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FRANKFURT/ Alte Oper: HR.SINFONIEORCHESTER; Alain Altinoglu; Julia Fischer (Violine)(Sibelius, Debussy) Musikalische Ambivalenzen – Expressiver Sibelius trifft auf vernebeltes Meer

23.09.2023 | Konzert/Liederabende

FRANKFURT/ Alte Oper: HR.SINFONIEORCHESTER: Musikalische Ambivalenzen – Expressiver Sibelius trifft auf vernebeltes Meer (22.9.2023)

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Alain Altinoglu, Copyright : Ben Knabe

Am Abend des 22. September verwandelte das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Alain Altinoglu die Alte Oper Frankfurt in einen klangvollen Ozean der Musik. Die gefeierte Geigerin Julia Fischer begleitete sie als Solistin des Abends. Das Programm war ganz den Naturstimmungen des Meeres gewidmet und versprach ein musikalisches Abenteuer, das die Zuhörer mit auf eine Reise durch die unendlichen Weiten des Ozeans nehmen würde.

Den Auftakt des Konzerts bildete Jean Sibelius‘ meisterhafte Komposition „Die Okeaniden„. Diese Tondichtung von Jean Sibelius wurde 1914 komponiert und ist von der griechischen Mythologie inspiriert. Es beschreibt die Töchter des Meeresgottes Okeanos. Sibelius verwendet in diesem Stück eine reiche Orchesterpalette, um die verschiedenen Aspekte des Meeres und seiner mystischen Bewohner musikalisch darzustellen. Die Komposition reicht von ruhigen, spiegelglatten Passagen bis zu aufwühlenden Wellenbewegungen, die von dramatischen Orchesterklängen begleitet werden. Bereits hier zeigte sich das hr-Sinfonieorchester in Bestform. Unter der einfühlsamen Leitung von Alain Altinoglu gelang es dem Orchester, die funkelnde Wassermusik dieses Werks in einer gigantischen Orchester-Woge in fortspülender Kraft darzubieten. Die Dynamik und Präzision, mit der das Orchester die Klanglandschaften gestaltete, war beeindruckend und unerwartet expressiv. Jedes einzelne Instrument schien perfekt in das Gesamtbild integriert und trug dazu bei, die Zuhörer in die mythologische Welt der Töchter des Meeresgottes Okeanos zu entführen. Es war eine kraftvolle und emotionale Interpretation dieses besonderen Stücks.

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Julia Fischer Copyright by hr/Uwe Arens

Anschließend betrat die Geigerin Julia Fischer die Bühne, um Jean Sibelius‘ berühmtes Violinkonzert vorzutragen. Dieses Violinkonzert ist eines der bekanntesten Werke des finnischen Komponisten. Es wurde 1903 komponiert und zeichnet sich durch seine lyrischen Melodien und die Verwendung nordischer Elemente aus. Es ist für seinen virtuosen Solopart bekannt, der von der Solistin Julia Fischer mit technischer Brillanz und tiefem Verständnis für die skandinavische Natur interpretiert wurde. Schon bei den ersten Tönen wurde klar, dass Fischer nicht nur technisch souverän, sondern auch emotional in die Musik eintauchen konnte. Ihr Geigenspiel war von einer herben Eigennote geprägt, und sie verlieh dem Konzert Freiheit und Ausdruckskraft. Fischer verstand es, feine Phrasierungen und wunderbare dynamische Schattierungen einzusetzen, um die Naturbilder, die Sibelius in seiner Musik eingefangen hatte, zum Leben zu erwecken. Im Ausdruck wählte sie einen introspektiven Zugang und spielte oft mehr für sich. Die Zusammenarbeit zwischen Solistin und Orchester war ungewöhnlich abgestimmt, denn die orchestrale, aufrauschende Begleitung bot einen extrovertierten Kontrast zu Julia Fischers intimen Geigenspiel. Altinoglu wählte eine hochgezogene Dynamik im symphonischen Duktus und schuf so eine eindringliche musikalische Erfahrung, bei der das hr-Sinfonieorchester und Julia Fischer dennoch in Harmonie miteinander agierten. Dies trug maßgeblich zur beeindruckenden Gesamtleistung des Abends bei. Das Publikum belohnte sie mit begeistertem Applaus. Fischer wählte als gelungene Zugabe eine Caprice von Paganini.

