Filmstart: 28. August 2020
WAREN EINMAL REVOLUZZER
Österreich / 2019
Drehbuch und Regie: Johanna Moder
Mit: Julia Jentsch, Aenne Schwarz, Manuel Rubey, Marcel Mohab, Josef Hader u.a.
Idealisten, Gutmenschen, „Revoluzzer“. Es gibt sie. Vor allem Menschen in ihren Zwanzigern. Später, wenn das bürgerliche Leben seinen Tribut fordert, verflachen die Ambitionen. Und wenn man dann doch noch das „Richtige“ tun will – der Film „Waren einmal Revoluzzer“ der österreichischen Regisseurin Johanna Moder, die auch das Drehbuch schrieb, packt das Thema humorvoll, aber nicht gehässig an, umkreist es von allen Seiten, verharmlost nicht und macht letztlich ein bitteres Lehrstück daraus.
Der Film, dessen Arbeitstitel einst „Russenstory“ lautete, hat schon vorigen Herbst beim Filmfest Zürich reüssiert und beim Max-Ophüls-Festival 2020 den Regiepreis errungen. Nun kommt er schwer corona-verspätet auch in die österreichischen Kinos und behandelt ein Problem, das derzeit in den Hintergrund gerückt ist, weil psychologische Seuchenbedrohung , reale gesundheitliche Gefährdung und mehr als virulente Wirtschaftskatastrophe aktuell wenig Platz für andere Themen lassen. Aber die Regisseurin hat die Geschichte so (oder ähnlich) in ihrem Bekanntenkreis erlebt, und die Authentizität der Problematik ist spürbar.
Man lernt also zwei österreichische Paare kennen, irgendwo in ihren Dreißigern. Jakob, der Musiker, und Gattin Helene, die Richterin, außerdem Volker, der Psychiater, und Tina, die nicht sonderlich erfolgreiche Künstlerin. Trotzdem – arm sind sie nicht. Kinder haben sie auch. Und ein mehr oder minder normales Leben. Bis dato offenbar störungsfrei.
Bis das Problem Pavel auftaucht, der Russe, den Helene von früher kennt und mit dem sie wohl auch einmal ein Verhältnis hatte. Egal. Pavel ist daheim in Schwierigkeiten, und sie spürt das dringende Bedürfnis, ihm zu helfen. Volker reist ohnedies nach Russland, gut, er nimmt tausend Euro für Pavel mit (tatsächlich schickt Helene viel mehr und Volker ist verärgert, da in eine riskante Situation zu geraten). Aber das reicht nicht – der Russe will, muss dringend weg. Und Helene spürt die Verantwortung, einen Freund nicht hängen zu lassen
All das ist nachvollziehbar, wenn auch die Blauäugigkeit der nicht durchdachten Hilfsbereitschaft ganz schnell klar gemacht wird. Wie genau die Flucht mit falschen Pässen erfolgt, erzählt der Film nicht, nur dass Pavel vor der Tür steht – und nicht allein. Sondern mit Gattin Eugenia und dem kleinen Sohn Valssili, was für Helene ein begreiflicher Schock ist (denn dass er nicht allein kommen würde, hat er mit keinem Wort erwähnt) und für die anderen auch, rein von der Platz-Problematik her. „Danke, dass du uns eingeladen hast“, stimmt so ja nicht ganz…
Gatte Jakob muss komponieren, will sich mit der ganzen Sache eigentlich nicht belasten und läuft nur zu gerne vor der Situation weg, indem er sich in ein kleines Haus in einem Dorf zurückzieht. Sollen die anderen sehen, wie sie zurecht kommen.
Der Geschichte stellt auch ganz klar, dass Flüchtlinge keine pflegeleichten, stillen, dankbaren Menschen sind, die sich in Ecken zurückziehen und daran arbeiten, ihre Retter möglichst schnell wieder zu verlassen. Gewissermaßen im Gegenteil. Sie brauchen Platz, sie brauchen Verpflegung, sie stellen Ansprüche – wenn Helene, Mutter zweier Töchter, Eugenia Sachen für ihren Sohn geben will, lehnt diese ab: Er ist ja ein Bub. Was geschieht mit der schmutzigen Wäsche der Ankömmlinge, wer ist zuständig? Und was tun, wenn die Ankündigung, man würde für sie eine Unterkunft suchen, mit „Danke, für uns ist es hier okey!“ beantwortet wird? Was das russische Kind alles kaputt macht, fällt vergleichsweise kaum ins Gewicht… Man möchte lächeln, aber der bittere Unterton ist zu spüren, auch in der Gereiztheit, die immer evidenter wird. Aber wenn Helene das Russenproblem geschaffen hat – warum sollte Volker sich jetzt damit abgeben und es ihr abnehmen, wie sie es offenbar erwartet? Was hat eher Grenzen, Empathie, Freundschaft oder was?
