Filmstart: 5. August 2020
UNHINGED –
AUSSER KONTROLLE
Unhinged / USA / 2020
Regie: Derrick Borte
Mit: Russell Crowe, Caren Pistorius, Gabriel Bateman, Jimmi Simpson u.a.
Ein Mann sitzt hinter dem Steuer seines Pickups und starrt hinaus. Auf ein Haus. Nach kurzer Zeit packt er eine Hacke und geht darauf zu. Man hört die Schreie der Menschen, die er tötet. Dann geht das Haus in Flammen auf. Und der Kinobesucher weiß – was immer jetzt kommt, es kann nicht gut ausgehen.
Dann gibt es einen Dokumentations-Einschub, Nachrichten, die von Gewalttaten in den USA berichten, die vor allem auf den Straßen von Menschen, die ausrasten, begangen werden. Ziemlich höllisch. Das wirkliche Leben.
Und dann schließlich lernt man Rachel kennen, die wie ein junges Mädchen aussieht, aber schon einen Teenager-Sohn hat. Offenbar ist sie jeden Morgen – na, nicht gerade am Rande des Nervenzusammenbruchs, aber schon schwer gestresst. Der Sohn will in die Schule gefahren werden, sie hat eine fixe Verabredung mit einer Kundin (irgendetwas mit Kosmetik, wenn man es recht versteht), ihr Bruder hockt mit Freundin in ihrem Haus herum und ist keine Hilfe.
Alles liegt auf Rachel, also schnell ins Auto, damit Kyle rechtzeitig in die Schule komme und sie ihren Termin schafft. Aber wie es so ist, nicht nur in amerikanischen Städten: Stau, Stau, Stau, kein Weiterkommen. Man kennt die Situation, man ist kribbelig mit Rachel, zumal es scheint, als kündige ihr die Kundin, wenn sie nicht pünktlich ist…
Und dann springt die Ampel auf grün, vor ihr steht ein Pickup, der nicht los fährt, wütend drückt sie auf die Hupe (man kann es ihr vollkommen nachfühlen), sie fährt um den stehenden Wagen heurm. Alles gut? Im Gegenteil. Kurz danach ist er hinter ihr, am Steuer unser wahnsinniger Killer, verlangt eine Entschuldigung, die sie verärgert nicht gibt. Wenn er ihr dann einen „wirklich schlimmen Tag“ verspricht, so glaubt man ihm aufs Wort und fängt sofort und zurecht an, sich zu fürchten. So ist man nach relativ kurzem „Vorspiel“ mitten in der Katastrophe.
Beziehungsweise mitten in der Geschichte, die sich zum Großteil in den Autos abspielt (und wenn nicht, dann geht es in einem Diner noch schlimmer zu), eine Hetzjagd, die natürlich nur interessant ist, wenn sich zwei gleichwertige Gegner gegenüber stehen. Bei den klassischen „Jäger & Gejagter“-Konstellationen im Kino ist man naturgemäß bei den Opfern. (Vielleicht gibt es auch Sadisten im Publikum, die ihre Triebe ausleben, indem sie mit dem Jäger wüten). Aber je schwerer es „der Mann“ Rachel macht – ja, umso spannender. Die Jagd durch die Straßen kann sich sehen lassen…
Allerdings hat dieser Film von Regisseur Derrick Borte auch einige Fehler, wozu man nicht die exzessive Brutalität rechnen will, denn die ist leider genre-immanent, und dass das Ganze eisig spannend und voll von Action-Einfällen funktioniert, zählt gleichfalls zu den Pluspunkten, die viele Leute ins Kino holen werden (und die dann auch nicht enttäuscht sein dürften). Sieht man jedoch genauer hin (vielleicht soll man das bei Filmen dieser Art gar nicht), dann ist das Drehbuch voll von Lücken und Unglaubwürdigkeiten.
Vor allem ist unser „Mann“, über den man viel zu wenig und nur Vages erfährt (und das ist ein Fehler), ein Meister des Smartphones, das ihn sozusagen zum alles wissenden Übermenschen macht, der die unglaublichsten Dinge weiß und in Gang setzen kann. Und unsere Rachel wächst von der normalen Alltagsfrau zum wahren Wundergeschöpf hoch (na ja, sie beschützt ihr „Junges“, das verleiht Müttern bekanntlich Riesenkräfte), die in einem unglaublichen (und unglaubwürdigen) Showdown dann… aber das fiele jetzt schon unter Spoiler.
Russell Crowe spielt die Rolle des Borderline-wahnsinnigen Psychopathen: Wie wunderbar sensibel war er als seelisch gestörter Professor in „A beautiful Mind“, wie gerade, klar und stark in „Gladiator“, wie viele fabelhafte Persönlichkeiten („Master and Commander“ zum Beispiel) hat er noch gespielt. Aber man weiß es ja, nichts juckt Schauspieler so sehr, als die Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten zu beweisen. Und ja, Russell Crowe – der so viel zugelegt hat, dass er nun aussieht wie ein Bruder von John Goodman – ist erschreckend überzeugend als lustvoller Bösewicht. Der verbohrte Wutbürger, der jedes Detail seiner Umwelt nur dazu benützt, sich selbst weiter aufzuheizen. Der das sadistische Spiel mit der verhaßten Mitwelt genießt, die sich in der jungen Frau manifestiert, die ihn mit der Hupe herauszufordern wagte. Die er nun bestrafen will, und alle, die sie liebt, auch (und mit dem Smartphone gibt es ja offenbar alle Informationen der Welt dazu…). Dieser Mann mordet ohne Hemmungen und kennt von Anfang an keine Grenzen – und man weißt es. Er verursacht Gänsehaut. Man möchte ihm bitte in diesem Leben nicht begegnen…
Caren Pistorius, die bisher in Nebenrollen noch nicht wirklich aufgefallen ist, erweist sich als Idealbesetzung der Rachel, aus dem einfachen Grund, weil sie die normale, gestresste Durchschnittsfrau glaubhaft macht. Und die dann doch aus zunehmender Verzweiflung Entschlossenheit und Einfallsreichtum entwickelt, um sich der Herausforderung zu stellen, statt angesichts der Übermacht dieses schrecklichen Mannes gleich zu resignieren.
Es gibt einige Randfiguren, Rachels Sohn (Gabriel Bateman), Bruder ((Austin P. McKenzie) und dessen Freundin (Lucy Fau), Scheidungsanwalt Andy (Jimmi Simpson), auf den ein schreckliches Schicksal wartet, aber sie sind im Grunde nur dazu da, von „dem Mann“ bedroht und zu Opfern gemacht zu werden. Und das in teils ziemlich albernen Wendungen des Drehbuchs. Aber mit der Realität (die in diesem Zusammenhang ja auch ein Thema wäre) hat dieser Film speziell nichts zu tun, wenn die ausrastenden, vom System gequälten und ausgeschiedenen und dadurch gewaltbereiten Wutbürger auch wirklich unter uns leben. Wir lesen fast täglich von ihnen in der Zeitung…
Renate Wagner