Frankenthal (Pfalz), Congress-Forum: Landesjugendorchester Rheinland-Pfalz
22.10.2016
Das 1975 gegründete Landesjugendorchester Rheinland-Pfalz dient (neben den anderen 4 Landes-Ensembles) der Förderung des musikalischen Nachwuchses. Je nach Besetzung gehören ihm bis zu 100 Mitglieder im Alter von 12 bis ca. 20 Jahren an, die sich durch ein Aufnahmevorspiel qualifiziert haben. Pro Jahr gibt es drei Arbeitsphasen in den schulischen Oster‐, Sommer- und Herbstferien. Ständiger Gastdirigent ist seit 2005 Hermann Bäumer (seit 2011 auch GMD in Mainz); daneben werden weitere qualifizierte Gastdirigenten und Solisten eingeladen. Die Abschlusskonzerte finden traditionell an wechselnden Orten im Lande Rheinland-Pfalz statt. Sie sind immer wieder ein spannendes Ereignis, besonders im Herbst, da dann oft ein Generationswechsel stattgefunden hat.
Die aktuelle Herbstarbeitsphase fand in Kooperation mit dem Pôle d’enseignement supérieur de la musique en Bourgogne (eine Art Konservatorium) im französischen Dijon statt; einige Studierende von dort wirkten mit, und das erweiterte Orchester spielte zwei Konzerte in Burgund. Dirigent war diesmal Victor Puhl, GMD im rheinland-pfälzischen Trier, das auch den Endpunkt der Konzerttournee bildete. Beim Abschlusskonzert im vorderpfälzischen Frankenthal waren die Reihen im modernen Congress-Forum leider nur zur Hälfte besetzt. Dem ersten Programmtitel, Wolfgang Rihms „Brahmsliebewalzer“, begegnete das Publikum noch etwas reserviert. 1985 hatte Rihm seiner skeptischen Zuneigung zur Musik von Johannes Brahms mit einem Klavierstück Ausdruck gegeben, dem er die hintersinnige Spielanweisung “Nicht schnell, eher schwer, oft dumpf, nie heiter, vielleicht verdrossen, säuerlich, aber ernst” mitgab. Drei Jahre später orchestrierte er den ironisch gebrochenen Walzer in recht zarter Weise, die das LJO sorgfältig nachzeichnete. Für den mit dem Stil nicht vertrauten Hörer war das Stück aber wohl zu schnell wieder vorbei.
Johannes Brahms‘ 1. Klavierkonzert in d-moll ist für jugendliche Interpreten nicht gerade einfach zu spielen. Der aufbegehrende Gestus des Beginns kommt ihnen entgegen, doch der noch im 1. Satz aufkommende Unterton von Entsagung und Resignation liegt ihnen eher fern. Mit dem feinfühligen Pianisten Caspar Frantz am Flügel und unter Victor Puhls wohldosiertem Dirigat entstand aber eine atmosphärisch überzeugende, spannende und in den Einsätzen präzise Interpretation, die selbst einem erfahrenen Sinfonieorchester noch gut angestanden hätte. Eine geradezu unglaubliche musikalische Dichte erreichte der in aller Ruhe ausmusizierte langsame Satz. Spätestens hier sprang der Funke über; im Auditorium war es mucksmäuschenstill. In organischer Abrundung war der 3. Satz dann nicht nur ein temperamentvoller Kehraus, sondern auch eine in Stimmung und Stimmführung vielschichtige Hörerfahrung.
Sergej Rachmaninows Sinfonische Tänze op. 45 aus dem Jahr 1940 tauchen auf Konzertprogrammen nicht eben häufig auf, und sie entsprechen auch nicht mehr so recht dem spätromantischen Bild, das man sich von dem exilrussischen Komponisten macht. Wer die wirklich mit sinfonischem Anspruch komponierte Satzfolge des 67-jährigen zum ersten Mal hört, kann im zupackenden ersten Satz durchaus an den etwas jüngeren Zeitgenossen Sergej Prokofiev denken. Der 2. Satz ist ein düster gebrochener Walzer, der an Maurice Ravels „La valse“ denken lässt – und im Programm des Abends dann doch geschickt an Rihms „Brahmsliebewalzer“ anknüpft. Erst im 3. Satz offenbart sich mit der Überlagerung der Dies-Irae-Sequenz durch ein Selbstzitat Rachmaninows aus seiner „Ganznächtlichen Vigil“op. 37 das Ringen um ein positives Ende. Auch in dieser groß besetzen Musik konnten sich die Mitglieder des LJO an Temperament, Präzision und Sorgfalt (bis in scheinbar unbedeutende Begleitstimmen) mit etablierten Qualitätsorchestern messen. Bezeichnend für die konzentrierte Atmosphäre des Abends war der Schluss: Vom allgemeinen Fortissimo bleibt einzig das langsam verklingende Tam-tam übrig. Victor Puhl ließ den Taktstock erst sinken, als wirklich nichts mehr zu hören war; vorher senkte kein Spieler seinen Bogen oder sein Instrument und rührte kein Hörer die Hände. Dann allerdings gab es starken Applaus, eine Wiederholung als Zugabe und schließlich stehende Ovationen.
Andreas Hauff