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Film: UNDINE

28.06.2020 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart: 1. Juli 2020
UNDINE
Deutschland / 2020  
Drehbuch und Regie: Christian Petzold
Mit: Paula Beer, Franz Rogowski, Jacob Matschenz u.a.

Die Situation wirkt auf den ersten Blick völlig normal und alltäglich. Ein Paar sitzt sich an einem Wirtshaustisch gegenüber. Eindeutig: Sie streiten. Die Frau zankt, der Mann ist genervt. Der Ton eskaliert, sie bedroht ihn, ziemlich ernsthaft sogar („Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten!“). Er geht trotzdem weg. Dergleichen kommt vor.

Aber die junge Frau, die man hier kennen lernt, so hübsch-sympathisch, gewissermaßen normal, ihr Gesicht auch sein mag, ist nicht wie alle anderen. Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold begibt sich auf eine schwankende Erzählebene, die Realität und Mythisch-Mystisches vermischt. Undine, das Wasserwesen, als Heldin zum Auftakt einer Trilogie, die Petzold über Geschöpfe der Romantik plant, Luft- und Erdgeister sollen folgen… Vielleicht greifen dann die verschiedenen Welten überzeugender in einander als diesmal.

Liebhaber Johannes (Jacob Matschenz) ist also weg, aber Undine hat auch einen Beruf. Sie führt Gruppen in die Geschichte der Stadt Berlin ein. Diejenigen unter den Kinobesuchern, die es interessiert, werden fasziniert sein von dem, was sie da erfahren (und es erstaunt, welch großen Raum der Regisseur immer wieder diesen Passagen der Handlung zubilligt). Wen es nicht interessiert, der wird natürlich Gefahr laufen, wie in der Schule bei einer trockenen Geschichtsstunde einfach wegzudämmern… Also, man weiß: Undine hat einen Beruf.

Aber glücklicherweise begegnet die verlassene, unglückliche Frau fast sofort dem nächsten Mann, und dieser Christoph – gemeinsam fallen sie ungeschickt in ein Aquarium, das in Brüche geht und sich ergießt – ist ihr näher. Taucher von Beruf, auch ein Mann des Wassers, ein schlichtes Gemüt, den ihre Bildung und Klasse beeindrucken.

So könnte die Geschichte der kleinen „Flußjungfrau“ (in Berlin hat man einfach nur die Spree zur Verfügung) ganz gut gehen, aber das haben die „Cross-Over-Magische-Welten“-Geschichten ja konstitutionell nicht in sich. Da muss ja immer etwas schiefgehen. Da kommt Johannes, zurück, enttäuscht von der anderen Frau, für die er Undine verlassen hat, da missversteht Christoph die Situation, Eifersucht und Rivalität, und solche Geschichten verlangen ihre Opfer, Menschenopfer, oder auch das Nixen-Selbstopfer, und dazu kommt es auch hier, tragisch, wenn auch ziemlich verwirrend, möglicherweise absichtsvoll unklar.

Es scheint, der Regisseur verfahre nach dem Motto: Muss es auf der „Märchenebene“ logisch zugehen? Und, vor allem: Müssen Nixen immer im romantischen Rhein plätschern, oder dürfen sie auch über dunkle Stauseen in unsere Welt und unsere Vorstellungen gleiten? Nein, so richtig überzeugend ist das leider nicht.

Angesichts von Petzolds Ruf hat der Film viel Lob erfahren – schließlich hat er sich mit „Yella“ und „Barbara“ (beide mit Nina Hoss) als interessanter Filmemacher präsentiert. Sein letzter Film „Transit“ (2018) hatte dieselben Hauptdarsteller wie diese: die derzeit erst 25jährige Paula Beer und Franz Rogowski, beide unschlagbare Charismatiker vor der Kamera.

Mit Paula Beer kann man alles machen, von der Karrierefrau in der „Bad Banks“-Serie bis zum rätselhaften Wasserwesen, das der Jury bei der Berlinale 2020 den Silbernen Bären wert war, mehr als verdient, denn sie trägt den Film mit Rätselhaftigkeit und Verletzlichkeit. Letztere zeichnet auch Franz Rogowski aus, obwohl optisch eher grobschlächtig, aber immer kompliziertes Seelenleben vermittelnd und Interesse und Anteilnahme erzeugend Es ist nicht das erste Mal, dass Schauspieler ein Drehbuch, vielleicht auch einen Regisseur retten.

Renate Wagner

 

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