Frankfurt / Alte Oper: „FRANKFURTER OPERN- UND MUSEUMS- ORCHESTER-SEBASTIAN WEIGLE“
Abschiedskonzert für Sebastian Weigle am 18.06.2023
Nach 15 Jahren als GMD der Oper Frankfurt sowie des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters verlässt Sebastian Weigle Frankfurt, die Stätte seines erfolgreichen und prägenden Wirkens. Gerne denke ich zurück an die wunderbaren Wagner-Strauss-Aufführungen (meiner Favoriten) sowie der nachhaltigen Dirigate von Opern diverser Komponisten des grandiosen Musikers sowie an vortreffliche Konzert-Highlights nicht nur in Frankfurt. Das heutige Abschiedskonzert hätte man nicht festlicher gestalten können, Weigle wählte zwei Werke von Anton Bruckner.
Zu Beginn „die Neunte“, jenes geniale Kunstwerk welches der Komponist zwischen 1887-1896 vollendete, durch seine herbe Kühnheit des frühexpressionistischen Ausdrucks, seiner Steigerungen der einschüchternden Dimensionen eine Sonderstellung im Schaffen Bruckners einnimmt. Formell erschienen die „gotischen“ Klangstrukturen, die bizarren weitgespannten Intervalle der Melodik in ihrer imposanten Konsequenz. Sebastian Weigle verband die ungemein differenzierte Harmonik, deren polyphone Intensität er meist in scharf kalkulierte unaufgelöste Dissonanzen münden und letztlich in himmelsstürmendem Klimax nach „oben“ streben ließ. Der Deutung stand Tür und Tor offen, schon allein durch Bruckners Bezeichnung: Dem lieben Gott!
Feierlich – misterioso wird die dreigliedrige Einleitung bezeichnet, gleichsam des latenten Programms des gesamten Werkes. Aus dem düsteren, geheimnisvollen Streichertremolo erstand durch langsame Ballung ein erstes, mit gewaltiger Kraft aufwärtsstrebendes Hörnerthema, ausufernd getragen bis ins Unisono des gesamten Klangkörpers. Im dreifachen Forte entwickelten sich Oktavsprünge des Hauptthemas, ist dies eine Anrufung Gottes wie viele Deuter meinten?
Nun sind Interpretationen sowie deren Gehalt stets persönlichen Geschmacksfragen der Hörer untergeordnet. War mir schon mehrmals das Glück beschieden Bruckners Neunte in prächtigen Formationen zu erleben, wähnte im Stillen mein Sitz hebe ab. Bar des heutigen akustischen Erlebens hatte sich dieser Schwebezustand erneut eingestellt, Sebastian Weigle musizierte mit seinem FOMO. in Vollendung, ließ seine Streicher himmlisch aufspielen, erzielte mit den lupenrein aufspielenden Bläsern kurzum eine orchestrale Ideal-Kombination zum niederknien. Der erfahrene Dirigent wählte zuweilen straffere Tempi, überspitzte Fortissimo-Eruptionen in dynamischer Effektmanier um so manche strukturelle Binnenartikulation vortrefflich auszuloten.
Herrliche Pizzicato-Töne leiteten das Scherzo ein, vermittelten nach wenigen Takten schier unwirklich-unheimliche Klangsphären welche in raschen stampfenden Fortewellen Bruckners einzigartige Tonkunst offenbarten, ja geradezu berauschten. Impressionistisch entwickelte sich der Dialog der Streicher im Einklang mit den akkuraten Holzbläsern in prächtigen progressiven Tuttieinklängen.
Schwerlich lassen sich die Eindrücke zum letzten Satz dem Adagio in Worte fassen, sie erschienen angesichts dieses aus tiefstem Innern kommenden Gefühlsausbruchs auch schier unnötig. Ein musikalischer Rückblick auf ein erfülltes, in tiefem Glauben gelebtes Künstlerleben, letzte und hochgeistige Weisheit, innigstes Erleben, Sehnsucht, Töne welche nicht mehr von dieser Welt zelebrierten Violinen im reizvollen Crescendo der Holz- und Blechbläser. Den leisen zarten Atmosphären setzte Weigle gewaltige Instrumental-Ausbrüche entgegen im gemeinsamen akribischen präzisen Ausmusizieren von höchst perfekter Intensität. Gleichsam als Abschied von den Menschen, einem musikalischen Vermächtnis in entrückter Schönheit endlos verhallend, verhauchte das Werk.
Man vergaß zu atmen, doch ohne kurzes Innehalten erhob sich das „Te Deum“ in seiner massiven, explosiven Dimension gleich einem göttlichen Femegericht. Schon oft begegnete mir dieses hymnische Sakralwerk jedoch nicht in derart impulsiver, ja geradezu erschlagender Präsentation. Eigenwillig postiert die Damen rechts und links in den vorderen Seitenlogen, die Herren und Solisten unterhalb der Orgel hinter dem Orchester. Sebastian Weigle ließ keinen Moment offen, dass er Bruckners Glaubenshymne als sakramentale Reliquie verstand, hielt die Dynamik des leider viel zu kurzen Werkes stets in spannender Balance zwischen dem präzise aufspielenden Orchester und im prächtigen Klangrausch vereinten Cäcilienchor (Christian Kabitz), Figuralchor (Paul Leonhard Schäffer), Frankfurter Kantorei (Winfried Toll), Singakademie (Jan Hoffmann).
Eingebettet in diesem opulenten akustischen Vokal-Instrumental-Gemälde entfaltete sich das solistische Quartett Monika Buczkowska mit imponierend stahlender Sopranfülle, Zanda Svede mit strömendem Mezzosopran, AJ Glueckert ließ strahlkräftig sein schönes Tenormaterial ertönen und Kihwan Sim brachte gleich einem ruhenden Pol sein schönes sonores Basspotenzial zum Klingen.
Nach sehr bedächtigem Innehalten brandete die Begeisterung des Publikums auf, Bravochöre, Standing Ovation zehn Minuten lang für Sebastian Weigle und alle Mitwirkenden.
Gerhard Hoffmann