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FLENSBURG/ Schleswig-Holsteinisches Landestheater: SCHWANENSEE, Premiere

Bestechende Interpretation ganz ohne Kitsch

09.09.2019 | Ballett/Performance

Es gehörte eine große Portion Mut dazu, den großartigen Ballett-Klassiker auf die kleine Flensburger Bühne zu bringen. Mit nur zwölf Tänzerinnen und Tänzern im Ensemble und einem überschaubaren Budget, das immerhin für vier Gäste reichte (am Ende wurden es wegen Ausfällen in der eigenen Company sogar sechs Gäste), hätte durchaus peinlich enden können. Der klugen Choreografie und Inszenierung von Katharina Torwesten und der jeglichen Kitsch vermeidenden, aber dennoch Eleganz vermittelnden Ausstattung von Julia Scheeler ist es zu verdanken, dass genau das Gegenteil der Fall war. Minutenlanger Jubel und Standing Ovations im restlos ausverkauften Flensburger Stadttheater waren der Dank für diese gelungene Interpretation.

Der Beginn wirkt ungewöhnlich, wenn sich sechs Schwanenküken aus ihren Eiern schälen und vom Magier Rotbart dabei beobachtet werden wie sie sich gegenseitig bekämpfen. Er greift schließlich selbst ein und entscheidet mit Genuss über Leben und Tod. Odette schlüpft als siebtes Küken und wächst überbehütet und streng kontrolliert unter Annäherungsversuchen ihres Vaters auf.

Dabei wahrt die Choreographin stets den Respekt vor Tschaikowskis Meisterwerk und bei aller Modernität hat man stets das Gefühl, gleichzeitig auch den Klassiker zu erleben. Humoristische Szenen, wie beispielsweise die Kaugummi kauenden Freunde des Prinzen oder die sich Prinz Siegfried herrlich anbiedernden Brautkandidatinnen verstärken den ausgewogenen Gesamteindruck und sorgen für entsprechende Erheiterung im Publikum. Vielleicht ist es diese Symbiose aus düsterem und heiterem, die die Flensburger Aufführung so sehenswert macht. Neben Spitzentanz spielen Elemente des Modern Dance eine große Rolle.  Auf diese Weise übersetzt die Company die Geschehnisse in eine für heutige Sehgewohnheiten zeitgemäße Bewegungssprache. Tanztheater at it’s best.

Timo-Felix Bartels ist als Drosselbart Dreh- und Angelpunkt der bestechenden Flensburger Aufführung (Foto: Henrik Matzen)

Risa Tero brilliert als Odette/Odile und durchlebt die Methamorphose von der beziehungsunfähigen Tochter zur schließlich doch liebenden Gefährtin Siegfrieds. Enkhzorig Narmandakh wird als emotionaler Prinz Siegfried gefeiert. Als Muttersöhnchen pariert er stets, wenn Alexandra Pascu als Königin es verlangt. Sie vermag es, durch energische und würdevolle Bewegungen die standesgemäße Überlegenheit zu verkörpern. Die deutlich aufgewertete Gestalt des Magiers Rotbart wird von Timo-Felix Bartels perfekt ausgefüllt. Er beherrscht nicht zuletzt durch seine starke Bühnenpräsenz den Abend und wenn man heute einen Protagonisten besonders herausstellen wollte, müsste man ihn wählen. Die Schwäne und auch die Freunde des Prinzen werden von den übrigen Ensemblemitgliedern verkörpert. Sie treten nie als uniforme Gruppe auf, sondern jede Tänzerin und jeder Tänzer behält stets Raum für eine individuelle Interpretation. Wie selbstverständlich werden die Premiereninterpretinnen der Odette/Odile und der Königin an anderen Terminen kleinere Ensemblerollen als Schwäne übernehmen. Dies zeugt davon, dass der überwältigende Erfolg eine echte Ensembleleistung ist. 

Ingo Martin Stadtmüller leitet das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester, welches das Geschehen auf der Bühne nahezu optimal begleitet. Einzig und allein die Ball-Szene wirkte auf mich eine Spur zu hastig dahergespielt. Dieses Detail ändert nichts an der Tatsache, dass die Produktion in sämtlichen Belangen und in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Mittel optimal realisiert worden ist. Sie kann als eigenständiges Kunstwerk neben den zahlreichen wunderschön-kitschigen Produktionen klassischer Ballettkompagnien bestehen.

Marc Rohde

 

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