Nun ist mein letzter Opernbesuch etwa vierzehn Monate her und einerseits bin ich dankbar, dass das Schleswig-Holsteinische Landestheater seit 19. April im Rahmen eines Modellprojektes wieder vor Publikum spielen darf. Andererseits musste ich mich erst an den Gedanken gewöhnen, vor der Vorstellung einen Corona-Test zu machen, während der Vorstellung eine medizinische Maske zu tragen und mich überhaupt wieder unter Leute zu mischen.
Zum Ende der Spielzeit gibt es nun also endlich Neues. Sowohl in Mozarts „Der Schauspieldirektor“ als auch in der noch wesentlich seltener aufgeführten musikalischen Serenade „Die Matrone von Ephesus“ des britischen Komponisten, Schriftstellers, Schauspielers, Sängers und Unterhaltungskünstlers Charles Dibdin (1745-1814) geht es ums Weitermachen unter schwierigen Voraussetzungen und Bedingungen.

Das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester und Kai-Moritz von Blanckenburg als und in „Der Schauspieldirektor“
„Wegen behördlicher Anordnung geschlossen“ steht auf einem Schild, welches an rot-weißem Absperrband vor der Bühne prangt. Doch der Schauspieldirektor scheint frohen Mutes zu sein und entfernt die Absperrung. Aus dem Radio ertönen Klänge aus dem Fliegenden Holländer: „abermals verstrichen sind sieben Jahr…“ stimmt er ein. Ganz so lang hat die Schließung des Theaters zum Glück nicht angehalten. Im Radio folgt die Ouvertüre von Mozarts „Der Schauspieldirektor“, die über die Lautsprecheranlage des Flensburger Stadttheaters ertönt. Bei nun freier Bühne erblicken wir das inzwischen sichtbar gewordene, im hinteren Bereich der Bühne – unter Berücksichtigung von im Graben nicht realisierbaren Abständen – platzierte Orchester in kleiner Besetzung. Kriss Rudolph hat für das Landestheater eigens ein neues Textbuch geschrieben, welches exakt den Nerv der Zeit trifft. Viele ehemalige Mitarbeiter des Theaters haben in dieser Geschichte mittlerweile andere Berufe ergreifen müssen, deshalb putzt der Schauspieldirektor nicht nur die Bühne höchstpersönlich, sondern entscheidet auch über das Vorsingen für die Besetzung des Stücks „Die Matrone von Ephesus“. Aus Infektionsschutzgründen beurteilt der Direktor die Bewerber aus sicherer Entfernung per Videoschalte und der am Vorsingen teilnehmende Tenor erfasst zu seiner eigenen Sicherheit penibel die Kontaktdaten und Anwesenheitszeiten aller Sänger. Schließlich steht das Ensemble fest und die „Matrone“ kann aufgeführt werden. Zum Inhalt von Dibdins absoluter Rarität zitiere ich aus dem Programmheft: Der komische Einakter „Die Matrone von Ephesus“ geht auf eine Episode von Petronius‘ „Satyricon“ zurück und erzählt die Geschichte einer Frau, die fest entschlossen ist, bis zu ihrem eigenen Tod bei der Leiche ihres Mannes auszuharren. Alle Versuche, sie in ihrer Trauer aufzuheitern scheitern, bis ein stattlicher römischer Zenturio erscheint, der, statt in der Nähe die Leichen hingerichteter Verbrecher zu bewachen, ihr den Hof macht. Als ihm dann eine seiner Leichen abhandenkommt, sucht er verzweifelt den Rat der Matrone, und die hat eine glänzende Idee: Sie schlägt nicht nur vor, dass die Leiche ihres Mannes den Platz der fehlenden Verbrecherleiche einnehmen könnte, sondern erklärt sich für das unausweichliche Happy End auch gleich noch bereit, den Zenturio nach einer angemessenen Zeitspanne, die schnell von sieben Jahren auf einen Tag reduziert wird, zu heiraten. Dibdins schwarze Komödie ist ein kraftvolles Plädoyer für Carpe diem, statt freiwilliger Entsagung gilt es, die Stunde zu nutzen und nach vorne zu schauen.

Amelie Müller als Mademoiselle Silberklang in „Der Schauspieldirektor“
Kornelia Repschlägers Inszenierung des Operndoppelabends ist modern und zeitgemäß, regt zum Nachdenken an und hält dabei gleichzeitig den eher traditionellen Sehgewohnheiten des Flensburger Publikums stand. So macht Musiktheater Spaß! Ihr Kunstgriff, beide Opern miteinander zu verbinden, funktioniert hervorragend. „Theater im Theater“ ist immer ein vergnügliches Sujet und hier ist es dem Leitungsteam tatsächlich gelungen aus zwei Stücken ein neues zu kreieren.
Gesanglich bleiben Riccardo Romeos (Monsieur Vogelsang/Zenturio) schönstimmiger Tenor, der agile und warme Koloratursopran des ganz neuen Ensemblemitglieds Ayelet Kagan (Madame Herz/Zofe) ebenso wie der geschmeidige lyrische Sopran von Amelie Müller (Mademoiselle Silberklang/Matrone) am stärksten in Erinnerung. Wie es im Stück so schön heißt: „Silberklang – der Name ist Programm“, obwohl das eine zu einseitige Darstellung ihrer Sangeskunst wäre, denn Amelie Müller zeigt insbesondere in der „Matrone von Ephesus“ auch dramatische Aspekte ihrer zweifelsohne wohlklingenden Stimme. Kai-Moritz von Blanckenburg (Schauspieldirektor) und Markus Wessiack (Buff/Vater) runden das schauspielerisch brillante und homogene Ensemble hervorragend ab.

Riccardo Romeo (Zenturio) und Amelie Müller (Matrone) in „Die Matrone von Ephesus“
Sehr gut gelang auch die Abstimmung zwischen GMD Kimbo Ishii und den Sängern, obwohl der Dirigent die ganze Zeit mit dem Rücken zu ihnen stehen musste. Das von Angelika Höckner gestaltete Bühnenbild besticht im Wesentlichen durch schräg angeordnete Spiegelelemente oberhalb der Bühne, die einen eindrucksvollen Blick zum einen auf das Orchester als auch auf das auf den Bühnenboden gemalte Fresko von Giovanni Battista Tiepolo ermöglichen. Auch die von Frau Höckner entworfenen Kostüme sind optisch ansprechend und vor allem in der „Matrone“ sehr aufwendig und phantasievoll gestaltet.
Mein persönliches Fazit: Aus der Not eine Tugend zu machen, ist dem Kreativteam des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters perfekt gelungen. Ein rundum glücklich machender Opernabend mit einer beeindruckenden Ensembleleistung ohne Schwächen. Herzlichen Dank dafür!