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Fink / Knie: ÜBERLANDPARTIE

26.08.2018 | buch

Iris Fink / Roland Knie:
ÜBERLANDPARTIE
Kabarett auf der Sommerfrische
364 Seiten, Böhlau Verlag, 2018

Man braucht nur die modernen Interpreten fragen, und schon verwandelt sich etwas, das begrifflich idyllisch verklärt durch die Welt schwebte, in etwas Gräuliches. Die viel besungene, auch so herrliche „Sommerfrische“ etwa, die vielleicht doch so schön nicht war, wie uns das Buch „Überlandpartie!“ darlegt, sondern eigentlich unbequem, vielfach belastet und vor allem – fad!

Die „Sommerfrische“ wurde vor dem Tourismus erfunden. Vordringlich ging es in der Gründerzeit darum, dass reiche Familienväter Gattin und Kinder (samt Personal) „aufs Land“ schoben, wo sie selbst nur am Wochenende auftauchen mussten (die Woche daheim war, von der Arbeit abgesehen – jemand musste das alles ja bezahlen -, „frei“). Wer es sich leisten konnte, hatte eine Villa an den Seen oder in den Bergen, die anderen mieteten sich bei Einheimischen ein, die das Geld lieber mochten als die Gäste.

Die „Städter auf dem Lande“ wuchsen sich zu einer komplizierten Geschichte aus. Sobald das Ganze als kommerzialisierbar erkennbar wurde, folgte alles mit furchtbarer Logik: Restaurants, Cafés. Rasthäuser, Vergnügungsstätten, ausgeschilderte Wanderwege, Badeplätze, kurz, möglichst schön angepinselte Kunstwelten, die per Reklame angepriesen wurden. Es bedurfte der „Sehenswürdigkeiten“, vor der man sich fotografieren lassen konnte, es bedurfte all der Orte, wo man Geld ausgeben konnte.

Die Klischees sprossen – man machte sich über die „Städter“ in ihren Versionen („der Hochtourist“) ebenso lustig wie über die „Bauerntölpel“. Und da die rasch zur „Reality Soap“ gewordene Sommerfrische Unterhaltung bieten musste, gab es über kurz oder lang ein großes Angebot von Kurtheatern bis Kabarett-Gastspielen.

Sie sind das eigentliche Thema dieses Buches und gehen weit über den Untertitel „Kabarett auf der Sommerfrische“ hinaus. Dieser erklärt sich möglicherweise daraus, dass das Österreichische Kabarettarchiv in Graz offenbar zu den Mit-Initiatoren des Werks gehört (und das Land Steiermark neben dem Land Wien zu den Subventionsgebern), aber die Unterhaltung lief auf breiterer Ebene. Und „überall“, wo es Touristen gab – im Salzkammergut, an den Kärntner Seen, in Tirol, in Gleichenberg und Aussee.

Und in der Umgebung von Wien. Die Autoren, die Kabaretthistorikerin Iris Fink und der als Radiojournalist bekannte Ronald Knie, beginnen gleich im Prater, wo es ein Riesenangebot für die Riesenstadt gleich an deren „Rand“ gab – allein ein Haus wie das als Singspielhalle eröffnete Fürst-Theater, später Jantsch-Theater, dann von Josefstadt-Direktor Josef Jarno geleitet, schließlich als Lustspiel-Theater ins Lustspiel-Kino übergegangen, beweist die hohe Kontinuität der akzeptierten Unterhaltungsmöglichkeit (denn schließlich muss es ja ein Publikum geben, das bereit ist, für eine Eintrittskarte zu bezahlen…). Von den anderen Prater-Etablissements ganz zu schweigen. Jüdisches Dialekttheater, bei den Wienern sehr beliebt, gastierte im Prater, „lebte“ in der Leopoldstadt. Da war das Kabarett schon sehr nahe.

Dass auch im Burggarten, im Zentrum Wiens, in kaiserlicher Nähe, allerhand Unterhaltung geboten wurde, ist weniger bekannt – der Erfolg hielt sich auch in Grenzen.

Wenn sich die Autoren „aufs Land“ begeben, erzählen sie von der Wandlung einer scharf-witzigen Berliner Sommerfrischenkomödie von Blumenthal und Kadelburg (bei ihnen noch eine Variation von Goldonis „Mirandolina“) in eine anbiedernde Revue namens „Im Weißen Rössl“. (Die Autoren nennen es ein kleingeistiges Touristenbilderbuch, schunkelnde Urlauberbelustigung). Überhaupt war der Sommer nicht die Zeit für schwere Kost, die Kurtheater – etwa in Ischl, im Bannkreis des Kaisers – engagierten teure Gäste für ein teures Publikum, die Lustspielabende ablieferten.

Dennoch gab es Kabarett. Robert Gilbert dichtete:

Ob mit der Schnauze
oder der Feder –
Meckern ist wichtig,
nett sein kann jeder.

Der Wiener „Liebe Augustin“ ging im Sommer auf Sommerfrischen-Tournee, wenigstens vom Café Prückl auf die Hohe Warte, während die „Literatur am Naschmarkt“ durch die Touristenorte tingelten. Es gab ja auch Publikum, das mit Verstand lachen wollte. Die Künstler unterwegs schätzten übrigens schlechtes Wetter – dann war der Publikumszuspruch stärker.

Eine Menge prominenter Namen durchziehen das Buch, das logischerweise mit dem Jahr 1938 abbricht, ob es sich um Hermann Leopoldi, den Schöpfer der titelgebenden „Überlandpartie“ handelte, oder um die umschwärmte Mizzi Zwerenz. Und der „Sommerfrischen-Antisemitismus“ war durchaus ein Thema für sich, wenngleich die Autoren einen brutal-wahren Witz tradieren.

„Was? I ein Antisemit?“ soll ein Wirt gesagt haben. „Jetzt, mitten in der Saison?“

Und doch ging das Ressentiment bei manchen über das Geld. Der Salzburger Ort Mattsee war empört, dass Arnold Schönberg hier einen Sommer verbringen wollte, denn man war schon in den zwanziger Jahren stolz darauf, „judenrein“ zu sein. Es gab Österreicher, die brauchten keinen Anstoß durch die Nationalsozialisten für ihren Antisemitismus…

Renate Wagner

 

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