Orchesterfest – Anne-Sophie Mutter und das Dallas Symphony Orchestra mit Fabio Luisi
Am 07. Juni machte das renommierte Dallas Symphony Orchestra unter der Leitung seines Musikdirektors Fabio Luisi Station in der Alten Oper Frankfurt. Auf dem Programm standen drei sehr unterschiedliche Werke: „What Keeps Me Awake“ von Angélica Negrón, das zweite Violinkonzert von John Williams und Tschaikowskys Sinfonie Nr. 5 in e-Moll Op. 64. Der Abend versprach tiefgehende musikalische Erlebnisse. Die Veranstalter Alte Oper und Pro Arte veranlassten zudem, dass dieses Ereignis nach draußen auf eine Großbildleinwand übertragen wurde. Bei bestem Wetter fanden sich viele Musikbegeisterte vor dem ehrwürdigen Gebäude der Alten Oper ein, um den Abend zu verfolgen.
Viewing auf dem Opernplatz. Foto: Wonge Bergmann
Das Konzert begann mit Angélica Negróns „What Keeps Me Awake“, einem zeitgenössischen Werk, das durch seine innovative Klangsprache bestach. Negrón, eine puerto-ricanische Komponistin, ist bekannt für ihre Fähigkeit, traditionelle Instrumente mit elektronischen Klängen zu verbinden und so eine einzigartige, moderne Atmosphäre zu schaffen. „What Keeps Me Awake“ entfaltet sich in schwebenden Klangflächen und subtilen Rhythmen, die eine fast hypnotische Wirkung entfalten. Die Streicher begannen mit einer sanften, fast ätherischen Melodie. Es entstand eine traumähnliche Atmosphäre, die den Hörer in eine Welt zwischen Wachsein und Schlaf versetzte. Luisis präzise Leitung sorgte dafür, dass die feinen Details und die delikate Balance zwischen den verschiedenen Klangquellen perfekt zur Geltung kamen. Ein stimmungsvoller Beginn, sehr kultiviert vom Dallas Symphony Orchestra vorgetragen.
Ein besonderer Höhepunkt des Abends war zweifellos die Darbietung von John Williams’ zweitem Violinkonzert, das speziell für die Solistin des Abends, Anne-Sophie Mutter, komponiert wurde. Williams, bekannt für seine ikonischen Filmkompositionen, zeigt in diesem Werk eine andere, weniger bekannte Facette seines Schaffens. Eines wurde bei diesem Werk klar, Liebhaber von Williams Filmmusiken warteten vergeblich auf eingängige Momente dieser Art. Williams Violinkonzert wirkt vielfach bemüht, anstrengend und auch für den Zuhörer zuweilen erschöpfend. Zu oft wählte Williams den Weg der Unzugänglichkeit und Sprödigkeit. Zu selten hingegen setzte er Ruhepunkte und noch weniger gab es Raum für Kantilenen. Das Violinkonzert ist reich an Dissonanzen und komplexen Strukturen, die sowohl die Virtuosität der Solistin als auch die Klangfarben des Orchesters zur Geltung bringen. Das Werk beginnt mit einem lyrischen Thema, das von der Solovioline vorgestellt wird und sich zu einem Dialog mit dem Orchester entwickelt. Mutter meisterte die anspruchsvollen Passagen mit beeindruckender Leichtigkeit und technischem Können. Ihre Interpretation war geprägt von einer tiefen musikalischen Einsicht und einem außerordentlichen Gespür für die dramatischen und lyrischen Elemente des Konzerts. Besonders hervorzuheben ist ihr Dialog mit dem Orchester, der stets lebendig und nuanciert war. In den ruhigen Passagen zeigte Mutter ihre Fähigkeit, lange, gesangliche Linien mit tiefem emotionalen Gehalt zu spielen, während das Orchester einen dichten, aber transparenten Hintergrund schuf. Der letzte Satz bot Mutter die Gelegenheit, ihre technische Brillanz zu demonstrieren, ohne dabei die musikalische Integrität des Werkes zu vernachlässigen. Ihr Spiel war eine perfekte Mischung aus Virtuosität und Ausdruckskraft, die das Publikum in eine Welt voller Emotionen und musikalischer Feinheiten entführte. Vielleicht am eindrücklichsten gerieten Williams die finalen Momente des Werkes. Nach vielerlei Tumult und fortlaufender Bewegung wird die Musik immer leiser, um sich dann einem lichtvollen, heilsamen A-Dur Akkord aufzulösen. Anne-Sophie Mutter zeigte an diesem Abend einmal mehr, warum sie zu den führenden Geigerinnen dieser Zeit gehört. Ihre technische Brillanz und musikalische Tiefe waren in jeder Phrase des Violinkonzerts spürbar. Ihr Spiel war nicht nur eine Demonstration technischer Virtuosität, sondern auch ein tiefes Eintauchen in die emotionalen Schichten der Musik. Sie verstand es meisterhaft, die ungemein komplexen Auswüchse von Williams’ Komposition herauszuarbeiten und sie in einen lebendigen Dialog mit dem Orchester zu setzen. Fabio Luisi begleitete die berühmte Geigerin vorbildlich und das in großer Besetzung spielende Dallas Symphony Orchestra zeigte sich als flexibler Klangkörper mit herrlichen Farben. Das Publikum reagierte ein wenig ermattet und applaudierte ausdauernd. Ein großer Enthusiamus wollte sich nicht einstellen. Dann griff Mutter zum Mikrofon und kündigte in einer kurzen Ansprache als Zugabe dann eine Filmmusik von John Williams an. Eine Orchesterfassung mit Solovioline zu „Helenas Theme“ aus dem letzten „Indiana Jones“-Film. Und in diesen Momenten war Williams wieder in in seinem ureigenen Terrain der süffigen Effekt-Musik unterwegs. Mit äußert üppigem Ton begeisterte nun Anne-Sophie Mutter das Publikum restlos, so dass sich mancher Zuhörer gefragt haben dürfte, warum das Violinkonzert diese Eingängigkeit der Zugabe nicht besaß.
