Sinfonisches Beben und lyrische Tiefen – Prokofjews Sinfonia Concertante und Rachmaninows Sinfonische Tänze in Frankfurt
In der Alten Oper Frankfurt wurde das Publikum am 22. November Zeuge eines Konzertabends, der sowohl das Virtuose als auch das Tiefgründige der sinfonischen Kunst präsentierte. Petr Popelka, der neue Chefdirigent der Wiener Symphoniker, führte das hr-Sinfonieorchester mit einer Klarheit und Präzision, die nicht nur die technische Raffinesse, sondern auch die emotionale Resonanz zweier Meisterwerke offenbarte: Sergej Prokofjews Sinfonia concertante e-moll, Op. 125 (Sinfonisches Konzert für Violoncello und Orchester) und Sergej Rachmaninows Sinfonische Tänze Op. 45. Beide Werke stellen die Instrumentalisten vor außerordentliche Herausforderungen und verlangten vom Publikum wie auch den Musikern höchste Konzentration und Hingabe.
Kian Soltani – Copyright hr/Holger Hage/Deutsche Grammophon
Prokofjews Sinfonia concertante Op. 125, entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem legendären Cellisten Mstislaw Rostropowitsch, ist ein einzigartiges Werk in der Konzertliteratur für Violoncello und Orchester. Es vereint in sich das energetische Aufbegehren und die kapriziöse Eigenwilligkeit der Spätwerke Prokofjews. Die Komposition entfaltet ein kaleidoskopisches Spiel zwischen orchestraler Gewalt und solistischer Virtuosität. Sie verlangt dabei eine seltene Balance zwischen Ausdruckskraft und technischer Brillanz. Kian Soltani, der gefeierte österreichische Cellist mit persischen Wurzeln, hat diese Herausforderung mit bewundernswertem Mut und musikalischer Intelligenz gemeistert.
Soltanis Interpretation des horrend schweren Werks ließ nichts zu wünschen übrig. Bereits im ersten Satz offenbarte er eine frappierende Präzision in der Phrasierung, die das oft rau und ungebändigt wirkende Material des Werkes in ein Gefühl inniger Lyrik verwandelte. Soltanis Artikulation war hier glasklar, die tonale Reinheit in den langen Phrasen beeindruckte. Seine dynamische Kontrolle ließ besonders die Wechselwirkungen mit den subtilen Nuancen im Orchester hervorstechen.
Im zentralen zweiten Satz legte Soltani dann eine technische Bravour an den Tag, die die Zuhörer förmlich in den Bann zog. Prokofjews scheinbar endlose Flut komplexer Passagen, virtuoser Läufe und rhythmisch verschachtelter Figurationen bewältigte er mit Leichtigkeit und einem perfekt abgestimmten Bogenstrich. Der Dialog mit den Holzbläsern im Mittelsatz, in dem Prokofjews humorvoll-ironische Anklänge eine besondere Bedeutung gewinnen, zeigte Soltanis ausgeprägtes Gespür für das Spielerische. Besonders hervorzuheben ist sein dynamisches Spiel, das eine feinsinnige Abstufung zwischen Crescendi und abrupten Wechseln bot – ein perfektes Spiegelbild der musikalischen Ambivalenz, die Prokofjews Tonsprache prägt.
Im dritten Satz überzeugte Soltani schließlich durch eine tief empfundene, fast meditativ anmutende Interpretation, die gerade den Beginn dieses Abschnittes ausmacht. Hier ließ er dem Cello Raum für weit ausschwingende, melancholische Linien, die das Publikum in eine fast hypnotische Stille versetzten. Seine Fähigkeit, über lange Bögen einen durchgängigen Spannungsbogen zu halten und dabei die subtile Innigkeit der Melodien zum Vorschein zu bringen, machte diesen Satz zum besonderen Moment. In verschiedenen Variationen zeigte dieses Finale abermals die virtuose Vortragskunst des Cellisten, dass man über dessen aberwitzige Virtuosität nur staunen konnte.
Petr Popelka, der das hr-Sinfonieorchester mit Präsenz dirigierte, erwies sich als idealer Partner für Soltani. Seine präzise und dennoch emotional aufgeladene Gestik ermöglichte eine gute Balance zwischen dem solistischen und dem orchestralen Teil der Sinfonia concertante. Besonders deutlich war sein Umgang mit den kontrastierenden Tempi und dem oft plötzlichen Wechsel von dichten Klangmassen zu transparenten Passagen, was den Charakter als ein Werk voller überraschender Wendungen unterstrich. Das hr-Sinfonieorchester folgte ihm mit wacher Präzision: die Holz- und Blechbläser bestachen in ihren solistischen Einsätzen durch eine klare Artikulation, während die Streicher mit warmem, vollem Klang eine überzeugende Stütze für das Solo-Cello bildeten. Feine Akzente steuerte das differenzierte Schlagzeug bei. Große Begeisterung, die sodann mit einer ganz besonderen Zugabe belohnt wurde. Soltani arrangierte die Introduktion aus „Gadfly“, eine Filmmusik von Dmitri Schostakowitsch, für die Cellogruppe des Orchesters und ihn. Kostbare Minuten in feinen, warmen Klangfarben.
