FLENSBURG/ Schleswig-Holsteinisches Landestheater:
CABARET von Fred Ebb und John Kander
24. April 2024
Großartige Unterhaltung trifft auf tiefsinnigen und brandaktuellen Inhalt: so einfach ließe sich der Besuch im Flensburger Stadttheater zusammenfassen.
Der Inhalt dieses 1966 uraufgeführten Werkes nach dem Stück Ich bin eine Kamera von John van Druten und Erzählungen von Christopher Isherwood gehört fast schon zur Allgemeinbildung: Der junge amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshaw reist in den frühen 1930er Jahren nach Berlin, um dort an einem Roman zu arbeiten. Durch eine Empfehlung seines Mitreisenden Ernst Ludwig landet er in der Pension von Fräulein Schneider. Durch Ludwig lernt er auch den berühmt-berüchtigten Kit Kat Club kennen, in dem er auf die englische Sängerin Sally Bowles trifft. Nachdem diese ihren Job verliert, findet sie Unterschlupf bei Cliff und aus den beiden wird ein Paar. Auch für zwei andere Bewohner der Pension kehrt das Glück ein. Herr Schultz erobert das Herz von Fräulein Schneider. Doch spätestens bei der Verlobungsfeier wird deutlich, dass Schultz Jude ist und Ludwig ein Nationalsozialist. Bei der Verlobten kommen Zweifel auf und sie möchte Abstand von der geplanten Hochzeit nehmen. Cliff plant, Deutschland zu verlassen, während Sally weiter von ihrer Karriere in Berlin träumt. Als sie sich entscheidet, das gemeinsame Kind abzutreiben, hält ihn nichts mehr in der Stadt. Die Zurückgebliebenen erwartet unterdessen eine ungewisse Zukunft.
Im Kit Kat Club geht es hoch her (Foto: Thore Nilsson)
Für das Buch zeichnet sich Joe Masteroff verantwortlich, die Gesangstexte stammen von Fred Ebb. Die Musik wurde von John Kander komponiert und wird am Schleswig-Holsteinischen Landestheater unter der musikalischen Leitung von Fridtjof Bundel in der reduzierten Orchesterfassung von Chris Walker gespielt. Ragtime und Jazz klingen in diesem revueartigen Stück durch und auch die beiden erst später für die Verfilmung komponierten Stücke Maybe this Time, Mein Herr und Money, Money fehlen in dieser Inszenierung von Milena Paulovics nicht. Die Regisseurin stellt dem hervorragend agierenden und achtbar singenden Schauspielensemble des Landestheaters drei hervorragend tanzende und vokal bestens aufgelegte Musicaldarstellerinnen zur Seite. Hannah Lucie Schlewitt (Lulu), Lavinia-Romana Reinke (Brünnhilde) und Salome Wälti (Rosie) bringen den nötigen Schwung und eine Prise Erotik in den sonst recht nüchtern gestalteten Kit Kat Club. Dieser wird lediglich durch eine mit der Kit Kat Band besetzten Bühne auf der Bühne, einer Discokugel und einem silbernen Glitzervorhang angedeutet. Das Bühnenportal ist seitlich mit silberfarbenem Art Deco Muster verziert. Auf jeder Seite stehen darüber hinaus je ein Stuhl und ein Tisch mit Telefon zum analogen Tindern. Im Bühnenbild von Pascale Arndtz werden darüber hinaus durch einfache aber mit liebevollen Details ausgestattete Elemente ein Zugabteil, der Obst- und Gemüseladen von Herrn Schultz und der Flur der Pension von Fräulein Schneider visualisiert. Im Wesentlichen konzentriert sich Paulovics in ihrer schlüssigen Interpretation auf die Zeichnung der einzelnen Charaktere und deren Beziehungen zueinander. So ist es auffällig, dass Sally Bowles in Dialogen mit Clifford Bradshaw mehrmals scheinbar unbeteiligt ins Publikum schaut, anstatt ihm in die Augen zu sehen. Dieses Wechselspiel aus bewegenden schauspielerischen Momenten und stimmungsvollen Showeinlagen (Choreografie: Simona Semeraro) macht die Inszenierung sehr sehenswert.
Sally Bowles und Clifford Bradshaw (Foto: Thore Nilsson)
Dabei begeistern insbesondere die stimmlich stets präsente Neele Frederike Maak als verletzliche und androgyn erscheinende Nachtklub-Ikone Sally Bowles, Tom Wild als charismatischer und doch schmieriger Conférencier und Gregor Imkamp als scheinbar versehentlich in den falschen Film geratener und naive Schriftsteller Clifford Bradshaw. Das zwischen Moral und eigenen Bedürfnissen hin- und hergerissene und schon deutlich in die Jahre gekommene Fräulein Schneider wird überzeugend von Karin Winkler gegeben und im Zusammenspiel mit dem liebenswerten und gutgläubigen Herrn Schultz (René Rollin) ergeben sich sehr komische, aber auch äußerst tragische Momente. Felix Ströbel gibt glaubhaft den linientreuen Ernst Ludwig, Friederike Pasch verkörpert Fräulein Kost und in gleich mehreren kleineren Rollen tragen Dennis Habermehl und Tomás Ignacio Heise zum rundum gelungenen Abend bei.
Das Publikum dankt für diese ausverkaufte Repertoirevorstellung mit langanhaltendem Applaus und stehenden Ovationen.