Anne Sophie Mutter, Fabio Luisi und das Orchester. Foto: Wonge Bergmann
Den Abschluss des Abends bildete Tschaikowskys monumentale Sinfonie Nr. 5, ein Werk, das für seine dramatische Tiefe und emotionale Intensität bekannt ist. Die „Schicksalssinfonie“, wie sie oft genannt wird, durchläuft eine Reise von Dunkelheit zu Licht, von Verzweiflung zu triumphaler Erlösung. Das Dallas Symphony Orchestra brillierte in dieser Aufführung mit einem satten, vollen Orchesterklang, der die Zuhörer von der ersten bis zur letzten Note in den Bann zog. Unter Fabio Luisis energischer und einfühlsamer Leitung entfaltete sich die Sinfonie in all ihrer Pracht. Luisi wählte am Beginn sehr langsame Tempi. Diese ermöglichten es den Musikern, die melodische Schönheit und die subtilen emotionalen Nuancen dieses Satzes vollständig auszukosten. Die eindringlichen Schicksalsmotive bauten eine Spannung auf, die im zweiten Satz, einem lyrischen Andante cantabile, eine bewegende Auflösung fand. Der dritte Satz, ein schwungvolles Walzerthema, bot eine willkommene Leichtigkeit, bevor das Finale in einem triumphalen Allegro maestoso endete. Besonders beeindruckend war hier die dynamische Kontrolle des Orchesters, das von den leisen, fast flüsternden Passagen zu den kraftvollen, jubelnden Höhepunkten eine enorme Bandbreite zeigte. Die Blechbläser und Streicher glänzten durch ihre Präzision und Ausdruckskraft, die den dramatischen Höhepunkten des Werkes zusätzliche Strahlkraft verliehen.
Das Dallas Symphony Orchestra unter der Leitung von Fabio Luisi präsentierte sich in Bestform. Luisi führte das Orchester mit strenger Hand und einer klaren musikalischen Vision durch den Abend. Seine Interpretation der Werke war durchdacht und präzise, wobei er stets ein feines Gespür für die dynamischen und strukturellen Anforderungen der Stücke zeigte. Die Balance zwischen den verschiedenen Orchestergruppen war hervorragend, was besonders in der komplexen Textur von Negróns und Williams’ Werken deutlich wurde. Luisis Dirigat war stets energisch und einfühlsam zugleich, er verstand es, die Musiker zu Höchstleistungen zu motivieren und die Feinheiten der Partituren herauszuarbeiten. Bei Tschaikowsky entschied er sich für eine deutliche Dominanz im Streicherklang, die hervorragend phrasierten. Etwas zu sehr ins Hintertreffen gerieten dadurch die Blechbläser, die aber dann immerhin im finalen Satz deutlicher das Geschehen bestimmen durften.
Das Orchester selbst beeindruckte durch seine technische Perfektion und seinen vollen, ausgewogenen Klang. Besonders die Streicher überzeugten durch ihre Homogenität und den warmen, der besonders in Tschaikowskys Sinfonie zur Geltung kam. Die Bläsersektion brillierte durch klare, prägnante Einsätze und eine perfekte Intonation, die den dramatischen Höhepunkten der Werke zusätzlichen Glanz verliehen. Besonders hervorzuheben ist das perfekte Zusammenspiel der verschiedenen Orchestergruppen, das durch eine exzellente Balance und präzise Abstimmung geprägt war. Gelungen waren auch die zahlreichen Solobeiträge von Horn, Klarinette und Fagott. Wünsche blieben hier lediglich offen in der etwas blaßen Charakterisierung von deren Solo-Beiträgen. Die Musiker des Dallas Symphony Orchestra zeigten an diesem Abend ihre außerordentliche Professionalität und ihr hohes musikalisches Niveau, das in jeder Note spürbar war. Als Zugabe gab es dann eine schmissig vorgetragene Ouvertüre zu Michail Glinkas „Russlan und Ludmilla“. Große Begeisterung.
Der Abend in der Alten Oper Frankfurt war ein eindrucksvolles Erlebnis, das die Vielseitigkeit und das hohe Niveau des Dallas Symphony Orchestra unterstrich. Die Kombination von zeitgenössischer Musik mit einem Meisterwerk der Romantik bot ein spannendes und abwechslungsreiches Programm, das von den Künstlern mit großer Hingabe und hoher Souveränität interpretiert wurde.
Dirk Schauß, 08. Juni 2024
Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 07. Juni 2024
Anne-Sophie Mutter, Violine
Dallas Symphony Orchestra
Fabio Luisi, Leitung
Fotos:
Großer Saal © Alte Oper Frankfurt/Tibor-Florestan Pluto
Vor der Alten Oper © Alte Oper Frankfurt/Wonge Bergmann