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FRANKFURT/ Alte Oper: Frankfurter Opern- und Museumsorchester Thomas Guggeis, Leitung, Dimitar Ivanov, Violine Mikhail Nemtsov, Violoncello Johannes Grosso, Oboe Richard Morschel, Fagott (Ligeti, J. Haydn, R. Strauss

16.04.2024 | Konzert/Liederabende

Kontrastprogramm – Thomas Guggeis enttäuscht

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Foto: Sophia Hegewald

Das Museumskonzert am 15. April 2024 in der Alten Oper Frankfurt bot den Zuhörern eine Reise starker Kontraste durch die Jahrhunderte und über die Grenzen der Genres hinweg, präsentiert vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Thomas Guggeis. Das Programm eröffnete mit György Ligetis „Lontano„, einem bedeutenden Werk der zeitgenössischen Musik, das das Individuum in seiner Umwelt erforscht. Es wurde im Jahr 1967 komponiert und ist eines seiner bekanntesten Werke. Der Titel „Lontano“ stammt aus dem Italienischen und bedeutet „fern“ oder „Aus der Ferne“, was auf die besondere Atmosphäre und Klanglandschaft des Stücks hinweist. Ligeti komponierte „Lontano“ im Auftrag des Südwestfunks, Baden-Baden. Das Stück ist für großes Orchester geschrieben und dauert etwa zehn Minuten. Es ist in einer einzigen, langen Bewegung geschrieben, die eine langsame, sich entwickelnde Struktur aufweist. Ligeti verwendet in diesem Stück viele seiner charakteristischen Techniken, darunter Mikropolyphonie, Cluster, Klangmassen und dichte Texturen. „Lontano“ ist für seine komplexe Klanglandschaft bekannt, die durch die Überlagerung vieler verschiedener Klänge entsteht. Ligeti erzeugt eine Atmosphäre der Ferne und der Geheimnisse, indem er Klänge in verschiedenen Registern des Orchesters verwendet, die sich allmählich miteinander vermischen und wieder trennen. Die Verwendung von Clusterakkorden und dissonanten Harmonien verleiht dem Stück eine unheimliche und surreal wirkende Qualität. Ligeti war bekannt für seinen innovativen und experimentellen Ansatz zur Musikkomposition. „Lontano“ zeigt seine Fähigkeit, komplexe Klangstrukturen zu schaffen, die gleichzeitig faszinierend und beunruhigend sind. Eine wichtige Technik, die in diesem Stück verwendet wird, ist die Mikropolyphonie, bei der verschiedene Stimmen des Orchesters unabhängig voneinander kleine, sich wiederholende melodische oder harmonische Figuren spielen. Dies erzeugt eine dichte Klanglandschaft. Es bleibt ein faszinierendes Beispiel für Ligetis avantgardistischen Stil und seine Fähigkeit, emotionale Tiefe und atmosphärische Dichte durch die Verwendung innovativer musikalischer Techniken zu erreichen. Die komplexe Struktur des Werks erforderte höchste Präzision und Sensibilität seitens des Orchesters, das unter der einfühlsamen Leitung von Thomas Guggeis die feinen Nuancen von Ligetis Komposition strukturiert zum Ausdruck brachte. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester wirkte sehr gut vorbereitet und überzeugte durch seine stilistische Bandbreite und spielerische Souveränität.

