Frankfurt / Alte Oper: „ELEKTRA“ – Konzertante Aufführung 15.03.2019
Frisch als wäre es gestern gewesen, blieb die einzigartige konzertante „Salome“ des Jahres 2016 in ihrer orchestralen Präsenz, unvergesslich in meiner Erinnerung haften und nun ließ Andrés Orozco-Estrada mit seinem hervorragenden hr-sinfonieorchester Salomes große „Schwester“ die fulminante „Elektra“ von Richard Strauss in der Alten Oper folgen.
Nach en gros Aufführungen meiner Strauss-Favoritin denke ich oft: sind noch Interpretations-Steigerungen möglich? Für wahr – das Wunder geschah!
Daher gebührt unweigerlich Andrés Orozco-Estrada und seinem grandios musizierenden hr-sinfonieorchester die Krone des Abends. Vermutlich vom Spruch des Komponisten inspiriert: Dirigiere Salome und Elektra wie Mendelssohns Elfenmusik – diesem wohl im herkömmlichen Sinn nicht ernst gemeinten Rat, scheute der Wahl-Wiener jegliche Disharmonie der ausufernden eruptiven Klanggewalten, bevorzugte mehr eine akribisch maßvolle Lesart der nuancenreichen Partitur. Beleuchtete quasi authentisch die Charaktere und offenbarte Orchesterklänge von selten vernommener Schönheit zu überwältigender Intensität. Vehement steigerte Orozco-Estrada sein in allen Gruppierungen akkurat aufspielendes Instrumentarium in jene aufwühlenden Leidenschaften, ließ pompös auftrumpfen, in kluger Progression die orchestralen Wellen fluten und hielt stets balancierte Distanz zum nuancierten Farbenreichtum der zarten feinnervigen Töne (Orest-Szene).
Selbstredend die taktisch vortreffliche Sänger-Begleitung rundete das großartige Dirigat auf wunderbare Weise ab. 105 Minuten orchestrale Hochspannung mit Gänsehaut-Effekt, eine Offenbarung instrumentaler Psycho-Analysen menschlicher Abgründe trieben mir zu manchen Sequenzen unaufhaltsam die Tränen in die Augen. Nun kenne ich die instrumentale Elektra-Suite, jedoch eine Elektra-Symphonie ohne Gesang in dieser Formation wäre wohl die absolute Wonne!
Sehr gespannt war ich natürlich auf die Titelheldin (als Neuzugang in meinem Leporello) Elena Pankratova. Die russische Sopranistin sorgte in jüngster Vergangenheit als Färberin für Furore und verlieh nun der Astriden-Tochter vokale Kraftentfaltung. Berührt hatte mich ganz besonders die großartige Diktion der Sängerin, die mental-progressive Analyse der Rollen-Identifikation zu dezent optischer Gestaltung. Vokal irritierte mich zunächst beim Monolog ein störendes Vibrato des Mittelbereichs welches sich im Verlaufe des Abends leicht aber nicht vollständig verflüchtigte. Beachtlich führte Pankratova in schlafwandlerischer Sicherheit ihren farbenreichen Sopran mit üppigen Mezzotiefen und nie scharfen Höhen durch die „Tour de Force“ der Partie.
Zudem verstand es die Sängerin dank ihrer ausgefeilten Technik während der innigen Passagen zur Begegnung mit dem Bruder in lyrischer Tongebung zu bewegen. Nicht in allen Bereichen überzeugte mich die Vokalise der engagierten Künstlerin, dennoch bekunde ich jeder Sängerin hohen Respekt bezüglich der Bewältigung dieser expressiven Partie.
Den Kontrapunkt setzte die inzwischen zur Isolde und Brünnhilde reüssierten Allsison Oakes. Mit aussagekräftigem Profil und so manchen forcierten nicht immer klangvollen Höhenbereichen gab die Sopranistin der Chrysothemis intensive Formation.
Als elementares Ereignis darf man die Klytämnestra von Michaela Schuster nennen, welch ausdrucksstarke Persönlichkeit betrat da die Bühne, verhalf mit intensiver persönlichkeitsstarker Darstellung dem Meeting mit der Tochter zur Psycho-Analyse avancierte zum dramatischen Höhepunkt dieser Aufführung. Im Vollbesitz ihres klangvollen, bestens fokussierten Mezzosoprans faszinierte Schuster gleichwohl zu hervorragender Artikulation, raumfüllender Intonation und bewegend-intensiver Darstellung – einfach phänomenal!
Angesichts so viel hervorragend-immenser Darstellung erinnerte ich mich der kürzlich gelesenen Zeilen: „Man sollte grundsätzlich die Regie Sängern mit ihren Erfahrungen und ihrem psychologischen Vorstudium überlassen“. Für wahr dank so viel intensiven Powers exzellenter Sänger-Darsteller während einer konzertanten Produktion, verzichte ich gerne auf (oft) störende Regie-Einfälle. Reizvolle optische Akzente steuerte Rebecca Bienek mit illuminiertem Licht-Design bei.
Heldische Attribute, dezent-bewegende Optik und dazu herrliche vokale Schattierungen schenkte Michael Volle dem Orest, dank seines in allen Bereichen herrlich timbrierten Bassbaritons. Dunkel-weich ließ der Sänger sein prächtig-nuanciert präsentiertes Material strömen und schenkte dem Astriden-Sohn aristokratische Würde.
In bester stimmlicher Frische seines intakten Tenors, zu dezenter Mimik schenkte Michael Schade dem Kurz-Auftritt des Aegisth eine ungewöhnlich starke Note.
Ausgezeichnet und schönstimmig präsentierten sich die Mägde alternierend der kleineren Rollen Evelyn Krahe, Valentina Kutzarova, Leonie van Rheden, Hailey Clark, Mandy Fredrichs, Ivi Karnezi sowie die Herren Christian Sturm, Peter Maruhn, Benedikt Nawrath, Dominic Barbieri.
Das Publikum zeigte sich begeistert und feierte alle Beteiligten und insbesondere Orozco-Estrada sowie sein hervorragendes hr-S.O. mit lautstarken Ovationen.
Gerhard Hoffmann