Rachmaninows Sinfonische Tänze, sein letztes großes Werk, das die vollendete Beherrschung orchestraler Farben und dynamischer Spannungen vereint, bildete den krönenden Abschluss des Abends. Unter der Leitung von Petr Popelka verwandelte das hr-Sinfonieorchester die düstere, zugleich faszinierende Atmosphäre dieser Musik in ein intensives Erlebnis, das von orchestraler Disziplin und klanglicher Finesse geprägt war. Die Sinfonischen Tänze, als dreisätzige Suite konzipiert, boten Popelka und dem Orchester eine perfekte Bühne, um die Vielschichtigkeit und emotionale Dichte dieses Werkes eindrucksvoll zu entfalten.
Der erste Satz, ein düsterer, geheimnisvoller Tanz, begann mit einem verhaltenen, rhythmischen Pulsschlag der Streicher, den Popelka spannend einsetzte, um eine geradezu bedrohliche Spannung zu erzeugen. Die Klarinetten setzten ein wie geisterhafte Schattenfiguren, deren fein ziselierte Linien über den vollen Streicherklang schwebten. Hier zeigte sich die exzellente Artikulation der Holzbläser, die mit ihren kecken, punktierten Einsätzen die makabere Tanzatmosphäre verstärkten. Die Trompeten strahlten in ihren Fanfaren, während das Alt-Saxophon wenig später ein hingebungsvolles Solo intonierte. Es ist ein besonders markanter, lyrischer Moment, welcher eine melancholische, geheimnisvolle Stimmung erzeugt. Rachmaninow verwendet das Alt-Saxophon hier auf eine einzigartige Weise, wodurch das Instrument wie eine Stimme wirkt, die in den Orchesterklang eingebettet ist.
Das hr-Sinfonieorchester demonstrierte unter Popelkas Leitung eine bewundernswerte Präzision, die besonders in den abrupten Dynamikwechseln und in den dichten Tutti-Passagen deutlich wurde. Popelka dirigierte diese kontrastreichen Momente mit einer chirurgischen Genauigkeit, die den sich steigernden Drive dieses Satzes zu einem Höhepunkt führte, bevor dieser in eine fast gespenstische Stille überging.
Der zweite Satz, eine unheimliche, groteske Walzer-Variation, setzte die gespenstische Stimmung des ersten Satzes fort. In einem Tempo di valse entfaltet sich hier ein Tanz, der an die Vergänglichkeit erinnert. Popelka gestaltete ihn mit körperlichem Schwung, dabei legte er Wert auf die tänzerische Phrasierung und die Schattenseiten des Rhythmus, die das Orchester gut herausarbeitete. Die ersten Violinen, mit einer außergewöhnlichen Leichtigkeit und Biegsamkeit in den Bögen, bildeten das Zentrum der Bewegung, während die Bratschen und Celli einen schweren, beinahe spukhaften Klangteppich legten.
Besonders hervorzuheben ist das Flötensolo, das den Beginn dieses Satzes mit einem Hauch von Unschuld und Zerbrechlichkeit ausstattete, nur um dann von den Blechbläsern mit ihren dunklen Farben regelrecht unterbrochen zu werden. Die subtilen Nuancen und das schnelle Wechselspiel zwischen zarten, lyrischen Passagen und harschen, brutalen Ausbrüchen verliehen diesem Satz eine beunruhigende Spannung. Popelka ließ das hr-Sinfonieorchester hier wie eine Gruppe geisterhafter Tänzer wirken, die in einer ungreifbaren, schwindelerregenden Walzerbewegung gefangen waren.
Der letzte Satz ist der triumphale Abschluss der Tänze und ein Finale, das den Todesgedanken, die in den ersten beiden Sätzen anklingen, in ein letztes Aufbäumen und schließlich in eine Art hymnischen Sieg überführt. Rachmaninow lässt in diesem Satz die russisch-orthodoxe Dies-irae-Melodie anklingen, und Popelka hob diese Momente mit großer Ehrfurcht und einem tiefen Sinn für die sakrale Bedeutung der Musik hervor. Die Blechbläser gaben diesen düsteren Themen mit ihrer wuchtigen Klangkraft eine feierliche Gravität, die sich in den Tuttis bis zu einem alles durchdringenden Fortissimo steigerte. Das gut aufgelegte Schlagzeug hatte hier seine besonderen Momente. Die akzentuierten Schläge der großen Trommel und die gewaltigen Beckenschläge fügten dem Ganzen eine nahezu apokalyptische Dimension hinzu, die den Konzertsaal erschütterte. Im Verlauf des Satzes steigerte Popelka die Spannung, führte das Orchester in einen packenden musikalischen Wettlauf, in dem jeder Abschnitt mit energischen Einsätzen und druckvollem Ausdruck über sich hinauszuwachsen schien. Im furiosen Finale dann eine schillernde Brillanz, bevor in der Kulimination ein heftiger Schlag auf das Tam Tam das Werk lautstark beendete.
Dieser Abend in der Alten Oper Frankfurt war ein eindrucksvolles Zeugnis sowohl der technischen als auch der interpretatorischen Qualität aller Beteiligten. Kian Soltani hat in Prokofjews Sinfonia concertante seine technische Virtuosität mit einer tiefen Ausdruckskraft verbunden und ein Werk zum Leben erweckt, das selten in dieser Intensität zu hören ist. Petr Popelka führte das hr-Sinfonieorchester nicht nur souverän, sondern auch mit einer Leidenschaft, die dem gesamten Konzert einen besonderen Charakter verlieh. Mit Rachmaninows Sinfonische Tänze bewies das Orchester seine beeindruckende Vielseitigkeit und klangliche Raffinesse. Viel Begeisterung.
Dirk Schauß, 23. November 2024
Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 22. November 2024
hr-Sinfonieorchester
Kian Soltani, Cello
Petr Popelka, musikalische Leitung