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Film: WEGE DES LEBENS – THE ROADS NOT TAKEN

10.08.2020 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart: 13. August 2020  
WEGE DES LEBENS – THE ROADS NOT TAKEN
The Roads Not Taken / GB / 2020
Drehbuch, Musik und Regie: Sally Potter
Mit: Javier Bardem, Elle Fanning, Salma Hayek, Laura Linney u.a.

Das Thema schmerzt, und der Film tut es auch, denn Regisseurin Sally Potter (zuletzt mit ihrem Film „Die Party“ eher humoristisch-satirisch gelaunt) ist in ihrem eigenen Leben mit dem Thema Demenz konfrontiert worden. Ihr Bruder litt daran zwei Jahre, bevor er starb, und sie versucht nun nicht nur die künstlerische Bewältigung des Themas: Sie möchte einerseits keinesfalls die Realität beschönigen, aber dennoch eine gewissermaßen poetische Ebene in das Thema einziehen. Der abgehobene Mensch, der zwischen den Phasen seines Lebens changiert…

Man begegnet Leo (der sonst so starke Javier Bardem als einziges Bild des Jammers) in einem Zustand der Benommenheit, der ihn den ganzen Film lang (er ist nicht überlang, trotzdem schwer zu tragen) begleitet. Und an seiner Seite eine auch permanent verzweifelte, aber liebevoll besorgte Tochter (Elle Fanning berührend als diese Molly, mit roter Nase von vielem Weinen). In der Realität möchte sie den kraft- und willenlosen Vater zu seinem Zahnarzt-Termin schleppen, in jenen Erinnerungen, die wie Fetzen durch seinen Kopf jagen, streitet er auf Spanisch mit einer Frau (es ist Salma Hayek, Bardems Frau im wahren Leben – und hier lange nicht so schön, wie man sie auf der Leinwand gewöhnt ist).

Man wird durch Szenen voll Seelenschmerzen und Demütigungen geleitet, denn der verwirrte Mann wird von einer ungeduldigen Umwelt wie eine Un-Person behandelt, von der man in seiner Gegenwart in der Dritten Person redet. Wenn eine andere seiner Ex-Frauen auftaucht (die coole Laura Linney liefert eine Gänsehaut erzeugende Studie von Mitleidlosigkeit), ist diese nur unfreundlich und gnadenlos angesichts der schlechten Erinnerungen, die sie an diesen Mann hat und um den sie sich wahrlich nicht kümmern will.

Dieses Paar hat sich getrennt, weil – wie man erfährt – die Frau erfolgreicher war als er. Aber zweifellos ist der nun so hilflose Leo, seines Zeichens einst Schriftsteller, keinesfalls ein nobler Mensch gewesen – jene Tochter, die es ihn nun nicht entgelten lässt, hat er als Kind verlassen, weil er von ihr bei der Arbeit an seinem Roman gestört wurde… „Man muss Opfer bringen“, meint er. Und hat für ein Buch die Tochter geopfert. So legt der Film Schicht für Schicht einen Menschen bloß, der in seinem Leben wohl des Öfteren die falsche Richtung eingeschlagen hat.

In weniger als eineinhalb Stunden gibt es viel beklemmende Stimmung, wo versucht wird, das wirre Hirn des Mannes abzubilden, die verlorene Seele, die im verlorenen Verstand haust, aber nicht allzu viel Handlungssubstanz. Die Wundertochter, die sich dann auch zwischen Vater und Beruf entscheiden muss, ist schon herzzerreißend. Die Sentimentalität wird stellenweise auch peinlich, aber man versteht, dass die Prädikatisierungs-Kollegen zu „Besonders wertvoll“ gegriffen haben: Schließlich ist diese Tochter ein rares Exempel dafür, wie aufopfernd man sich einem Menschen widmen kann – auch wenn er es vielleicht nicht verdient. Und das ist doch beispielhaft?

Renate Wagner

 

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