Filmstart: 5. Dezember 2024
THE OUTRUN
England, Deutschland / 2024
Regie: Nora Fingscheidt
Mit: Saoirse Ronan. Stephen Dillane, Saskia Reeves u.a.
Der wahre Held ist das Meer
Alkoholismus, Nervenkrise, Anbetung der Natur, Esoterik, Artenschutz und ein wenig zumindest die Vogelwelt retten – darf’s ein bisserl mehr sein? Ja, das absolut klassische Motiv, dass man nach seelischen Abstürzen in die Heimat zurück kehrt, um dort Frieden zu finden, ist auch dabei…
All das hat die schottische Journalistin Amy Liptrot in ihrem autobiographischen Roman „The Outrun“ (zu Deutsch so viel wie „Entkommen“ oder „Davonlaufen“) nieder geschrieben. Angeblich war es die Schauspielerin Saoirse Ronan selbst, die diesen Bestseller für sich entdeckte und dann auch am Drehbuch mitwirkte, als sie die deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt für das Projekt gewinnen konnte, das dann gewissermaßen an „Originalschauplätzen“ der Autorin (die auch am Drehbuch mitwirkte) gedreht wurde.
Nora Fingerscheidt, die 40jährige Deutsche, ist mit einem Film über ein exzessives weibliches Schicksal bekannt geworden („Systemspringer“) und führt ihre Hauptdarstellerin Saoirse Ronan nun durch die verschiedenen Stadien der Existenz dieser Rona. An sich spielt die Handlung auf den schottischen Orkney-Inseln, aber in nicht immer gänzlich übersichtlichem zeitlichen Hin und Her ist man auch in Ronas Kindheit und vor allem in jener Londoner Welt, wo sie (aus nicht näher erklärten Gründen) in den Alkoholismus abgestürzt ist. Nach einer Entziehungskur hofft sie nun, dahein zu „gesunden“, aber man erlebt hier (und früher) immer wieder ihre verzweifelten Rückfälle in die Sucht, die den Befallenen offenbar viel erstrebenswerter erscheint als den Nüchternen.
Das ist eine Ebene des Films und inhaltlich gar nicht so interessant, vielleicht auch, weil Regisseurin und Darstellerin gerade dieses Thema darstellerisch nicht annähernd so ausreizen, wie man Alkoholiker-Tragödien auf der Leinwand schon gesehen hat.
Auch die anderen Handlungselemente sind nicht eben aufregend – in London die Geschichte mit ihrem Freund Daynin (Paapa Essiedu), der sie verlassen hat, weil er mit ihrer Sucht nicht leben kann, daheim in Orkney mit den getrennten Eltern, der überfrommen, nicht wirklich verständnisvollen Mutter (Saskia Reeves) und dem hinaus geworfenen, in einem Wohnwagen lebenden Vater (Stephen Dillane), der mit psychischen Störungen kämpft und wenigstens weiß, worum es bei Alkoholsucht geht…
Das einzig weitere Handlungselement besteht darin, dass Rona, die an sich Biologin, Meeresbiologin wohl war, einen Job findet, der sie verpflichtet, für die Royal Society for the Protection of Birds den selten gewordenen Wachtelkönig-Vogel zu finden, wofür sie sich auf einer anderen Orkney-Insel in eine einsame Hütte zurück zieht…
Vielleicht würde man angesichts dieses Schicksals als Kinobesucher schlicht und einfach nur in hoffnungslose Depression versinken, gäbe es nicht noch eine andere Ebene. Rona weiß unendlich viel über die Inseln, das Meer, die Natur hier, sie erzählt es aus dem Off, und die Regisseurin hat schlechtweg faszinierende Bilder geschaffen, vor allem um das hier nie zur Ruhe kommende Meer, das ein Faszinosum an sich ist.
Und Saoirse Ronan, die abgesehen von ein paar Verzweiflungsausbrüchen ihre Seelenschmerzen still und tapfer, mit verhaltener Miene in sich hinein frißt? Die Darstellung solch verstörter Geschöpfe bietet für die Interpreten natürlich die besten „Oscar“-Chancen, und Soarsie Ronan gilt ja schon länger als A-Klasse und war bereits einige Male in der Nähe der begehrten Statuette. Es scheint fix ausgemacht, so wie man Hollywood kennt, dass sie nächsten Februar zumindest unter den nominierten Hauptdarstellerinnen aufscheint.
Renate Wanger