FLENSBURG/ Landestheater: Sinfoniekonzert BRILLANT Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester GMD Harish Shankar, Dirigent Emanuel Graf, Cello
Valerie Coleman (*1970) „Umoja“ Antonín Dvořák (1841–1904) Konzert h-Moll für Violoncello und Orchester op. 104 Béla Bartók (1881–1945) Konzert für Orchester Sz 116 Valerie Colemans Umoja: Anthem of Unity fesselte das Publikum vom ersten Ton an. Ein vibrierendes Vibraphon, fast wie schwebender Nebel, leitete die filigrane Solo-Violine ein, die die einfache, klare Melodie präsentierte – schlicht, aber voller Wärme und Menschlichkeit. Bald entfaltete sich das Werk zu einer orchestralen Erzählung: Die Melodie wanderte durch Streicher, Holzbläser und andere Gruppen, tanzte und verwob sich, während dissonante Bläser- und Schlagwerkpassagen Momente von Spannung und Konflikt erzeugten. Die Kontraste waren spürbar: Zarte, fast fragile Linien standen kraftvollen, drängenden Tutti-Momenten gegenüber, die wie plötzliche Aufblitze von Ungerechtigkeit und gesellschaftlicher Härte wirkten. Doch immer wieder kehrte die singbare Melodie zurück, sanft und tröstend, wie ein Appell an Menschlichkeit, Freundlichkeit und Gemeinschaft. Das Finale entfaltete schließlich die volle orchestrale Pracht: Blechbläser, Streicher und Holzbläser vereinten sich zu einem triumphalen Ausruf von Einheit und Hoffnung. Antonín Dvořáks Cellokonzert in h-Moll op. 104 zählt zu den eindrucksvollsten Werken der romantischen Konzertliteratur und verbindet technische Meisterschaft mit emotionaler Tiefe. Der Solist Emanuel Graf trat hier nicht als bloßer Virtuose auf, sondern als erzählende Stimme, die mit dem Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchesters in einen intensiven Dialog trat. Das Werk öffnete mit dramatischer Geste und weiten melodischen Bögen, die zwischen Melancholie, Sehnsucht und leidenschaftlichem Aufbäumen changierten. Dvořák verwebte tschechische Volksmelodik und rhythmische Tanzformen mit spätromantischer Harmonik zu einer Musik, die zugleich erdverbunden und universell wirkte. Das Cello sang, klagte, jubelte – stets mit menschlicher Wärme. Gerade im Konzert entfaltete diese Musik eine Sogwirkung: Sie rührte an persönliche wie kollektive Emotionen und ließ das Publikum in eine Welt eintauchen, in der Heimweh, Hoffnung und Lebensfreude untrennbar miteinander verschmolzen. Graf überzeugte mit warmem, farbenreichem Ton, lyrischer Tiefe und kontrollierter Virtuosität. Dabei spielte er eindringlich im Ausdruck, ohne Pathos, stets im Dialog mit dem Orchester, das unter der Leitung von GMD Harish Shankar mit viel Feingefühl agierte. Als Zugabe präsentierte der Solist gemeinsam mit den vier Cellisten des Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchesters Pau Casals’ El Cant dels Ocells. In dieser berührenden Interpretation, die das katalanische Volkslied als universelles Friedenssymbol erklingen ließ, spürte man Pau Casals’ Überzeugung als Pazifist und sein Engagement für Menschenrechte in jeder Note. Es entstand ein Moment des In-sich-Gekehrtseins, der in diesen hektischen und turbulenten Zeiten besonders bewegte. Béla Bartóks Konzert für Orchester schließlich verwandelte das Orchester selbst in einen Protagonisten: ein „Konzert“ nicht für einen Solisten, sondern für das Ensemble als Ganzes. Hier traten einzelne Instrumentengruppen solistisch hervor, traten in Dialoge, Kontraste und Echoeffekte, wodurch eine kaleidoskopartige Struktur entstand. Bartók verband ungarische Volksmotive und tänzerische Rhythmen mit moderner Harmonik und kühner Instrumentation. Das Werk führte von dunkler, ernster Grundstimmung über lyrische und satirische Passagen bis hin zu triumphaler, lebensbejahender Energie. In der Aufführung beeindruckte die Musik durch Präzision, Farbvielfalt und emotionale Spannweite – ein Wechselspiel von Ernst und Ironie, Klarheit und Ekstase. Das Ergebnis war ein orchestraler Kosmos von großer Ausdruckskraft: ein musikalisches Monument, das zugleich analytisch scharf und zutiefst menschlich wirkte. GMD Harish Shankar verstand es, die großen orchestralen Momente mit einer scheinbaren Selbstverständlichkeit auszukosten und zugleich auf den Solo-Cellisten mit feinfühliger Behutsamkeit einzugehen. Leise Passagen entfalten sich in schwebenden, beinahe hauchzarten Pianissimi, während die Wogen der Musik, vor allem bei Bartók, zu rauschhaften, überwältigenden Klangströmen anschwollen, die den Raum erfüllten und das Publikum in den Bann zogen. Jeder Moment wirkte durchdacht und zugleich voller lebendiger Energie, ein meisterhafter Balanceakt zwischen Intimität und orchestraler Opulenz. Dieses Konzert bewies einmal mehr, dass diese ansonsten vom Rest der Republik doch einigermaßen abgehängte Region mit ihrem Landestheater und Sinfonieorchester künstlerisch mit den Metropolen Deutschlands mithalten kann. Zumindest noch. Im Gesellschaftervertrag des Landestheaters – an dem 17 Gesellschafter beteiligt sind, darunter die Stadt Flensburg mit einem Anteil von 45 Prozent – ist die Finanzierung des Hauses einschließlich einer jährlichen indexorientierten Anpassung verbindlich geregelt. Angesichts angespannter Haushaltslagen und des politischen Wunsches, zugleich die „Freie Kulturszene“ in Flensburg weiter zu fördern, stellt die Stadt zurzeit jedoch sowohl die Höhe als auch die Dynamisierung ihres Zuschusses an das Landestheater infrage. Ein in Auftrag gegebenes Gutachten soll mögliche Einsparpotenziale auf Seiten des Theaters prüfen. Weitere Kürzungen würden wohl nicht nur die programmatische Vielfalt, sondern langfristig sogar die Existenz des Landestheaters gefährden. Dann bliebe hier nur noch Handball. Ist es wirklich vorstellbar, dass eine Kommune so kurzsichtig handelt, ein kulturell wie wirtschaftlich bewährtes Aushängeschild aufs Spiel zu setzen und damit den gesamten Landesteil weiter zu schwächen? —
Marc Rohde