Nach der Pause erwartete das Publikum das Hauptwerk des Abends: Claude Debussys „La Mer“. Diese Komposition ist ein Höhepunkt des Impressionismus in der Musik. Sie wurde zwischen 1903 und 1905 komponiert und besteht aus drei Sätzen. Das Werk ist nicht nur eine klangliche Darstellung des Meeres, sondern auch ein Experiment in der Klangmalerei. Debussy verwendet eine Vielzahl von Orchesterfarben und unkonventionellen Harmonien, um die Atmosphäre und die sich ständig verändernden Stimmungen des Meeres einzufangen. Die Musik fließt und bewegt sich in einer Art und Weise, die den Eindruck von Wasser und Wellen erweckt. Dieses Stück ist musikalischer Impressionismus und Programm-Musik in Reinform. Nach dem faszinierenden Sibelius-Konzert war die Aufführung von „La Mer“ durch das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Alain Altinoglu eine eher enttäuschende Erfahrung. Die Musik begann merkwürdig gehetzt und schien zu beiläufig und routiniert interpretiert zu werden. Die rhythmischen Strukturen wirkten ein wenig verschwommen und undeutlich. Altinoglu begriff die Komposition als eine Variation von Farben und nicht als ein beeindruckendes Naturschauspiel, wie es von Debussy gedacht war. Der wunderbare Sonnenaufgang am Ende des ersten Satzes kam nicht wirklich zur Geltung und klanglich wirkte er allzu nebelhaft und unscharf. Im „Spiel der Wellen“ schienen die Wechsel in den Farben und in der Dynamik zuweilen zufällig und nicht durchdacht. Der dritte Satz gelang am überzeugendsten, da Altinoglu dem Orchester mehr Freiheit gab, aber selbst hier fehlte es an einem atemberaubenden Panorama. Das hr-Sinfonieorchester blieb daher weit hinter seinen gestalterischen Möglichkeiten zurück und lieferte lediglich eine solide Wiedergabe. Die Gruppe der Streicher agierte klangschön. Einige herausragende Beiträge kamen von den feinen Holzbläsern. Leider schien die Dynamik bei den Blechbläsern zu sehr gedämpft zu sein, und im besonders wichtigen Schlagzeugbereich ist erneut die mäßige Klangqualität der Becken zu bemängeln. Selbst wenn die meisten Beckenstellen leise gespielt werden, sollte dennoch eine gewisse Präsenz beim Publikum spürbar sein, was leider viel zu selten der Fall war. Eine bedauerliche Schwäche in der Aufführung. Interessanterweise schien das Publikum insgesamt zufrieden mit der Vorstellung zu sein und wurde mit einer schönen Interpretation von Debussys „Clair de Lune“ belohnt.

Ein Abend voller Ambivalenz in der Alten Oper: Dieses Konzert verdeutlichte erneut eindrucksvoll, welch entscheidenden Einfluss ein Dirigent auf die Darbietung eines Orchesters haben kann. Besucher, die das gleiche Orchester nur wenige Wochen zuvor unter der Leitung ihres früheren Chefdirigenten erlebten, konnten unüberhörbare Qualitätsunterschiede feststellen.

Die laufende Saison ist gerade erst gestartet, und die Erwartungen richten sich nun auf die kommenden Programme unter der Leitung von Alain Altinoglu. Es bleibt zu hoffen, dass diese zukünftigen Aufführungen mit einem noch tieferen interpretativen Glanz aufwarten werden.

Dirk Schauß, 23. September 2023

 

Besuchtes Konzert in der Alten Oper am 22. September 2023

 

 

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