Frankfurt / Alte-Oper: „FRANKFURTER OPERN- UND MUSEUMS-ORCHESTER – THOMAS GUGGEIS“ – 15.09.2024
Noch halb betäubt der „titanischen“ Eindrücke des Vorabends erschloss sich mir wiederum ein reizvoller Kontrast, der Mahler-Enthusiast konnte der Versuchung nicht widerstehen, denn eine so großartige Kombination bietet sich nicht alle Tage und besuchte 13 Stunden später am Vormittag Gustav Mahlers „Dritte Symphonie“ in der Alten Oper zur vielversprechenden Wiedergabe mit dem Frankfurter Opern- und Museums-Orchester unter der Leitung seinen jungen GMD Thomas Guggeis.
Wer sich Mahlers Dritter auch nur von ferne nähert (Ich kaum genoss die Nähe bereits dutzendfach live), wird sofort auf zwei Merkmale stoßen: Da ist zum Einen die riesenhafte Anlage mit dem monströsen Kopfsatz sowie zum Weiteren der unendliche melodische vielfältige Ablauf der Thematik mit derber Militärmusik, Klängen von mystischer Tiefe, Liedern, Tanzrhythmen also einer Fülle ungewöhnlicher Idiomen. Ein kluger Kopf kommentierte das Werk dereinst so: Ein ungeheures Lachen über die ganze Welt!
Auf sehr hohem Qualitäts-Level präsentierte sich wiederum das FOMO, der vorzügliche bewährte von mir sehr geschätzte Klangkörper musizierte konzentriert und hochmotiviert. Vermutlich lag es auch an der detaillierten Führungsqualität von GMD Thomas Guggeis, denn so durfte man einer ungewöhnlichen Performance beiwohnen. Bezwingend verlieh Guggeis seiner Auslegung eine Aura gelassener Professionalität, welche den Notentext in fließende Bewegung verwandelte, ihm eine natürliche Dynamik verlieh, wie ich sie bisher so unbefangen nicht erlebte. Jedoch möchte ich bemerken, dass es Guggeis im jugendlichen Überschwang gehörig krachen ließ, zuweilen während seines gesten- und körperreichen Dirigats die Schmerzgrenze des Publikums überstrapazierte. Auch versteht es sich von selbst, dass zwischen div. Orchestern grundsätzlich Qualitätslevels bestehen. Mächtig erschallten die Trompeten und Hörner und leiteten in Marschrhythmus den ersten Satz ein. Doch ist jenes Thema längst nicht beendet, über Klippen und Abgründe führte ein Weg zu neuen Motiven, welche wie Geschöpfe der Natur wachsend sich fügten. Der smarte Dirigent verband mit dem stets wachsam aufspielenden Orchester klare Linien, baute stilsicher Proportionen zwischen den Instrumentalgruppen, keine Piccoloflöte sprang vorwitzig hervor, verzerrte das Bild wie schon mancherorts erlebt. Die Dynamik des Gehörten empfand ich präzise in tonaler Meisterschaft, ebenso tadellos prägnant erklangen die Holz- und Blechbläser-Soli, großartig formierten sich die Details der weichen Streicher. Themen wechselten aus starrer Materie allmählich zum klangvollen Leben zur vordergründigen teils düsteren, teils heiteren oder grellfarbenen Marschmusik vom Orchester vortrefflich und akkuraterTechnik dargeboten.
Naturrealistisch erklang der zweite Satz zum Menuett den Wiesen und Blumen gewidmet, Wind fegte darüber schüttelte Blüten und Blätter, alles schien zu ächzen, wie um Erlösung flehend. Im dritten Satz dem Scherzo ließ Mahler die Tiere zu Wort kommen, intoniert wurde das Lied Kuckuck hat sich zu Tode gefallen auf fast ironische Weise. In ausgelassener Heiterkeit formierte sich die Fauna zur wilden musikalischen Groteske, das Trio inmitten malte mit mildem Hörnerklang, süßen Kantilenen ein romantisches Sommeridyll, die Tiere des Waldes ergingen sich erneut im munteren Raufen und helle Fanfaren setzten schließlich dem Treiben ein Ende.
Das Adagio im vierten Satz setzt den Menschen in den Mittelpunkt. Das Alt-Solo deklariert Worte aus Nietzsches „Zarathustra“, thematisch folgten musikalische Motive aus dem ersten Satz. Das Ganze wirkt mysteriös und steht in seiner philosophischen Intention in schroffem Gegensatz zum vorherigen Stimmungsbild. Anna Kissjudit war die Solistin, die junge ungarische Mezzesopranistin reüssierte an der Staatsoper Berlin als gefeierte Rheingold-Erda. Das weiche, wunderschöne Timbre, die melodisch-fließende Linienführung dieser prachtvollen Stimme mit den pastosen Altregionen prädestinierte die aufstrebende Sängerin als Mahler-Interpretin von hohem Rang und gleichsam balsamisches Labsal für die Ohren.
Lustig und keck im Ausdruck entführte der fünfte Satz in höhere Regionen: hohe Frauenstimmen singen Es sangen drei Engel ein süßen Gesang zu Versen aus „Des Knaben Wunderhorn“, bestens vom Frankfurter Frauenchor (Evelyn Ruf/Salome Niedecken) intoniert und trefflich erklang das Bimbam vom Kinderchor Frankfurt/Kinderchor des Lessing-Gymnasiums (Sabine Mittenhuber).
Der sechste Satz dem Adagio dieses herrlichen atmosphärischen Werkes war schließlich dem schönsten aller Dinge der Liebe gewidmet, streifte in seiner Thematik die Anfänge dieser Symphonie, steigerte sich aus sanglichem Beginn in einer Melodie die zum Himmel strebte, zu leidenschaftlicher Erregtheit und gab dem Ganzen sodann einen hymnischen, weihevollen Ausklang, entrückt jeglicher Erdenschwere. Die Interpretation geprägt von jugendlichem Feuer, emotionaler Intensität und grandioser orchestraler Tonqualität wurde ohne kurzes Innehalten, entsprechend begeistert gefeiert. Auf weitere Mahler-Werke (?) mit dem dynamischen talentierten Dirigenten Thomas Guggeis dürfte man freudig entgegen sehen.
Gerhard Hoffmann