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FLENSBURG/ Landestheater: DER ARME JONATHAN (Premiere)

Begeisternde Wiederbelebung von Millöckers selten gespieltem Meisterwerk

28.01.2024 | Operette/Musical

Die Inszenierung von Cornelia Repschläger sorgt bei der Premiere schnell für ausgelassene Stimmung im gut besuchten Flensburger Stadttheater. Schon beim Einzug einiger Mitwirkender durch den Zuschauerraum und das Werfen von silbernen Konfettistreifen zu Beginn bezieht sie das Publikum direkt in die kurzweilige Produktion mit ein. Auch der 1. Rang wird im Laufe des Abends noch bespielt, um das 360-Grad-Erlebnis perfekt zu machen. Dabei wurde Millöckers kaum noch gespielte Operette mit einer gekürzten und aktualisierten Textfassung von Kriss Rudolph behutsam und mit viel Respekt gegenüber dem Original aktualisiert. Gendernde Student*innen beispielsweise werden augenzwinkernd auf die Bühne gebracht, aber es bleibt dem Zuschauer überlassen, was er davon hält, denn in dieser Produktion wird dankenswerterweise nicht moralisiert. Selbst denken bleibt erwünscht und erlaubt. Insgesamt beinhaltet die Handlung erstaunlich viele top aktuelle Themen und Konstellationen. An dieser Stelle darf ich die Regisseurin zitieren: „Im ARMEN JONATHAN treffen wir auf Menschen, deren Lebenssituation und Probleme ganz die unseren sind oder sein könnten: eine junge Frau (Harriet), die gerade ihren Doktor gemacht hat, muss sich zwischen Liebe und Beruf entscheiden und wählt die Karriere, – ein Mann (Vandergold), der beruflich alles erreicht hat, Karriere und Vermögen aufgibt, um sich selbst zu finden, – Studentinnen, die ihre Freiheit von männlicher Bevormundung feiern, – SängerInnen, die Lohnfortzahlung auch im Krankheitsfall fordern, – streikende Angestellte, die mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen fordern, – ein Künstleragent (Quickly), der die weltweite Vermarktung seiner Klientel zu seinen Gunsten betreibt, – ein junges Paar (Jonathan und Molly), das sich durch den geschenkten finanziellen Wohlstand innerlich entfremdet.“ Aktueller geht es nicht! 

Die Spaßgesellschaft der Schönen und Reichen wird hierbei durch ein modernes Bühnenbild von Rena Donsbach, inklusive übergroßer Champagnerflaschen und allerlei dekadentem Gedöns wunderbar zur Geltung gebracht.

In dieser Welt tummeln sich eine ganze Menge skurril überzeichneter Pop-Art Charaktere, die oft an Künstler aus Florian Silbereisens Schlagerarena, den Eurovision Song Contest und vergleichbare Formate erinnern. (Kostüme: Ralf Christmann). Ein besonders ästhetisches Highlight in diesem Ambiente ist der kurze, aber beeindruckende Auftritt von Jana Marth als elegant tanzende grazile Ballerina im weißen Tutu.

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Jonathan (Dritan Angoni) und Vandergold (Robin Neck) tauschen ihre Rollen – (c) Thore Nilsson 

Der Küchengehilfe Jonathan Tripp wird schönstimmig und spielfreudig von Dritan Angoni gegeben. Als seine Freundin Molly begeistert die armenische Koloratursopranistin Anna Avdalyan, die insbesondere auch mit ihrem komödiantischem Talent aufwartet und der einige köstliche Versprecher in den Text geschrieben wurden. So sehnt sie sich zum Beispiel nach einer Massage mit esoterischen Ölen. Robin Neck als reicher Amerikaner Vandergold, der seines Vermögens überdrüssig ist und dieses schließlich mit Jonathan tauscht, ist nicht zu unrecht schon mehrfach eine große Karriere vorhergesagt worden. Als brillanter Schauspieler vermag er mit tenoralem Schmelz auch vokal vollends zu begeistern. Malgorzata Roclawska verzaubert mit den unzähligen Nuancen, die ihre wohlklingende Stimme hervorbringen kann und verkörpert eine überzeugende launische Operndiva, wie sie im Buche steht. Kai-Moritz von Blanckenburg gilt als Mann für alle Fälle und überzeugt auch in der Rolle des Impresarios Tobias Quickly, der bei allem Charme auch per Definition stets ein wenig schleimig rüberkommt. 

In den kleineren Rollen stehen in Flensburg Timo Hannig (in der Premiere wegen einer Erkrankung nur spielend und dabei vokal von Tom Kessler von der Seite unterstützt), der mit reichlich komödiantischem Talent ausgestattete, aber gerne mit den Augen den Dirigenten suchende Xiaoke Hu als Komponist Cantalucci, Philipp Franke als Graf Nowalsky, Sarah Kuffner als seine Schwester Arabella, sowie In-Hoo Choi, Rouben Sevastianov, Karol Malinowski, Nadia Steinhardt, Katarina Luise Fuchs, Carla Antunes, Mayumi Sawada und Lidiia Basova auf der Bühne. 

Der Opernchor (Leitung: Avishay Shalom) und das präzise und beschwingt aufspielende Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester unter der Leitung von Sergi Roca Bru tragen nicht unwesentlich zum perfekten Operettenerlebnis bei. Dramaturgin Susanne von Tobien spürte in Coburg die Originalfassung von Carl Millöckers Partitur auf. Sämtliche dort gefundene Noten aus dem Jahr 1890 waren handgeschrieben und fehlerbehaftet. Der Kapellmeister hat unendlich viel Arbeit in die Aufarbeitung gesteckt, aber das Ergebnis kann sich wahrlich hören lassen und wäre allein schon einen Besuch im Schleswig-Holsteinischen Landestheater wert. 

Fazit aus der Sicht des Rezensenten: der Besuch der Aufführung hat ganz viel Spaß gemacht! Unbedingt hingehen. 

Marc Rohde

 

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