Es kommt noch dicker und wird für Helene, ihres Zeichen beim Gericht tätig, noch sehr, sehr schwierig: Denn jetzt erst gesteht Pavel, dass sie fliehen mussten, weil gegen Eugenia ein Haftbefehl existiert, da sie einer Widerstandsgruppe angehört. Und wenn dann noch andere Russen sich in ihrem Wohnzimmer einfinden – dann haben Drehbuch und Regie die Situation so schwierig verdichtet, wie man sie sich nur vorstellen kann. Und auf einmal wollen alle die Verantwortung, die sie in schönstem Idealismus und irrwitziger Naivität auf sich genommen haben, nur abschieben – jedes Paar die Menschen und die Probleme auf das andere zu….
Schließlich werden die Russen zu dem Komponisten ins Bauernhaus am Land geschoben, ob er will oder nicht (die Russen wollen es eigentlich auch nicht). Ehekrach und bis zum Zerreißen gestresste Freundschaft sind unvermeidlich (zumal man Helene nun ihren „Russenlover“ vorwirft, um dessentwegen offenbar alles den Bach hinunter geht). Wie wägt man die Notlage der Ankömmlinge gegen die profunde Störung der eigenen Komfortzone ab? Allerdings ist bei den vielen Argumentationen auch von „Psycho-Scheiß“ die Rede, und auch das kann man verstehen, wenn allzu sehr manipulativ auf der Emotionswelle geritten wird – das ist eine schön durchdachte Geschichte.
Es ist die Stärke dieses Films, dass man völlig ins Geschehen einbezogen wird, die Argumente (auf beiden Seiten stark) abwägen muss, sich natürlich fragte, was man selbst täte. Das kann man dialektische Aufarbeitung eines Themas nennen. Dass das Ganze letztendlich einen höchst bitteren Nachgeschmack hinterlässt, ist unvermeidlich. Was lernt man aus der russischen Weisheit, die einmal verstreut wird: „Schnitze dein Leben aus dem Holz, das du hast.“ Ja – und wie geht das? Psychiater Volker hat die einzige Lösung für österreichische Durchschnittsmenschen mit der Sehnsucht nach ihrem normalen Leben, das sie zurück haben wollen: „Hoffen wir auf die Gnade der Verdrängung.“
Der Film ist stark besetzt, vor allem Julia Jentsch als Helene, aber auch Aenne Schwarz (die sich am Burgtheater so gut entwickelt hat und die Kusej nicht im Ensemble wollte), die länger als die anderen soziales Mitleid aufrecht erhält. Manuel Rubey ist der Musiker, der seine Ruhe haben will, Marcel Mohab der zunehmend wilder rotierende Psychiater. Und dann gibt es noch eine Szene, wo man Josef Hader als Volkers einflussreichen Vater um Hilfe bitten will und dieser ganz kalt ablehnt, sich in diese Problematik hineinziehen zu lassen… Die Russen (Tambet Tuisk als Pavel und Lena Tronina als Eugenia) haben geradezu Mühe, als Störenfriede nicht allzu unsympathisch zu werden…
Und der Zuschauer bleibt bei dieser Schilderung österreichischen Durchschnittslebens unter Intellektuellen, die sich ein zu großes Problem aufgeladen haben, immer bei der Sache. Und ist (da kann man sicher von 99 % der Kinobesucher ausgehen) am Ende glücklich, dass er seinen eigenen Idealismus nie so weit getrieben hat, dass er wirklich auf den Prüfstand gekommen wäre. Dabei sagt die Regisseurin keinesfalls, dass man Gutes zu tun eher meiden soll. Sie meint nur, man solle vorher denken und dann erst handeln.
Renate Wagner