Anschließend erklang Joseph Haydns selten aufgeführte „Concertante“ in B-Dur, Hob I:105, ein Juwel der klassischen Musik, das leider oft im Schatten von Haydns berühmteren Werken steht. Die kleine Komposition ist ein gelungenes Beispiel für sein innovatives und vielseitiges Schaffen. Komponiert wahrscheinlich um 1792, gehört es zu einer Reihe von konzertanten Kompositionen, die während Haydns Zeit am Hofe von Esterházy entstanden sind. Das Besondere an dieser „Concertante“ ist ihre Besetzung und Struktur. Sie ist für Solovioline, Solocello, Oboe, Fagott und Orchester geschrieben, was zu einem reichen Klangspektrum führt, das durch die verschiedenen Charaktere und Farben der Instrumente bereichert wird. Die Interaktion zwischen Solisten und Orchester ist ein zentrales Element des Stücks, wobei die Soloinstrumente sowohl in dialogischer Weise mit dem Orchester als auch miteinander agieren. Der erste Satz eröffnet das Werk mit einer lebhaften und energiegeladenen Atmosphäre. Hier präsentiert Haydn geschickt die thematische Materie, die dann zwischen den Solisten und dem Orchester hin- und herwandert. Dieser Satz ist geprägt von kontrapunktischen Elementen und dynamischen Unterschieden. Das Andante ist ein lyrischer Kontrast zum ersten Satz. Hier zeigt Haydn seine Fähigkeit, einfühlsame Melodien zu komponieren, die von den Solisten mit großer Ausdruckskraft interpretiert werden können. Dieser Satz bietet Raum für individuelle Entfaltung und ermöglicht den Solisten, ihr melodisches Können und ihre emotionale Tiefe zu präsentieren. Der finale dritte Satz kehrt zu einem lebendigen Charakter zurück und rundet das Werk mit einer fröhlichen und schwungvollen Stimmung ab. Hier demonstriert Haydn erneut seine Meisterschaft in der Entwicklung von motivischem Material und im Spiel mit rhythmischen Nuancen. Die Solisten treten weiterhin hervor, wobei sie virtuose Passagen mit dem Orchester teilen und zu einem mitreißenden Finale führen. Obwohl die „Concertante“ in B-Dur nicht die gleiche Bekanntheit erlangt hat wie einige von Haydns anderen Werken, ist sie dennoch ein Juwel seiner Instrumentalmusik. Mit ihrer eleganten Schönheit, ihrer brillanten Instrumentierung und ihrer ansteckenden Spielfreude ist sie ein bezauberndes Beispiel für Haydns Genialität und sein unermüdliches Streben nach künstlerischer Innovation. Die Solisten Dimitar Ivanov an der Violine, Mikhail Nemtsov am Violoncello, Johannes Grosso an der Oboe und Richard Morschel am Fagott, allesamt herausragende Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, brillierten in ihren anspruchsvollen Solopassagen. Ihre einfühlsamen Interpretationen und ihre musikalische Kommunikation untereinander zeugten von ihrem tiefen Verständnis für Haydns Musik und bereicherten das Konzert um unvergessliche Momente. Das Orchester selbst war in diesem Werk gefordert, sowohl in seiner Begleitrolle als auch in den virtuosen Ensemblepassagen, und bewies einmal mehr sein außergewöhnliches Können und seine Vielseitigkeit. Das Dirigat von Thomas Guggeis wirkte eher koordinierend. Die dynamische Gestaltung und auch die Akzentgebung wirkte allzu pauschal, sodass das Orchester deutlich im Hintergrund gehalten wurde.

