Filmstart: 17. November 2023
THE QUIET GIRL
An Cailín Ciúin / Irland / 2022
Drehbuch und Regie: Colm Bairéad
Mit: Catherine Clinch. Carrie Crowley. Andrew Bennett u.a.
Das ist ein wundersamer Film. Immerhin hat es Irland damit auch erstmals in die finale Liste der Auslands-„Oscar“-Nominierungen geschafft (unterlag aber leider „Im Westen nichts Neues“). Ein stiller Film, teils in originalem Irisch, teils Englisch, ganz ohne Stars, Aufwand, spektakuläre Effekte – und dennoch in seiner Heimat ein Riesenerfolg. Und in Großbritannien auch…
Die neunjährige Cait hat es, wie man anfangs kurz sieht, im Leben nicht leicht. In der Familie gibt es zu viele Kinder, die Eltern sind überlastet, der Vater ohnedies ein Rüpel, die Mutter wieder schwanger und weiß nicht, wie sie das Leben meistern soll. Ein Glücksfall, dass man ein Kind „verschicken“ kann – Cait darf den Sommer bei einer Cousine der Mutter auf dem Land verbringen, auf deren Bauernhof, Der Vater bringt sie hin, dreht wieder um und ist weg.
Nun hat man (zumal in österreichischen Filmen) schreckliche Erfahrungen mit Kindern gemacht, die aufs Land abgeschoben wurden – da warteten nur Brutalität, Unfreundlichkeit, im schlimmsten Fall Missbrauch. Welche Erleichterung, hier nicht nur in eine gloriose stille irische Landschaft einzutauchen, sondern auch eine junge, durch und durch liebevolle Tante zu finden, die dem kleinen Mädchen mit aller Herzlichkeit entgegen kommt. (Dass sie und ihr Mann ihr einziges Kind verloren haben, erfährt man erst später,)
Cait, schüchtern, zurückhaltend, öffnet sich angesichts der ehrlichen Zuneigung von Tante Eibhlín (Carrie Crowley), und auch deren anfangs zurückhaltender Mann Seán (Andrew Bennett) beschäftigt sich mehr und mehr mit dem Kind. Cait wird nichts befohlen, sie wird ganz einfach in das schlichte, bäuerliche (aber nicht armselige!) Leben eingezogen – ob sie Kartoffel schält (nicht als harte Pflicht, sondern als Teil des Dabeiseins in dieser Welt), ob sie mit zunehmender Freude läuft, die entfernte Post abzuholen… alles zeugt von Harmonie. Und das schweigsame Mädchen taut auf, fragt, plaudert, wird regelrecht gesellig. Dabei setzt der Regisseur bei der Kinder-Darstellerin Catherine Clinch nie auf picksüße Mäderl-Lieblichkeit, sondern führt sie zu wunderbarer Selbstverständlichkeit.
Colm Bairéad ist im eigenen Drehbuch (nach einer 2010 erschienenen Kurzgeschichte der irischen Autorin Claire Keegan) nie in die Beschönigungsfalle getappt. Kein Hauch von falscher, verlogener „heiler Welt“ ist spürbar. Die Natur ist in ihrer Ruhe da, wird aber nicht aufdringlich zelebriert. Bairéad kreiert eine völlig glaubhafte Welt für sich, in der Böses keinen Platz hat.
Das wetterleuchtet erst wieder ins Geschehen, als Cait wieder abgeholt wird, weil das Baby da ist und daheim die Schule beginnt. Dass sie Sean umarmt und „Daddy“ nennt, ist die vielleicht einzig sentimentale Sequenz der Geschichte. Der Rest ist ein Filmwunder.
Renate Wagner