Filmstart: 26. Juni 2020
THE SOUVENIR
GB, USA / 2019
Drehbuch und Regie: Joanna Hogg
Mit: Honor Swinton Byrne, Tom Burke, Tilda Swinton u.a.
„The Souvenir“ ist ein Gemälde von Jean-Honoré Fragonard, ein schönes Bild, aber kein weltbewegendes Meisterwerk. Es hängt in der Londoner Wallace-Collection, und immerhin kann man sich angesichts der seitlich gezeigten jungen Frau den Kopf zerbrechen, ob sie traurig oder entschlossen drein sieht. Darüber diskutieren Julie und Anthony ziemlich am Anfang ihrer Beziehung, und es bringt sie einander näher. Der Rest ist eine Tragödie, die bitter bis zum bitteren Ende führt.
„The Souvenir“, der Film der britischen Regisseurin Joanna Hogg, erzählt die Geschichte der Filmstudentin Julie, und nicht nur, weil sie in eine Schreibmaschine hineinklappert, muss die Sache in den achtziger Jahren spielen. Tatsächlich ist es Joanna Hoggs eigene tragische Jugendgeschichte, die sie hier auf die Leinwand bringt, getreu dem Rat der Lehrer an der Filmschule: Man solle etwas gestalten, wo man seine eigenen Erfahrungen einbringen kann.
Das will Julie – die an sich ein ruhiges, scheues Wesen ist – dennoch mit Entschlossenheit nicht. Sie will, zugegeben als Flucht aus ihrer eigenen saturierten großbürgerlichen Situation, über die Probleme der Arbeiter in der Hafenstadt Sunderlang berichten. Es kommt nicht dazu, und zu vielem anderen auch nicht. Denn eigentlich geht es um die tragische Liebe, die sie an den etwas älteren Anthony bindet, ungeachtet dessen, dass dieser schwer drogensüchtig ist. Damit zieht sich der Film, der nebenbei vieles will – soziologische, künstlerische und psychologische (Beziehungs)-Probleme mitlaufen lassend -, zwei Stunden lang eher mühselig zu seinem tragischen Ende.
Denn die Regisseurin wollte keine klare, kompakte Story erzählen, im Gegenteil, das alles wird mehr oder minder impressionistisch hingehaucht, ausgesprochen „künstlerisch“ gestaltet, wenn auch in den Dialogen extrem auf „Natürlichkeit“ gedrillt, mit klassischer Musik verbrämt, die viel an Bedeutungsschwere beisteuert.
Wenn man als Zuschauer dennoch bei der Stange bleibt (anstatt angesichts so artifizieller Künstlichkeit zu stöhnen), liegt es an der Hauptdarstellerin. Schon deren Mutter, Tilda Swinton, war beim allerersten Film der Regisseurin dabei. Diese lebenslange Bindung manifestiert sich nun in der Besetzung der Hauptrolle mit deren Tochter Honor Swinton Byrne, was allerdings kein Akt des Nepotismus ist. Diese 23jährige ist für das „stille“ Geschöpf, das hier gezeigt werden soll, von höchster innerer Ausdruckskraft, man ist den Film lang bei ihr, leidet mit ihr, auch wenn man nicht versteht, warum sie an diesem charakterlich so zweifelhaften Anthony festhält… Mama Tilda Swinton ist als Mutter ihrer Tochter dabei, eine kleine Rolle mit einer großen Szene, wenn sie am Ende berichtet, wie Anthony sich in der Wallace-Collection den „goldenen Schuß“ gesetzt hat. Sie tut es mit einer solch nicht triefenden Anteilnahme, dass man es geradezu als darstellerisches Exempel nehmen kann…
Tom Burke spielt diesen Anthony, und auf manche Frauen mag er vielleicht sexuell anziehend wirken. Aber im Grunde ist er das, was die Briten als „pompous ass“ bezeichnen, ein Wichtigtuer und Angeber mit seiner prononcierten Upper Class Sprache und dem hochmütigen Getue, aber ja doch ein von seiner Sucht Getriebener.
Wenn am Ende, bei seinem Begräbnis Christina Georgina Rossettis „When I am dead, my dearest, Sing no sad songs for me“ rezitiert wird, öffnet sich im Hintergrund eine große Tür… Anthony ist tot, aber für Julie geht auch das Filmleben weiter. Joanna Hogg hat ihre Geschichte noch nicht auserzählt, „The Souvenir II“ ist schon in der Postproduktion.
Wahrscheinlich sollte man noch hinzufügen, dass die Briten selbst über diesen Film außer Rand und Band gerieten, so hymnische Kritiken hat selten jemand geerntet, und die britische Filmzeitschrift „Sight and Sound“ wählte Hoggs „Souvenir“ zum Film des Jahres, vor „Parasite“, vor Scorses, Almodovar, Tarantino. Was man, wenn man nicht die rosa Briten-Brille trägt, dann doch nicht nachvollziehen kann.
Renate Wagner