Nach der Pause stand „Eine Alpensinfonie“ von Richard Strauss auf dem Programm. Eine große Aufgabe für jedes Orchester und den Dirigenten. Die Komposition ist ein monumentales sinfonisches Werk, das zu den eindrucksvollsten Kompositionen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zählt. Strauss, der große Meister der orchestralen Klangfarben und der programmatischen Musik, schuf dieses Stück zwischen 1911 und 1915. Es ist ein musikalisches Porträt der majestätischen Alpenlandschaft und eine künstlerische Reflexion über menschliche Erfahrung und Naturgewalten. Die Alpensinfonie besteht aus 22 durchkomponierten Abschnitten, die eine Reise durch die alpine Welt darstellen. Das Werk beginnt mit einer düsteren Einleitung, die die Nacht symbolisiert. Dann setzt das Glockenspiel ein und markiert den ersten Sonnenstrahl, der in den prachtvollsten Sonnenaufgang mündet, den die sinfonische Musik zu bieten hat. Von hier aus führt Strauss die Hörer durch verschiedene Szenen, darunter den Aufstieg durch die Berge, das Erreichen des Gipfels, das Erleben von Gewittern und schließlich die Rückkehr zur Heimat. Die orchestrale Besetzung ist enorm, mit einer Vielzahl von Holzbläsern, Blechbläsern, Streichern und Schlagwerk. Strauss nutzt das Orchester voll aus, um die verschiedenen Elemente der Natur zu vertonen, von sanften Bergbächen bis hin zum gewaltigen Sturm. Besonders bemerkenswert ist die Verwendung eines umfangreichen Schlagzeugs nebst Orgel und Fernorchester, um die dramatischen Momente des Stücks zu unterstreichen. Die Uraufführung der Alpensinfonie fand 1915 unter der Leitung von Strauss selbst statt und wurde von Publikum und Kritikern gleichermaßen gefeiert. Seitdem hat das Stück seinen Platz im Repertoire der klassischen Musik behauptet und fasziniert weiterhin Hörer auf der ganzen Welt mit seiner epischen Schönheit und seiner tiefgreifenden Emotionalität. Es bleibt ein Meisterwerk, das die Kraft und Erhabenheit der Natur in musikalischer Form einfängt und die menschliche Vorstellungskraft beflügelt. Vor dem Vortrag des Werks war Generaldirektor Klement Tockner von der Senckenberg Gesellschaft zu Gast und referierte zum Thema Naturbewahrung mit Klangbeispielen aus der „Alpensinfonie“. Ein nett gemeinter Gedanke, dessen subtile Pädgogik im Rahmen eines Abendkonzertes etwas deplatziert wirkte. Die Aufführung der Alpensinfonie unter der Leitung von Thomas Guggeis durch das Frankfurter Opern- und Museumsorchester geriet in vielerlei Hinsicht zu einem zwiespältigen Ereignis. Orchester seitig betrachtet, zeigte sich insgesamt eine gute Leistung. Von den kraftvollen Blechbläsern bis hin zu den nuancenreichen Holzbläsern und der großen Streichergruppe war jede Sektion des Orchesters auf einem hohen Niveau. Jedoch offenbarte sich eine bedenkliche Unterrepräsentation der Schlagzeugsektion, welche unter der Leitung von Guggeis teilweise stark zurückgehalten wurde. Insbesondere die Anforderungen von Richard Strauss an die Schlagzeuger, wie z.B. die fünf markanten Beckenschläge im „Sonnenaufgang“ und „Auf dem Gipfel“, wurden aufgrund unangemessen kleiner Instrumente und einer zurückhaltenden Interpretation nicht adäquat erfüllt. Diese Unzulänglichkeit führte zu einem sehr deutlichen Verlust an Wirkung und trübte die Gesamtwahrnehmung der betreffenden Passagen erheblich. Beide Abschnitte verpufften und waren in ihrer Wirkung so sehr verschenkt, dass es schmerzte. Die Leistung der Blechbläser verdient besondere Anerkennung, da sie mit kraftvoller Präsenz und technischer Raffinesse die majestätischen Höhen und dramatischen Abgründe der Alpenlandschaft eindrucksvoll zum Ausdruck brachten. Die Soli von Horn und Trompete gerieten beeindruckend. Ihre dynamische Bandbreite und klangliche Fertigkeit trugen maßgeblich zur eindringlichen Darstellung der monumentalen Naturkräfte bei, wie sie von Strauss meisterhaft komponiert wurden. Ebenso verdienen die Holzbläser Lob für ihre charaktervollen Interpretationen, obwohl ihre gestalterische Freiheit durch Guggeis‘ dirigentische Vorgaben stark eingeschränkt wurden, was zu einer mechanischen Wiedergabe bestimmter Passagen führte, wie z.B. das herrliche, hier verschenkte Oboen-Solo „Auf dem Gipfel“ und somit das musikalische Erlebnis beeinträchtigte, da kein Zauber entstand. Die Streichergruppe erwies sich als gutes Fundament des Orchesters und webte den klanglichen Teppich mit großer Geschmeidigkeit und Ausdruckskraft. Ihre Homogenität und Präzision bildeten das Rückgrat der musikalischen Struktur und trugen maßgeblich dazu bei, die emotionalen Höhen und Tiefen der Alpensinfonie auf beeindruckende Weise klanglich zu vermitteln. Auch im „Sturm“ wirkte das Schlagzeug zuweilen uneinheitlich und die Verwendung der beiden Donnerbleche blieb ineffektiv, da sie zu schwach benutzt wurden, wodurch der gewünschte Donner-Effekt nicht zur Geltung kam, auch die Windmaschine ertönte verhalten und wirkte lau. Der sich daran anschließende „Sonnenuntergang“ wurde mit einer Beiläufigkeit gegeben, die irritierte. Somit enttäuschte leider das Dirigat von Thomas Guggeis auf ganzer Linie. Im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem formidablen Strauss-Experten Sebastian Weigle, blieb Guggeis weit hinter den Erwartungen zurück. Sein Dirigat wirkte in Teilen inhomogen und bot kaum empfindungsstarke Ruhepunkte. Die Wiedergabe des Werks war korrekt, aber emotionslos. Viele wichtige Details blieben ungenutzt, und Guggeis verfehlte die Intention des Komponisten, indem er das Werk zu eng kontrolliert und kleinteilig interpretierte. Das klang lediglich technokratisch nach strukturierter absoluter Musik und nicht nach erlebter Wanderung in den Bergen, wie sie von Strauss als minutiöses Programm formuliert wurde. Gediegene Routine, ohne eigene interpretatorische Aussage, zu wenig, um ein überzeugendes Ergebnis zu erzielen. Die Kraft dieser Musik ist gewaltig, sodass trotzdem sich das Publikum zufrieden zeigte. Die Ausführenden erhielten viel Beifall, während kritische Aspekte des Auftritts unbeachtet blieben. Es scheint, als hätte die Kraft der Musik selbst über die Mängel des Dirigats hinweggetäuscht.

Dirk Schauß, 16. April 2024

Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 15. April 2024

Dimitar Ivanov, Violine

Mikhail Nemtsov, Violoncello

Johannes Grosso, Oboe

Richard Morschel, Fagott

Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Thomas Guggeis, Leitung

Foto: Copyright by Sophia Hegewald

 

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