Vergangene Spielzeit bekam ich von einem Freund im etwa 900 Kilometer entfernten Augsburg den Hinweis, dass es bei uns in Flensburg eine sehr sehenswerte Ballettaufführung gäbe. Terminlich hatte es damals bei mir nicht gepasst, aber zumindest das tänzerische Highlight dieser Saison wollte ich mir nicht entgehen lassen.
Das Ballettensemble des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters in „Fantaisie Symphonique“ (Foto: Henrik Matzen)
Im ersten Teil des choreografischen Doppelabends übersetzt Emil Wedervang Bruland Kurt Weills 2. Sinfonie („Fantaisie Symphonique“) in eine zeitgenössische Choreografie. Weills bedeutendstes, viel zu selten gespieltes Orchesterwerk wird von Sarkasmus, Wut, Angst, schwermütiger Lyrik und auch Traurigkeit geprägt, die klar und brillant in der Partitur zum Ausdruck kommen. Bruland schafft ein etwa halbstündiges abstraktes Tanztheater für sein kleines aber feines Ballettensemble, das unglaublich gut mit der Musik harmoniert und in der jede Szene harmonisch in die nächste übergeht. Im ersten Satz dienen den elf Tänzern zwei Tische als Bühnenbild und Requisiten. Diese werden teilweise aktiv ins Geschehen eingebunden und wecken so auch schon mal kurz Assoziationen an einen OP-Tisch, auf dem zwei Menschen untersucht und dann weggekippt werden. Ob dies eine persönliche Assoziation des Rezensenten mit dem heutigen Umgang von Lebewesen ist, oder so gedacht war, bleibt ein Geheimnis. Im zweiten Satz hatte ich in einer Szene Gedanken ans ‚in sich gefangen sein und nicht vorankommen können“ und in einer anderen Sequenz an ein Strategiespiel, in dem Menschen wie Schachfiguren aufgestellt (und somit also manipuliert) werden. Dabei war die Darbietung auf der Bühne äusserst ansprechend und ästhetisch. Im dritten und letzten Satz schließlich meinte ich etwas wie Gottesanbetung und Ekstase wahrgenommen zu haben, was ich für mich als Happy End deute. Die Kostüme von Ausstatter Stephan Anton Testi bestehen für die gesamte Company aus kurzen schwarzen Hosen und schwarzen Shirts mit einem weißen Sakko, welches für jeden Tänzer und jede Tänzerin individuell durch mehr oder weniger starke schwarze Elemente bemalt ist.
Szene aus Emil Wedervang Brulands „Der Feuervogel“ in Flensburg – alternierende Besetzung (Foto: Henrik Matzen)
Nach der Pause kommt schließlich Igor Strawinskis „Der Feuervogel“ in der reduzierten Orchesterfassung von Henning Brauel zur Aufführung. Dieses Werk habe ich zuletzt vor dreißig Jahren im St. Petersburger Mariinski Theater gesehen und entsprechend neugierig war ich auf die Flensburger Version. Eine direkte Gegenüberstellung wäre weniger sinnvoll als Äpfel mit Birnen vergleichen zu wollen, aber um es auf den Punkt zu bringen: Bruland ist eine sehr konzentrierte und mitreißende Interpretation des Werks gelungen, die seine aus nur elf Tänzern bestehende Company tänzerisch brilliant umsetzt. Jeder Tanzschritt und jede Bewegung trägt zur Erzählung bei und verleiht dem Stück eine zusätzliche Tiefe.
Der Feuervogel, ein prächtiges und rätselhaftes Wesen, ist fester Bestandteil russischer Volksmärchen und wurde zum künstlerischen Symbol des Fin de Siècle. Strawinskis berühmte spätromantische Version dieser Geschichte beeinflusste die Ballettwelt des 20. Jahrhunderts nachhaltig.
Das Bühnenbild (ebenfalls von Testi) besteht aus bemalten Stoffstreifen, die die Bühne umschließen. Zusätzlich gibt es einen kleinen Ring mit weiteren Stoffstreifen, die einen Käfig andeuten und aus dem die schöne Zarewna entsteigt. Die Kostüme des Feuervogels und seinem Gefolge sind in klassischem Rot gehalten, während Kastschei und die Dämonen schwarz gekleidet und weiß maskiert sind.
Perla Gallo vor dem Auftritt in ihrer Garderobe. Sie fasziniert in der Titelrolle (Foto: Instagram/privat)
Perla Gallo beeindruckt in der Titelrolle. Mit ihren anmutigen Bewegungen bringt sie die Magie und die Kraft des Feuervogels auf eindrucksvolle Weise zum Ausdruck. Ihr tänzerisches Können und ihre Bühnenpräsenz machen sie zur perfekten Besetzung für diese Rolle, in der sie sowohl solistisch als auch im fürsorglichen Zusammenspiel mit dem stattlichen Yun-Cheng Lin als Iwan Zarewitsch und im Konflikt mit Kastschei (dämonisch und furchteinflößend von Ben Silas Beppler interpretiert) brilliert. Zart und bezaubernd gestaltet Meng-Ting Wu die schöne Zarewna. Alternierend als Gefolge des Feuervogels und als Dämonen sind mit starker Bühnenpräsenz Anna Schumacher, Yi-Han Hsiao, Riho Otsu, Risa Tero, Chu-En Chiu, William Gustavo Barros, Matteo Andrioli und der Gast Emanuele Senese im Einsatz.
Das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester trägt unter der Leitung von Sergi Roca Bru durch seine konzentrierte Begleitung maßgeblich zum Gesamteindruck des Abends bei und entfaltet insbesondere im Feuervogel einen mystischen Klangteppich, wohingegen es in Weills Sinfonie auch mit schmissigen Rythmen aufwartet.
Standing Ovations im ausverkauften Haus dieser Repertoirevorstellung.