiefen Sensibilität geprägt war. Im Allegro molto appassionato verzauberte er mit einem strahlenden, beinahe silbrig-schimmernden Geigenton, der sowohl die leidenschaftliche Melancholie des Satzes als auch die perlende Leichtigkeit der Passagen widerspiegelte. Besonders beeindruckend war seine präzise Artikulation: Die schnellen Läufe meisterte er mit atemberaubender Leichtigkeit, als würden die Töne durch seine Finger perlen. Die dynamische Bandbreite, die er dabei ausschöpfte, verlieh seinem Spiel eine enorme Tiefenschärfe – von zartesten Pianissimi, die fast zu schweben schienen, bis zu kraftvoll strahlenden Fortissimi, die den Saal erfüllten.
Das darauffolgende Andante brachte eine berührende Stille in den Raum. Hier zeigte Hadelich, wie ein Künstler in die musikalische Phrasierung eintauchen und sie zugleich mit größter Natürlichkeit entfalten kann. Seine Bogenführung schien mühelos, doch die Intention hinter jeder Phrase war greifbar. Besonders in den lyrischen Passagen schuf er durch das Spiel mit subtilen Dynamikabstufungen eine fast intime Atmosphäre, in der sich die sanfte Schönheit der Melodien voll entfalten konnte. Hier zeigte das hr-Sinfonieorchester unter Weigles sensibler Leitung eine besonders aufmerksame, unterstützende Begleitung, die es Hadelich ermöglichte, die seelenvolle Tiefe der Musik in vollendeter Ruhe zu gestalten.
Das Allegretto non troppo – Allegro molto vivace, der abschließende Satz, brachte den Saal endgültig zum Staunen. Hadelich bewältigte das technisch anspruchsvolle Finale mit einer Leichtigkeit, die die Brillanz des Werks betonte, ohne jemals in Virtuosität um ihrer selbst willen zu verfallen. Mit tänzerischer Spielfreude und einem feinen Gespür für das Humorvolle im letzten Satz führte er das Publikum durch die vertrackten Rhythmen und schnellen Wechsel der dynamischen Ebenen. Sein Zusammenspiel mit dem Orchester wirkte dabei fast telepathisch: Die Passagen, in denen Geige und Orchester abwechselnd führten, gestalteten Hadelich und das hr-Sinfonieorchester mit einer Präzision und Eleganz, die selten zu hören ist. Besonders hervorzuheben ist die Art und Weise, wie Weigle das Orchester im Finale zurücknahm, um Hadelich Raum für seine nuancierte Interpretation zu geben, nur um dann mit ihm gemeinsam die sprühende Energie des Satzes in einem prachtvollen Klangfinale zu entlassen.
Insgesamt erwies sich Hadelich als ebenso poetischer wie kraftvoller Interpret, der die vielen Facetten des Mendelssohn-Konzerts – von tiefer Emotionalität über träumerische Eleganz bis hin zur spielerischen Virtuosität – meisterhaft auslotete. Das Zusammenspiel mit dem hr-Sinfonieorchester unter der aufmerksamen, klanglich ausdifferenzierten Leitung von Sebastian Weigle machte diese Aufführung zu einem Höhepunkt des Abends. Riesiger, berechtigter Jubel.
Nach einer hinreißenden Zugabe von Hadelich, in der Ervin T. Rouses „Orange Blossom Special“ das Publikum begeisterte, führte der Konzertabend mit einem weiteren Mendelssohn-Werk in die zweite Hälfte: der „Sommernachtstraum“-Ouvertüre.
Diese berühmte Ouvertüre, die Felix Mendelssohn Bartholdy bereits mit 17 Jahren schrieb, entführt in eine Welt von Feen und Fabelwesen, die Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ so bezaubernd macht. Von den ersten Tönen an eröffnete sich das funkelnde Mysterium eines nächtlichen Zauberwalds, wo feinsinnige Leichtigkeit und orchestrale Klarheit die Hörer in eine poetische Sphäre versetzen. Die flirrenden Streicher des hr-Sinfonieorchesters schufen ein glitzerndes Klanggewebe, das die Leichtigkeit und Anmut dieser Märchenwelt lebendig machte. Unter Weigles präziser, feinfühliger Leitung fand das Orchester zu einem federnden, dabei doch stets transparenten Klang, der Mendelssohns musikalische Vision einer mystischen Sommernacht atmosphärisch verdichtete. Mit behutsamen, aber energischen Impulsen zeichnete Weigle die kontrastreichen Stimmungswechsel nach – vom sanften Wogen der Elfen bis zum frechen Treiben der Kobolde. Sein tiefes Verständnis für die feinen dynamischen Schattierungen und die ausgewogene Balance der verschiedenen Instrumentengruppen bewies erneut, wie versiert er in der romantischen Klangsprache Mendelssohns ist. Dabei harmonierte er perfekt mit dem hr-Sinfonieorchester, das sich durch eine frische Spielweise und glänzende Transparenz auszeichnete. Die Holzbläser, besonders die Flöten, fügten subtile Nuancen hinzu, die der Märchenwelt eine schwebende Leichtigkeit verliehen und dem Stück einen feinen, ätherischen Zauber gaben.
Im finalen Programmpunkt, der Tondichtung „Macbeth“, kehrte Weigle erneut zu Richard Strauss zurück und zeigte, dass ihm die dramatischen Dimensionen des Komponisten ebenso vertraut sind wie dessen heitere Facetten. Mit imposanter Präsenz und großer Ernsthaftigkeit dirigierte er die düsteren, dramatischen Klangbilder, die Strauss für den von inneren Konflikten zerrissenen Macbeth schuf. Die Blechbläser beeindruckten mit mächtigen Akkorden, die die düsteren und unheilvollen Aspekte der Geschichte gewichtig verstärkten, während die Streicher die innere Zerrissenheit und Tragik Macbeths spürbar machten. Weigle gelang es, die komplexen musikalischen Schichten miteinander zu verweben und den Spannungsbogen bis zum letzten Ton aufrechtzuerhalten, sodass die Tragik der Geschichte förmlich in der Luft lag.
Sebastian Weigle, der als Strauss-Kenner erneut seine hohe Kompetenz bewies, zeigte sich als idealer Ersatz und als inspirierender Leiter dieses Abends. Seine klangliche Souveränität und sein tiefes Verständnis der Werke prägten eine Interpretation, die das hr-Sinfonieorchester zu außerordentlicher Spielfreude und Präzision anspornte. Besonders in den Strauss-Tondichtungen zeigte Weigle, warum er zu den führenden Strauss-Interpreten unserer Zeit zählt. Ein Abend voller Klangmagie und Ausdruckskraft, der durch Augustin Hadelichs feinfühliges Violinkonzert und die meisterliche Leitung von Sebastian Weigle zu einem wahren Erlebnis für das Frankfurter Publikum wurde.
Dirk Schauß, 02. November 2024
Besuchtes Konzert am 01. November 2024 in der Alten Oper Frankfurt
hr-Sinfonieorcherster
Augustin Hadelich, Violine
Sebastian Weigle, musikalische Leitung